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„Kunden elektronisch binden: Das 6 C-Modell hilft“

Ein undifferenziertes Qualitätsmanagement mit dem Ziel der gleichmäßigen Verbesserung aller Portalfunktionen ist nicht effektiv.
Maik Hammerschmidt | 30.08.2005
Hans H. Bauer / Maik Hammerschmidt


DIE BEDEUTUNG DER „ONLINE-KUNDENBINDUNG“

Auch im Internet stellt nicht die Gewinnung von Kunden, sondern deren langfristige Bindung die wahre Herausforderung dar. Die hohen Start up- und Akquisitionskosten gerade in der Internetökonomie rentieren sich nur, wenn ein substantieller Teil des Lebenszeitwertes eines Kunden abgeschöpft werden kann, was die Etablierung langfristiger Kundenbeziehungen erfordert. Effiziente Such- und Vergleichsmöglich-keiten, die zu einer Senkung der Wechselbarrieren im Internet führen, machen die Schaffung von Kundenbindung in der digitalen Wirtschaft zu einer ungleich schwierigeren Aufgabe als in der Old Economy. Hieraus ergibt sich der hohe Stellenwert der Zielgrößen Kundenzufriedenheit und Kundenloyalität. Die Nutzer müssen von einem Wechsel gezielt abgehalten werden, um eine dauerhafte Bindung zu erreichen, die sich in einer Erhöhung der Nutzungsintensität und Nutzungshäufigkeit niederschlägt.

In der Notwendigkeit der Entwicklung kundenbindungsorientierter Geschäftsmodelle ist der Katalysator für die Entwicklung von Online-Portalen zu sehen. Dabei handelt es sich um ein integratives Geschäftsmodell, das die grundlegenden Internetfunktionen auf einer Website bündelt und so eine Komplettlösung aus Transaktions-, Informations- und Kommunikationsleistungen anbietet. Im Idealfall soll für die Nutzer keine Notwendigkeit mehr bestehen, andere Einzelseiten aufzusuchen. Die Kundenbindung stellt somit das konstituierende Ziel und folglich auch den zentralen Erfolgsmaßstab von Portalen dar.

Trotz der zunehmenden Bedeutung der E-Loyalty und der rasanten Verbreitung von Online-Portalen als Geschäftsmodell in der Internetökonomie gibt es bisher kaum empirische Studien darüber, nach welchen Kriterien die Nutzer die Performance eines Internet-Portals beurteilen. Für die Gestaltung und Verbesserung von Portalen ist die Identifizierung der qualitätsbestimmenden Leistungsdimensionen jedoch unverzichtbar. Weiterhin wurde bisher nicht untersucht, auf welche Leistungselemente sich Portalprovider fokussieren sollten, um eine Abwanderung der Nutzer zu verhindern.


KUNDENBINDUNGSORIENTIERTE GESCHÄFTSMODELLE

Online-Portale wie www.aol.de, www.yahoo.de oder www.comdirect.de verkörpern Geschäftsmodelle, die in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen haben. Ursprünglich waren Portale reine Einstiegstore ins Internet deren Funktion darin bestand, Informationen und Angebote im WWW zu klassifizieren und zu strukturieren Die ersten Portale entstanden daher in Form von Suchmaschinen wie etwa Yahoo! und Lycos. Infolge der zunehmenden Notwendigkeit, auch auf elektronischen Märkten langfristige Kundenbeziehungen sicher-zustellen, haben sich traditionelle Portale durch eine ständige Anreicherung ihres Leistungsspektrums schrittweise zu modernen Portalen im heutigen Verständnis entwickelt.

Entscheidend ist heute, dass Portale ganzheitliche Problemlösungen durch die Bündelung vieler Informations-, Kommunikations- und Transaktionsangebote bereitstellen. Das zentrale Merkmal eines Portals ist somit die Integration sämtlicher Internetfunktionen und -ressourcen auf einer einzigen Seite. Es werden somit die vier „reinen“ Internet-Geschäftsmodelle „Context“, „Content“, „Communication“ und „Commerce“, die einzeln von sog. Pure play-Websites verfolgt werden, zusammen im Rahmen eines Geschäftsmodells verfolgt


ZIEL: VERTRAUENSTRANSFER

Neben dem Integrationsprinzip ist die Einbeziehung von Leistungen anderer, fremder Anbieter ein weiteres Portalmerkmal, das als Aggregation bezeichnet wird. Dadurch kann zum einen die Idee einer Komplettlösung realisiert werden, zum anderen können Portale durch das Angebot von Produkten bekannter und vertrauter Unternehmen einen Image- und Vertrauenstransfer erreichen, der das wahrge-nommene Risiko der Internetnutzer senkt.

Ein drittes Merkmal von Portalen stellt die Personalisierbarkeit dar. Damit ist die individuelle Gestaltbarkeit der Portalfunktionen entsprechend der Bedürfnisse des Internetnutzers gemeint. Sowohl der angezeigte Inhalt als auch die gewünschten Dienstleistungen sowie die Gestaltung der Portalseite müssen sich vom Nutzer aktiv beeinflussen lassen. Prominentes Beispiel ist die Personalisierungsfunktion von Yahoo!. Mit My Yahoo! kann der Internetnutzer seine persönliche Yahoo-Homepage mit für ihn relevanten Informationen, Nachrichten, Communities etc. einrichten. Die Möglichkeit, durch Aufbau eines eigenen Portals die Alternativenzahl einzuschränken, erhöht die Handlungskontrolle und reduziert Zeit und Kosten des Findens geeigneter Angebote.

Durch den Ausbau einfacher „Pure play-Websites“ zu umfassenden Portalen versprechen sich Internetanbieter v.a. eine Steigerung der Online-Kundenbindung. Durch die Schaffung eines „single point of access“ durch die Bündelung einer großen Zahl von alternativen Transaktions- und Informationsangeboten werden für den Nutzer Komplexität und Unsicherheit und somit Transaktionskosten reduziert, die sonst durch das Aufsuchen verschiedener Spezialseiten („virtual store hopping“) entstünden.


DIE MESSUNG DER PORTALPERFORMANCE – DAS 6C - MODELL

Basierend auf einer Online-Befragung von 480 Nutzern regionaler Internetportale sowie Interviews mit Experten aus verschiedenen E-Business-Unternehmen ließen sich sechs grundlegende Dimensionen identifizieren, die die Nutzer für die Leistungsbeurteilung von Portalen heranziehen: Content, Communication, Commerce, Challenge, Customer Care, Configuration (vgl. Abb. 1). Dieses Modell zur Performancebewertung kann plastisch als 6 C-Modell bezeichnet werden. Jedes C repräsentiert eine grundlegende Leistungsdimension, auf die sich die Qualitätsbeurteilung der Nutzer bezieht und die jeweils durch konkrete Kriterien gemessen werden.

--- Abb. 1: Die 6 Dimensionen der Portalperformance (6C - Modell) ---


EINFLUSS DER 6 C’S AUF DIE KUNDENBINDUNG

Anschließend wurde mittels der Kausalanalyse, dem derzeit leistungs-fähigsten Verfahren der Ursache-Wirkungs-Analyse, untersucht, welchen Einfluss jede der 6 Leistungsdimensionen (der sog. 6 Cs) auf die Nutzerloyalität ausübt. Die Loyalität wurde dabei durch die Kriterien „Absicht, das Portal öfter zu besuchen“, „Absicht, zusätzlich Kauftransaktionen über das Portal abzuwickeln“ und „Absicht, das Portal weiterzuempfehlen“ erfasst. Dabei zeigt sich, dass faktisch nur vier der sechs Leistungsbereiche eines Portals zu einer Erhöhung der Kunden-bindung beitragen (Content, Challenge, Customer Care, Configuration). Die vier Komponenten wirken dabei nicht direkt auf die Kundenbindung, sondern indirekt, indem sie die der Kundenbindung vorgelagerten Zielgrößen „Kundenzufriedenheit“ und „Höhe der Wechselbarrieren“ positiv beeinflussen.

Die Zufriedenheit wurde durch die Frage nach der Gesamtzufriedenheit mit dem Portalprovider (sog. Globalzufriedenheit) gemessen. Unter Wechselbarrieren sind die Gesamtheit aller sozialen, psychischen und ökonomischen „Kosten“ eines Portalwechsels zu verstehen. Bei hoch integrierten Webseiten wie Portalen entstehen Wechselkosten primär in Form von Investitionen in die Portalnutzung, die etwa durch Personali-sierungsaufwand sowie aufgewendete Zeit und Kosten entstehen, die notwendig sind, um die komplexe Struktur der Webseiten zu erlernen und sich in den Angeboten zurechtzufinden. Je höher diese „Lern-kosten“ sind, desto stärker ist der Bindungseffekt und desto weniger erscheint ein Anbieterwechsel ökonomisch sinnvoll. Wechsel-kosten nehmen außerdem mit steigender emotionaler Verbundenheit mit dem Anbieter zu.


ZWEI WEGE FÜHREN ZUR KUNDENBINDUNG

Es lassen sich somit zwei Wege („Pfade“) zur Kundenbindung erkennen: Dabei zeigt sich, dass nicht alle 6 Cs über beide Pfade auf die Kundenbindung wirken; einige der Leistungsbereiche beeinflussen die Kundenloyalität entweder über eine Erhöhung der Zufriedenheit oder durch den Aufbau von Wechselbarrieren.

--- Abb. 2: Die Wirkungseffekte der 6 Cs auf die Kundenbindung ---

Wie die Ergebnisse der Kausalanalyse in Abb. 2 zeigen, wirkt der Portalbereich Content über beide Pfade sehr stark positiv auf die Kundenbindung. Ein Portal kann also durch einen umfassenden, qualitativ hochwertigen und aktuellen Content sowohl die Zufriedenheit der Portalnutzer steigern als auch Barrieren der Abwanderung aufbauen. Beide Effekte resultieren in einer hohen Loyalität der Nutzer. Content erweist sich als der bedeutendste Erfolgsfaktor von Portalen.

Auch die Challenge (d.h. die herausfordernde Gestaltung) eines Portals kann über eine Erhöhung von Kundenzufriedenheit und Wechsel-barrieren einen starken Beitrag zur Bindung der Nutzer leisten. Eine hohe wahrgenommene Herausforderung kann v.a. durch das Angebot von Unterhaltungs- und Erlebniselementen und durch eine geistig anspruchsvolle Gestaltung der Portal Site sowie Möglichkeiten zum Experimentieren erreicht werden. Challenge steigert das Vergnügen und lässt die Zeit beim Surfen wie im Fluge vergehen („time compression effect“).


CUSTOMER CARE SPIELT EINE ZENTRALE ROLLE

Die Ergebnisse unterstreichen weiter die Bedeutung zusätzlicher Services zur Betreuung der Kunden (Customer Care) für die Steigerung der Nutzerloyalität, wobei dieser Effekt ausschließlich auf der Erhöhung der Wechselbarrieren beruht. Offensichtlich erhöhen hochwertige Zusatzservices die Kosten eines Portalwechsels in Form des Risikos, solche personalisierten und z.T. kostenlosen Dienste auf Konkurrenzportalen nicht zu erhalten.

Die Übersichtlichkeit und Benutzerfreundlichkeit der Portal Site (Configuration) wirkt auf die Kundenbindung, indem die Zufriedenheit positiv beeinflusst wird. Professionell gestaltete und übersichtliche Webseiten sind offensichtlich starke Zufriedenheitstreiber.

Die Dimension Commerce wirkt weder über die Kundenzufriedenheit noch über die Wechselbarrieren positiv auf die Kundenbindung. Das Anbieten einer hohen Qualität der Transaktionsleistungen (reibungslose Bestellprozesse und –abwicklung) ist nach den Erkenntnissen der Studie offenbar nicht geeignet, eine merkliche Erhöhung der Kundenloyalität zu erreichen. Vielmehr stellen leistungsfähige E-Commerce-Funktionalitäten immer mehr eine Selbstverständlichkeit dar, die als Mindestvoraussetzung für eine dauerhafte Nutzung angesehen werden. Bei einer solchen „Minimum-leistung“ führt auch eine zunehmende Verbesserung der Qualität nicht zu einer merklichen Steigerung der Kundenloyalität, sie hilft lediglich, Unzufriedenheit zu verhindern.


SCHATTENSEITEN DER KOMMUNIKATION

Der Portalbereich Communication hat sogar einen signifikant negativen Effekt auf die Loyalität der Nutzer indem die wahrgenommenen Wechselbarrieren verringert werden. Offensichtlich sind Portalanbieter durch die Ermöglichung eines intensiven kommunikativen Austausches über differenzierte Kanäle gerade nicht in der Lage, wahrgenommene Wechselbarrieren aufzubauen. Das Gegenteil ist der Fall! Offensichtlich tauschen sich die Nutzer in virtuellen Gemeinschaften (communities) v.a. über die Attraktivität von Alternativangeboten intensiv aus und empfehlen die Vorzüge der Konkurrenz.

Wie die Ergebnisse vermuten lassen, schildern insbesondere frustrierte Ex-Kunden die Vorzüge eines Wechsels und machen die Konditionen und Angebote anderer Portale bekannt und schmackhaft, was die Transparenz steigert und die Wechselrisiken sinken lässt. Bedingt durch die elektronische Vernetzung können frustrierte Nutzer in der Online-Welt durch Comunities, Newsboards oder E-Mails statt 5 Personen leicht 500 Personen ihre negativen Erfahrungen mitteilen. „Word of Mouse“ verbreitet sich schneller als „Word of Mouth“!

Die Möglichkeit, durch den Austausch mit interessengleichen Nutzern in sozialen Netzwerken neutrale und unverzerrte Informationen zu erhalten, führt zu einer stärkeren Emanzipation der Kunden, die die Abhängigkeit vom Portalprovider mindert. Dies hat dann evtl. ein sinkendes Commitment zur Folge. Eine hohe Performance in Bezug auf die Kommunikationsfunktionalitäten wirkt somit - überraschenderweise -negativ auf die Kundenbindung und stellt somit einen Misserfolgsfaktor für Portale dar.


FAZIT: KONZENTRATION AUF DIE RELEVANTEN BEREICHE

Wie die Ergebnisse zeigen, ist ein undifferenziertes Qualitäts-management mit dem Ziel der gleichmäßigen Verbesserung aller Portalfunktionen nicht effektiv. Vielmehr kommt es darauf an, sich auf bestimmte Bereiche zu fokussieren, um eine hohe Loyalität der Nutzer zu erreichen. So müssen Portalanbieter, nachdem die Erfüllung einer akzeptablen Qualität der Shopping-Funktionen i.S. einer notwendigen Bedingung sichergestellt ist, eine übersichtliche und benutzerfreundliche Seitengestaltung, hochwertige Inhalte, eine unterhaltende und erlebnisvermittelnde Portalnutzung sowie mehrwertstiftende Zusatz-dienste gewährleisten, um Nutzer zu einer häufiegn Wiederkehr auf das Portal und zu langen Verweildauern anzuregen. Hohe Investitionen in die Verbesserung der Kommunikationstools und –kanäle, die einen intensiven Informations- und Meinungsaustausch und damit den Austausch von Negativreferenzen zwischen Konsumenten begünstigen, können dagegen in starkem Maße kontraproduktiv wirken.

Weiterhin wird erkennbar, dass die Leistungsdimensionen zum Teil über spezifische Wirkungspfade einen Einfluss auf die Kundenbindung ausüben. So entsteht der Bindungseffekt der Configuration ausschließlich über eine Erhöhung der Kundenzufriedenheit, Customer Care führt nur über eine Erhöhung der Wechselbarrieren zu erhöhter Kundenbindung und der Faktor Content erhöht beide Bindungs-determinanten in ähnlich starkem Maße.

Besteht also das Ziel vornehmlich in einer Steigerung der Kundenzufriedenheit, so sollte v.a. die Qualität bzgl. der Bereiche Content, Challenge und Configuration erhöht werden. Für die Erreichung des Ziels, einen Portalwechsel zu erschweren, bietet sich neben den schon genannten Dimensionen Content und Challenge insbesondere die Verbesserung der Kundenbetreuung durch Zusatzservices (Customer Care) als Stellhebel an.

Nähere Informationen zur Studie finden Sie unter
www.imu-mannheim.de. Bestellmöglichkeit: Institut für Marktorientierte Unternehmensführung (IMU), Universität Mannheim, Tel. 0621 / 181-1755, E-Mail: service@imu-mannheim.de