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Sind Ihre Lebensphilosophien krisenfest?

Die Suizide zweier Top-Manager haben nicht nur die Schweizer Öffentlichkeit aufgeschreckt. Sie reagierte darauf mit einem nur allzu bekannten Reflex.
Markus Frey | 05.09.2013
Mit dem "Wer-ist-schuld?"-Reflex machte man sich zunächst auf die Suche nach einem Schuldigen. Schon im ersten Fall, dem CEO der Swisscom, fand man ihn im Verwaltungsratspräsidenten. Doch dann sickerte durch, dass doch wohl eher private Gründe die Auslöser für die schreckliche Tat waren und vielleicht doch weniger der Stress am Arbeitsplatz.

Ein passender Täter
Deutlich besser passte dies im zweiten Fall, wo es um den Tod des Finanzchefs der Zurich Insurance Group (ZIG) ging. Dessen Vorgesetzter war ein gewisser Josef "Joe" Ackermann. Das war doch stimmig. Denn spätestens seitdem der ehemalige Chef der Deutschen Bank beim so genannten Mannesmann-Prozess 2004 seine Finger zum V-Zeichen spreizte und ein gutes Jahr später fast zeitgleich Rekordzahlen und Massenentlassungen verkündigte, gilt er vielen quasi als personifizierte Verkörperung des Raubtierkapitalismus. Als böser Manager-Täter passt er so richtig gut. Zu gut.

Die entscheidenden Fragen sind andere
Zu gut deshalb, weil die Zuschreibung der Täterrolle an Ackermann weitgehend verhindert hat, dass die wirklich wichtigen Fragen gestellt wurden. Und dazu gehört die „Wer ist schuld?“-Frage definitiv nicht, zumal diese schlicht nicht beantwortbar ist. Es sind Fragen, die man sicher in der Allgemeinheit diskutieren kann. Es sind aber vor allem Fragen, die sich jeder selbst stellen sollte, vor allem jeder, der in Wirtschaft und Gesellschaft Verantwortung übernommen hat.

Die Gesetze des Marktes
Wer in der Wirtschaft unterwegs ist, akzeptiert die Gesetze des Marktes. Das ist der äußere Zwang unter dem alle agieren und reagieren. Agieren und reagieren müssen. Jedenfalls so lange, als sie wirtschaftlich abhängig und in ihrer Arbeit nach den erreichten Kennzahlen bemessen werden. Das ist für die allermeisten der Fall. Für angestellte Manager gilt dies grundsätzlich und auch für die weitaus überwiegende Mehrzahl der Unternehmer. Nur finanziell unabhängige Unternehmer können es sich da und dort mal leisten, ein Projekt durchzuführen, dessen Erfolg nicht nach diesen Gesetzen gemessen wird.

Der Markt hat keine Seele
Doch "der Markt hat keine Seele"*, keine eigene Würde, die unantastbar wäre. Dieses Attribut schreibt das deutsche Grundgesetz aus gutem Grund nur dem Menschen zu. Und „unantastbar“ heißt bedingungslos. Würde und Wert steht dem Menschen also grundsätzlich zu, ohne die Bedingung erfolgreich und mithin stets ein Sieger sein zu müssen.
Diese Bedingung ist eine Bedingung des Marktes. Wenn man in seinem Reich eine Position erreichen oder halten will, dann ist Erfolg sicher die Grundvoraussetzung dafür. In Bezug auf die Würde des Menschen hat der Markt und der Erfolg eines Menschen aber wie gesagt nichts zu sagen. Es sind zwei komplett verschiedene Ebenen. Eigentlich.

Verrückte Ebenen
Doch genau diese Ebenen werden gerade auch von so genannten Top-Performern immer wieder vertauscht, indem sie die Würde des Menschen an seinen Erfolg im Markt knüpfen. Nicht nur im Umgang mit den anderen, den Konkurrenten, den Lieferanten, Mitarbeitern und Kunden ist dieses Alltagsdenken immer wieder als Alltagsverhalten zu beobachten. „Die Wirtschaft ist halt ein Haifischbecken“ heißt es dann oft mit einem Schulterzucken. Drastisch und doch auch wieder beschönigend.
Denn es gibt ein weiteres Problem, das das erstgenannte noch übertrifft. Das Problem nämlich, dass nicht nur, aber gerade auch in der Welt der Wirtschaft viele Menschen ihren eigenen(!) Wert und ihre eigene Würde nach eben diesen Regeln des Marktes erstellen. Sie liefern sich dabei auch in ihrem eigenen Urteil einer Gnadenlosigkeit aus, bei der sie nur verlieren können. Verrückt eigentlich.

Materialprüfung
Solange der Erfolg da ist, kann man damit einigermaßen leben, auch wenn mit solcherlei Denken viel Stress verbunden ist. Sehr viel Stress. Und auch die Verbreitung des Burnout-Syndroms in den Chefetagen ist damit zwar nicht hinreichend erklärt, aber die Verbindung des eigenen Lebenswerts mit dem an Kennzahlen messbaren Erfolgs ist zumindest ein sehr wesentlicher Faktor. Denn krisenfrei und als einzige Erfolgsspur verläuft kaum ein Berufsleben. Auch das Berufsleben eines Topmanagers nicht. Und wie er in der Krisensituation reagiert, hängt vor allem von seinen grundlegenden Lebensphilosophien ab.
Sich aus diesem Berufsleben zwangsläufig ergebende Unannehmlichkeiten werden in der Regel mit einem Top-Gehalt abgefedert. Doch die Frage, die sich jeder Ingenieur in Bezug auf die von ihm eingesetzten Materialien stellen muss, sollte auch in Bezug auf die Lebensphilosophien gestellt werden. Die Frage nämlich, ob sie auch krisenfest sind und auch in den Turbulenzen des Lebens auf Kurs halten. Diese Überprüfung kann hier wie dort lebensrettend sein. Und selbstverständlich sollten diese „Materialprüfung“ alle vornehmen, nicht nur die Verantwortungsträger in Wirtschaft und Gesellschaft. Sie aber ganz besonders, da ja einerseits gerade das Krisenmanagement auch zu ihren beruflichen Aufgaben gehört und andererseits sich viele an ihnen orientieren. Logisch eigentlich.

Markus Frey

*So lautete der Titel eines Buches des Managementberaters Johannes Czwalina von 2002

PS Anlässlich der eingangs erwähnten tragischen Vorkommnisse habe ich außerdem zwei Videos in Youtube erstellt:

-Vertrauen

-Sind unsere Lebensphilosophien und Werte krisenfest?