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Der Mensch – ein Produktionsfaktor?

Wer Menschen funktionalisiert, auf den Produktionsfaktor reduziert, beraubt sie um ihr soziales Glück.
Ulf D. Posé | 03.03.2014
Der Mensch – ein Produktionsfaktor?

Es gibt Wörter, die legen durchaus die Gesinnung offen. Nehmen Sie nur den Begriff HR oder human ressources. Der Mensch ist also eine Ressource. Wie ein Stück Metall oder Holz. Der Mensch ist ein Produktionsfaktor, wie eine Maschine. Welches Menschenbild muss jemand haben, um so zu formulieren und so über Menschen zu denken??
Es ist schon erstaunlich, wie sehr Menschen auf ihre Funktionalität hin reduziert werden. Das Personale, der Mensch als eine Person, bleibt dabei auf der Strecke. Das ist nicht nur bedauerlich, es ist außerordentlich wirtschaftsfeindlich. Wer Menschen auf ihre Funktionalität reduziert, schadet einem Unternehmen wirtschaftlich. Die Bilanz wird dadurch verhagelt.

Es hat mit der Unternehmenskultur zu tun, mit der Fähigkeit der Führungskräfte, Menschen respektvoll, würdevoll zu behandeln. Würde meint seit Immanuel Kant, dass ein Mensch niemals nur Mittel zum Zweck, sondern immer auch das Ziel des Handeln darstellt. Das ist ohne ethisch-motivierte Führung kaum möglich.
Die Unterschiede zwischen ethisch-motivierter Führung und unethischer Führung sind lange bekannt, und sie sind bereits in ihrer Wirkung auf die Bilanz eines Unternehmens berechnet worden.

Die Gallup Untersuchung

Eine Gallup-Untersuchung von Mitte 2005 zum Beispiel attestierte Mitarbeitern bei ethischer Führung zu 73 % eine hohe Motivation, bei unethischer, rein funktionaler Führung dagegen nur zu 10 %. Funktionalisierende Führung hat auch Einfluss auf die Freude an der Arbeit: Nur 14 % stehen hier 84 % bei gutem Führungsstil gegenüber. Auch der durchschnittliche Krankenstand verbessert sich von elf Tagen bei unethischer auf nur fünf Tage bei ethisch motivierter Führung.

Das Konzept einer strikt und ausschließlich auf den Unternehmenswert zielenden Unternehmensführung hat seine beste Zeit hinter sich. Gerade die Unternehmen, die ihre Mitarbeiter eben nicht funktionalisieren und zum Produktionsfaktor Mensch degradieren, die sich in ihrem Business einer moralischen Wertorientierung verpflichtet fühlen, schaffen mehr Wert. Zahllos inzwischen die Vergleichsstudien und die einschlägige Literatur, die sich diesem scheinbar überraschenden Zusammenhang widmen. Verwundern tut dies nicht, gute und schlechte Führung sind bilanzwirksam

Die Fiedler-Werte

Das hat der österreichische Soziologe schon Anfang der 70er Jahre nachweisen können. Er untersuchte den Zusammenhang von Unzufriedenheit und Leistung. Fiedler stellte fest, dass ethische, wertorientierte Führung ein Unternehmen weniger kostet, als unethische, den Mitarbeiter funktionalisierende Führung.

Die Transaktionskosten

Es beginnt bei den Kosten durch Verletzung von Verträgen, unabhängig, ob schriftlich verfasst oder mündlich vereinbart; werden Absprachen nicht eingehalten, lässt sich ein Mitarbeiter bei funktionaler Führung dies teuer bezahlen. Zusagen, die nicht eingehalten werden, sind in der Reaktion des Mitarbeiters teurer bei unethischer Führung. Mitarbeiter, die bei erheblichem Leistungsdruck erfahren, dass ihre Vorgesetzten Vereinbarungen nicht einhalten, lassen sich diese ‚Vertragsverletzungen’ teuer bezahlen. Bei guter Führung geschieht das nicht. Das gilt auch für Kunden. Fühlt ein Kunde sich unfair behandelt, sinnt er auf Rache. Entweder wechselt er oder er sorgt dafür, dass es für den Lieferanten teuer wird.

Die Migrationskosten

Wenn ein schlecht geführter Mitarbeiter deswegen ein Unternehmen verlässt, dann kostet es viel Geld, einen neuen, gleichwertigen Mitarbeiter zu finden. Die Fluktuation in unethisch geführten Unternehmen ist immer höher als die Fluktuation in ethisch geführten Unternehmen. Das trifft ebenfalls auf Kunden und Lieferanten zu.
Die Interaktionskosten

Schlechte Absprachen, Doppelarbeiten, fehlende Abstimmung kosten ebenfalls in ethisch geführten Unternehmen weniger. Sie treten auch weniger auf. Bei enormem Leistungsdruck will ein Mitarbeiter sich absichern. Er schreibt halt ein Memo mehr, er sichert sich ab. Das führt zu unerwünschten Kosten. Der Aufwand der Absicherung ist übermäßig hoch.

Die Bedeutung der Unternehmenskultur

Menschen verbringen einen Großteil ihres Lebens in Unternehmen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Gleichzeitig ist das ökonomische Motiv im Motivbündel von Menschen in der Minderheit. Allein dadurch muss dem Unternehmen auch ein Großteil an Bedeutung bei der Ausbildung des ethisch-moralischen Bewusstseins von Menschen zufallen. Ethik ist demnach nicht etwas, das notwendig von außen an ein Unternehmen herangetragen werden muss, sondern es kann innerhalb des Unternehmens selbst entstehen. Das findet sich wieder in der Unternehmenskultur. Und Keine Firma funktioniert ohne ethisch-motivierte Unternehmenskultur. Wie ist das zu beweisen?

1. Beweis:

Menschen – in Unternehmen als Mitarbeiter und in Märkten als Nachfrager – handeln immer aus einem Bündel von Motiven, und unter diesen sind die ökonomischen zwangsläufig in der Minderheit.

2. Beweis:
Menschen – in Unternehmen und Märkten – handeln in komplex zusammengesetzte Realitäten hinein, und in denen sind die ökonomischen zwangsläufig in der Minderheit.

3. Beweis:

Im Unternehmen wie im Markt handeln immer Menschen, immer Menschen mit Menschen, immer Menschen für Menschen. Menschen sind aber immer mehr als nur Arbeitskräfte oder nur Nachfrager. Deshalb lässt sich ein Bild dieser Menschen nur außerökonomisch gewinnen, kann man Menschen in Unternehmen nicht bloß ökonomisch führen, kann man mit den Menschen in den Märkten nicht bloß ökonomisch interagieren. Man kann beides nur auf Grund eines ethisch-motivierten Menschenbildes.

Weg von Produktionsfaktor Mensch, hin zum sozialen Glück?

Wer Menschen funktionalisiert, auf den Produktionsfaktor reduziert, beraubt sie um ihr soziales Glück. Das hört sich im ersten Moment fast esoterisch an. Glück meint in diesem Zusammenhang jedoch nicht „Ich habe Schwein gehabt“, sondern Glück meint hier: „Es ist mir gelungen, eben geglückt.“

Beim sozialen Glück spielen vier Faktoren eine entscheidende Rolle. Zunächst ist es der Faktor Selbstdarstellung und/oder Selbstoffenbarung.

Selbstdarstellung


Jeder Mensch hat das Bedürfnis sich angstfrei und unverstellt darstellen zu können. Ich erzähle gern von mir und über mich. Ich möchte sagen können, wie es um mich steht, wie ich mich fühle oder was ich von einer Sache halte. All das möchte ich tun dürfen ohne fürchten zu müssen, dafür gleich einen „über die Rübe" zu kriegen. Wer Menschen nur als Produktionsfaktor sieht, hat kein Interesse an der Selbstdarstellung des Mitarbeiters. Selbstoffenbarung nervt hier. Ein Chef, der Menschen funktionalisiert, lebt nach dem Motto: „Ein guter Mitarbeiter gibt keine Widerworte, macht, was ich sage und ist nie krank, jederzeit hoch belastbar auch über die normale Arbeitszeit hinaus.“

Der zweite Faktor ist die Beziehung

Beziehung
Mitarbeiter möchten wissen, und nicht nur ahnen, was Ihr Chef von Ihnen hält. Und sie möchten sagen dürfen, was Sie von Ihrem Chef halten. Das Prinzip der Reversibilität greift hier; also: ist es in einem Betrieb möglich, dass Mitarbeiter mit Ihrem Chef genauso umgehen, wie dieser mit Ihnen, ohne das die Beziehung gefährdet wird? Funktionalisierende Vorgesetzte haben für die Beziehung keinen Blick. „Um Gottes Willen, wenn ich dem Mitarbeiter sage, was ich von ihm halte, kündigt der vielleicht sofort.“ Nicht wenige Führungskräfte leben eher in der Überzeugung, je weniger der Mitarbeiter weiß, wie ich zu ihm stehe, desto mehr strengt er sich an.
In diesen beiden Bereichen spielt sich der personale Teil eines Menschen ab. Daneben gibt es zwei funktionale Faktoren. Information und Appell

Information

Mitarbeiter wollen wissen, „was Sache ist.“ Sie wollen am Informationsstrom beteiligt sein. Bekommt der Mitarbeiter die gewünschten Informationen nicht, ist e5r nicht bereit, darauf zu verzichten. Also erfindet er Informationen, es kommt zu Gerüchten. Unternehmen, die Mitarbeiter funktionalisieren, haben zumeist eine sehr aktive, brodelnde Gerüchteküche. Nicht selten wollen Unternehmen dagegen etwas unternehmen, sie sorgen für ein Schwarzes Brett, noch ein newsletter und anderes. Die Gerüchte verschwinden jedoch nicht. Und alle wundern sich. Wenn man jedoch weiß, dass eine Information für Mitarbeiter nur dann zutreffend zu deuten ist, wenn er weiß, was der Gesprächspartner von mir hält, wird die Sache anders. Die Einschätzung, was eine Information wert ist, hängt von meiner Beziehung zum Informationsgeber ab. Aber selbst dann ist es noch wichtig zu prüfen, wie in einem Unternehmen mit Informationen umgegangen wird. Dieser Umgang sagt etwas darüber aus, ob Informationen rein funktional ausgetauscht werden oder ob der Informationsaustausch personal stattfindet.
So bleibt als letzter Einflussfaktor noch der Appell.

Appell
In jedem Gespräch schwingt ein Appell mit. Und sei es, dass jemand implizit meint: „Nimm mich ernst", oder: ,Hör mir zu." Die Frage ist nun, werden diese Appelle angenommen oder reduziert sich der Umgang miteinander auf funktionale Appelle wie: „Machen Sie einen guten Job", oder: „Sie sollen immer pünktlich sein."
Auf der Appellebene werden auch Aufforderungen im personalen Bereich aneinander gerichtet. So kann ein Mitarbeiter mit der Aufforderung, mit ihm eine Lösung eines Problems zu besprechen gleichzeitig heißen: „Sagen Sie mir, dass Sie mir vertrauen."

Alle vier Bereiche benötigt ein Mitarbeiter, um sich als Person ernst genommen zu fühlen, würdevoll behandelt zu sehen. Die Reduktion auf die beiden funktionalen Bereiche Appell und Information beraubt den Mitarbeiter um sein soziales Glück.

Die Frage bei der Funktionalisierung von Mitarbeiter oder Reduktion auf den Produktionsfaktor Mensch bleibt letztendlich, ob es gelingt ein Vertrauensklima zu Mitarbeitern aufzubauen, die nicht wissen, was ihr Chef on Ihnen hält, die sich nicht offenbaren dürfen, die Informationen nicht zureichend sicher zuordnen können, und nur Aufforderungen kennen, endlich einen guten Job zu machen. Ich fürchte, die Antwort ist: „Nein.“

Ulf D. Posé