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Brand Reframing statt Schiffe versenken

Auf Positionierungskreuzen werden nur Schiffe versenkt. Aufbohren und Zerschneiden von Marken bringt kaum Erkenntniswert.
Schauen Sie auf den Kontex
Klaas Kramer | 27.12.2009
Vom Kern zum Rahmen

Markenmodelle mit Attributen haben den Pferdefuß, dass sich die kulturelle Distinktionskraft einer Marke schwer in Begriffe fassen lässt. Attribute bedeuten eben nicht für alle Menschen dasselbe. Angebliche Markenkerne, die sich in Claims kristallisieren sollen, sind Behelfswerk (Vorsprung durch Technik, Freude am Fahren).
Einstellungen und Gefühle zu einer Marke sind untrennbar verbunden mit dem kulturellen Kontext, in dem die Marke von einem Beobachter gesehen wird.
Das Konzept Reframing verschiebt den Fokus der Markenführung von Markenkernen und inhärenten Markenattributen auf den kulturellen Kontext einer Marke. Kontext und Marke bedingen sich gegenseitig.
Oberflächliches Wissen über den kulturellen Kontext einer Marke kann zu Fehlschlüssen führen. Marken definieren sich gerade über feinste Unterscheidungen, die durch einen Wertekanon nur unzureichend abgebildet werden.
Die Verschiebung des kulturellen Kontextes wird beim Reframing ausgelöst entweder durch Irritation oder Verführung.
Bei der Irritation wird der Referenzrahmen schockartig gewechselt, wenn z.B. Audi plötzlich nur noch mit Sponsorships und Werbeauftritten in der Gay-Szene auftauchen würde. Bei einer Verführung wird der Referenzrahmen sanft verschoben.
Reframing ist wesentlich näher an der Wirklichkeit der Markenbildung als das überholte Konzept von Positionierung/ Repositionierung.

Brand Reframing Alpicin

Haarausfall – ein Wort, das Männer nicht gerne hören. Alpecin kämpft seit 75 Jahren gegen diese Plage. Als Haarwasser gehörte es selbstverständlich zur Kopfhygiene. Über Jahrzehnte hinweg stand Alpecin in jedem Badregal.
Die Welt veränderte sich. Die Stammverwender wurden immer älter. Für die Jüngeren wurde tägliches Duschen mit Haarewaschen zur Regel. Haarwasser wurde out. Der kulturelle Kontext von Alpicin wanderte immer mehr ins Präteritum.
Ende der 1990er sollte die Marke einer gründlichen Repositionierung unterzogen werden: Von nun an hieß es: „Wartung für die Haare“ und „Dein Haar ist wie ein Motor – ohne Wartung lässt die Leistung nach.“ Die Flasche bekam ein neues Design und erinnerte an das kleine Fläschen mit „Oktan-Booster“, das sich Tuning-Liebhaber an Tankstellen holen konnten. Der kulturelle Frame von Alpicin wechselte vom „Wässerchen für Opa“ zu „Testosteron-Booster“.
Damit wurde das Reframing zwar vollzogen, aber auf Kosten der Anschlussfähigkeit. Mit der Tabuisierung des „Problem Glatze“ verflachte auch das Nutzenversprechen. Die Geschichte „Alpecin ist das beste Mittel gegen Haarausfall“ musste unbedingt weitererzählt werden.* Ein harmloser Satz auf der Flaschenrückseite kam dem zur Hilfe und löste unbeabsichtigt und PR-Welle aus: „Hinweis für Leistungssportler: Alpecin-Coffein kann im Haarfollikel nachgewiesen werden.“ Hier griff die Presse zu: „Doping-Shampoo auf dem Markt“.

Reframing = IB + BS

Nach der Mikunda-Formel: Reframing = Interferential Beliefs (Klischees) + Brain Scripts (Drehbücher im Kopf) lässt sich der Erfolg des Reframing veranschaulichen:
Die Komposition von Klischees wie „Männer mit Glatze haben mehr Testosteron“, „Eitelkeit ist männlich“ oder „Coffein ist auch Doping“ erzeugt Geschichten, die an Brain Scripts andocken: „Dann bin ich eben eitel. Aber Haarausfall muss ich nicht haben.“ oder „Ich darf nachhelfen: Wie Jan Ulrich beim Radfahren, kann auch ich ein bisschen dopen. Das ist ein sexy Kavalliersdelikt.“

Was ich noch schreiben wollte…

Vereinzelt wird noch eine konzeptionelle Unterscheidung vorgenommen zwischen Bedeutungs-Reframing und Kontext-Reframing (=Perspektiv-Reframing). Sie ist hinfällig, da es im konstruktivistischen Verständnis keinen von der Beobachter-Perspektive unabhängigen Kontext gibt. Würde man einen solchen Kontext dennoch unterstellen, dann hätte dieser keine empirische Relevanz.
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Über Klaas Kramer

Vermittlung von Konzepten, Denk- und Handlungsmodellen für Bewusstwerdungsprozesse zur Vorbereitung auf künftige Herausforderungen im Marketing-Mana