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Gibt es eine doppelte Markenidentität?

Starke Marken haben genau eine Identität. Oder doch nicht?
Klaas Kramer | 27.12.2009
Blöde Frage, denken Sie vielleicht. Starke Marken haben genau eine Identität. Punkt.
Will der Kramer uns wieder mit pseudointellektuellen Quergedanken die klassische Marketingtheorie madig machen und die eisernen Gesetze der identitätsbasierten Markenführung ad absurdum führen?
In vielen Gesprächen der letzten Wochen konstatierten meine Gesprächspartner: „Na ist doch klar: Die Firma will dieses Image haben und ist genau anders. So ist doch Marketing oder etwa nicht?“

Dem Januskopf auf den Leim gegangen?

So klar war mir das vorher nicht. Ich habe immer brav den Marketinglehrbüchern geglaubt, in denen steht, dass Wunschbild, Selbstbild und Fremdbild so weit wie es geht im Einklang stehen müssen. Dann hätte man automatisch eine starke Marke.
Wenn doch aber das offizielle und in Werbewelten vorgespielte Markenwesen lieb, sexy und kumpelhaft ist, alle Menschen sich aber unausgesprochen einig sind, dass die Firma dahinter eiskalt und bösartig sein soll, was ist denn davon die Markenidentität?
Oder glaube nur noch ich als alter Ossi an Aufrichtigkeit, während der Rest der Welt es ganz normal findet, dass es einerseits die Fassade gibt, andererseits der wahre Kern dahinter immer anders ist und sich Marken von Menschen darin nicht unterscheiden?
Ich dachte bis vor kurzem, ich sei der einzige, dem bei Nike als erstes der Auftritt von Phil Knight in Michael Moore's Film The Big One einfällt, während alle anderen an siegende Spitzensportler denken.

Genial: kalkulierter Subtext

Jack Wolfskin hat das elefantöse Auftreten nach dem Dawanda-Abmahn-Skandal (Hausfrauen, die noch nie vorher von Jack Wolfskin gehört hatten, wurden abgemahnt, weil sie Platzdeckchen mit Katzenpfötchen bestickt auf der Internetplattform Dawanda zum Kauf anboten) kaum geschadet, auch wenn „die Bloggosphäre“ es gerne so gehabt hätte.
Offiziell ist Jack Wolfskin Outdoor-Ausstatter für ehrlicher aufrichtige Menschen mit Herz und Rückrat. Der Subtext: Jack Wolfskin ist eine Mainstream-Marke für Stadtmenschen, die sich auch sonst im Konsumverhalten an den (gefühlten) Marktführer halten, weil der größer und stärker ist als die anderen.

Noch genialer: geheimer Subtext

Audi wird immer mit der technischen Vorsprungsrolle in Verbindung gebracht. Die mag mitunter vorhanden sein, aber spielt sie eine Rolle für die emotionale Strahlkraft? Eher ist es das Selbstwert-Doping, das von einem Audi auf Fahrerin und Fahrer übergeht. Um zu wirken, darf es – genau wie richtiges Doping – nicht erwähnt werden.
Wenn kommuniziert würde, dass Audi als Marke auf das brennende Problem des Geltungsbedürfnisses abstellt, wäre diese Problemlösungskraft am schwinden.
In diesem unbewusst spürbaren Geheimnis liegt der Kern des Markenerfolgs. Vorsprüngliche Technik liefert „nur“ ein glaubhaftes und anerkanntes Alibi.
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Über Klaas Kramer

Vermittlung von Konzepten, Denk- und Handlungsmodellen für Bewusstwerdungsprozesse zur Vorbereitung auf künftige Herausforderungen im Marketing-Mana