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Handelskonjunktur 2009/2010 in der Krise?

Die Konsumenten wollen nicht, wie sie sollen
Ulrich Eggert | 27.05.2009
Die weltweite Finanzkrise hat mittlerweile voll auf die reale Wirtschaft durchgeschlagen: Das Weltwirtschaftswachstum und -handelsvolumen dürfte nach letzten Schätzungen von IWF, OECD und EU in diesem Jahr erstmalig seit langer Zeit eher rückläufig sein, als dass es wächst.

Verschiedene Verbraucherbefragungen, u. a. auch der GfK, zeigen, dass diese harten Fakten bisher in den Köpfen der Verbraucher noch nicht voll angekommen sind. Wird das aber so bleiben können?

Vor diesem Hintergrund stellt sich die entscheidende Frage, wie sich der deutsche Einzelhandel in 2009 und 2010 entwickeln mag. Wenn man versucht, eine möglichst faktenbasierte Prognose für diesen Zeitraum zu entwickeln, dann ergibt sich das im Folgenden geschilderte Bild.

Die relativ positive konjunkturelle Entwicklung Deutschlands in den letzten Jahren war vor allen Export-getrieben. Die Binnennachfrage in Deutschland trägt nur ca. 55 Prozent zur gesamten BIP-Leistung bei, in den USA liegt dieser Wert bei 70 Prozent und darüber. Durch die rezessiven Erscheinungen in vielen Staaten weltweit ist – wie schon zu Anfang erwähnt – der Welthandel mehr oder weniger zusammengebrochen, was sich in sinkenden Exportzahlen Deutschlands bereits zum Ende des letzten Jahres wie aber vor allen Dingen auch im Januar und Februar dieses Jahres gezeigt hat mit Werten von je nach Branche bis zu 40 Prozent Rückgang.

Zwangssparen

Ein solcher Einbruch kann durch die Verbrauchernachfrage im Binnenbereich nicht aufgefangen werden. Denn auch das Bild auf der Verbraucherseite ist doch wenig positiv gestimmt. Die Einkommenssteigerungen in diesem Jahr dürften aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Lage nicht besonders hoch ausfallen – in Nettoreal-betrachtung wahrscheinlich nicht über 0,5 – 1,0 Prozent Zuwachs. Die Preis-entwicklung insgesamt in diesem Jahr wird allerdings relativ niedrig ausfallen, wahrscheinlich um 0 Prozent, wobei das in diesem Fall nicht als Deflation zu werten ist, sondern allein oder besonders stark auf die Rückführung der Preise im Energiebereich zurückzuführen sein wird.

Von daher werden als vordergründig positiver Effekt für die Verbraucher sogar zusätzliche Gelder frei, wobei sich dieser Trend aber sofort umkehren wird, sobald die Wirtschaft auch nur etwas anzieht.

Diese freien Gelder werden jedoch nur in einem geringen Umfang in den Konsum fließen können, da wir ja nun spätestens seit der Jahrtausendwende wissen, dass die Staatsrenten in Deutschland keineswegs der Höhe nach sicher sind und daher jeder darauf angewiesen ist, sich eine zweite kapitalbasierte Zusatzrente aufzubauen – mit den schönen Namen Riester- oder Rürup-Rente benannt. Auf diese Weise sind wir zum „Zwangssparen“ gekommen, das zu einem Anstieg der Sparquote führt. In „klassischen Zeiten“ lag die Sparquote in Westdeutschland immer zwischen 12 und 13 Prozent des jährlichen Einkommens, war dann durch die Wiedervereinigung auf unter 10 Prozent gesunken, mittlerweile ist sie wieder bei knapp 12 Prozent angekommen. Diese Gelder werden dem Konsum entzogen, und zwar langfristig!

Das vordergründig positive Bild verstärkt sich noch dadurch, das bisher die Arbeitslosigkeit nur leicht gestiegen ist und noch immer unter den Werten vom Beginn des Jahres 2008 liegt, von 2007, 2006 oder gar 2005 gar nicht erst zu reden. Das liegt aber daran, dass aufgrund der Hartz IV-Gesetze und ähnlicher Überlegungen eine starke Flexibilisierung der Arbeit in Deutschland entwickelt worden ist und so werden zunächst einmal die Arbeitszeitkonten in den einzelnen Firmen aufgebraucht. Das dürfte jedoch spätestens nach Ostern der Fall sein, so dass dann Kurzarbeit noch weiter zunehmen wird und spätestens ab der Sommerpause auch aus dieser Quelle die Arbeitslosigkeit zusätzlich gespeist wird und wir im Herbst des Jahres, spätestens aber ab dem Beginn der Kälteperiode wieder mit relativ hoher Arbeitslosigkeit zu rechnen haben.

Diese Entwicklung wird dem Verbraucher über kurz oder lang nicht verborgen bleiben, so dass er typisch deutsch reagieren wird: Er beginnt mit dem „Angstsparen“. Auch das wird dem Markt weiter Geld entziehen.

Die Nachfrage driftet ab zu Dienstleistungen

Seit Jahren wachsen in Deutschland die Einzelhandelsausgaben geringer als die privaten Verbrauchsausgaben insgesamt. Das hat vor allen Dingen damit zu tun, dass ebenso seit einigen Jahren eine starke Drift der Nachfrage in Richtung Dienstleistungen festzustellen ist. Bereits im Moment werden über 52 Prozent aller Verbrauchsausgaben im Dienstleistungssektor getätigt, der Anteil der Warennachfrage sinkt weiter und das Entscheidende ist ja zudem, dass der Handel selbst nur einen Teil der Warennachfrage deckt. Konkurrenten des Handels in diesem Sinne sind natürlich das Handwerk, aber auch die Industrie selbst, die immer stärker direkt an den Endverbraucher vertreibt, oder durch Käufe im Ausland usw. Dadurch ist der Anteil des Handels an der privaten Nachfrage mittlerweile auf unter 30 Prozent gesunken und er ist auf dem Weg in Richtung 25 Prozent. Das bedeutet eine globale Schwächung der Verbrauchernachfrage im Handel.

In die gleiche Richtung geht, dass die Einwohnerzahlen bereits seit zwei/drei Jahren leicht sinken und nicht erst – wie von den meisten Instituten vorausberechnet – erst ab 2010/12.

Ein Übriges bewirkt ungewollt die Abwrackprämie für alte Autos: Der Fuhrpark der Deutschen ist im Durchschnitt ca. 8 ½ Jahre alt und damit liegt in etwa die Hälfte aller Autos im prämienberechtigten Bereich und die Zahlen, die momentan veröffentlicht werden, zeigen, dass davon kräftig Gebrauch gemacht wird. Auch diese Ausgaben, die sich ja pro Fahrzeug sicherlich im Durchschnitt bei 12. – 15.000 Euro oder sogar höher bewegen, entziehen dem klassischen Einzelhandel kräftig Kaufkraft.

Mit welchen Wachstumsraten dürfte denn letztendlich im Einzelhandel auf dieser Basis in diesem und im nächsten Jahr zu rechnen sein? Die Konjunkturprognosen laufen darauf hinaus, dass das BIP in Deutschland in diesem Jahr um 5 – 6 Prozent oder vielleicht sogar noch stärker fallen wird, Negativszenarien gehen ja bis auf 8 – 10 Prozent Rückgang. Wenn alles besser läuft, als befürchtet, könnte ab Herbst eine leichte Trendwende eintreten und das Jahr 2010 eine Wachstumsrate des BIPs zwischen 0 und + 1 Prozent aufweisen. Bei gleich laufenden Prozessen wie bisher – die Nachfrage „wächst“ langsamer als das BIP - müsste demnach der Einzelhandel in Deutschland in diesem Jahr ebenfalls um ca. 3 Prozent real sinken. Aufgrund der relativ positiven Effekte in den ersten zwei bzw. drei Monaten d. J. ist aber damit zu rechnen, dass der Gesamtumsatz des Einzelhandels im Jahre 2009 nicht so stark fallen wird, jedoch spätestens in der zweiten Jahreshälfte eine Drift nach unten erhält, so dass auf das Jahr gerechnet mit einem nominalen Rückgang zwischen 1,5 und 2,5 Prozent zu rechnen ist, real bedeutet das in etwa 2,0 – 2,5 Prozent Umsatzminus im Einzelhandel in 2009. Für das Jahr 2010 ist auf der Basis dieser Überlegungen mit einem nominellen Wachstum von 1,0 – 1,5 Prozent, aber eher einer Stagnation im realen Bereich zu rechnen.

Discounter als Profiteure

Starke Profiteure von dieser Entwicklung dürften die Discounter sein, die im Jahre 2008 bereits einen Marktanteil im SB-Lebensmitteleinzelhandel von ca. 43 Prozent erreicht hatten. Dieser Anteil dürfte bis Ende 2009 auf 45 – 46 Prozent steigen, Ende 2010 wird er wohl bei 48/49 Prozent liegen, bei einer Fortsetzung des Negativszenarios bei 50 Prozent und mehr. Ein weiterer genereller Profiteur der Gesamtsituation, weniger der schlechten wirtschaftlichen Lage, ist der Online-Versandhandel, der dazu führt, dass der Versandhandel insgesamt bis Ende 2010 sicherlich in Deutschland einen Marktanteil von 9 – 10 Prozent erreichen wird bei einer Ausgangslage von 7,5 Prozent Ende 2008.

Auf der anderen Seite wird die Situation den Absturz der Warenhäuser in der Gunst der Verbraucher weiter beschleunigen. Hatten diese Mitte der 70er Jahre noch einen Anteil von 13,5 Prozent in Deutschland, so war er bis Ende 2007 auf gut 3 Prozent abgesunken. Nach Herausgliederung der Hertie-Häuser aus dem Karstadt/Arcandor-Konzern und der Umwidmung vieler dieser Häuser sowie zusätzlich zu erwartender Schließungen beider noch existierender Warenhauskonzerne dürfte im Endeffekt der Marktanteil der Warenhäuser Ende 2010 bei 2,0 bis vielleicht 2,2 Prozent in Deutschland liegen. Weiterhin erheblich betroffen sind die Kerne der großen Universalversender, soweit sie noch hauptsächlich auf dem Kataloggeschäft basieren, nicht jedoch deren Fach- und Online-Töchter.

Preiskämpfe und Restrukturierungen

Die Situation wird insgesamt dazu führen, dass aggressive Anbieter ihre Werbeanstrengungen enorm ausbauen werden, um die wirtschaftliche Marktschwäche für sich zu nutzen. Das heißt auch verstärkte Rabattaktionen, mit denen – nach dem Vorbild der Autoindustrie (die ja auch erhebliche Rabatte zu den Abwrackprämien noch dazu legt) – in anderen Branchen mit ähnlichen Aktionen zu rechnen sein wird, etwa im Bereich Geschirr, Pfannen, Bestecke usw. ist dies ja bereits momentan feststellbar. Auch die momentanen Preisaktionen der Discounter zeigen den weiteren Weg.

Sicherlich ist auch mit einer Rückführung von Investitionen vor allen Dingen in Handelsimmobilien zu rechnen, was dem Markt aber nicht schadet, da wir momentan einen Flächenüberhang gegenüber Anfang der 1990er von ca. 40 Prozent im deutschen Handel haben, was nicht anderes heißt, als dass 40 Prozent heiße Luft im deutschen Handel ist. Und diese Luft muss raus und sie wird rausgehen! Denn die wirtschaftliche Situation wird zu einem Anstieg der Insolvenzen führen, wahrscheinlich weniger zulasten der kleineren familiengeführten Betriebe, die versuchen, sich im privaten Bereich zu strecken, sondern stark im Bereich der Filialunternehmen. So ist neben dem Abschmelzen der Warenhäuser und des Kfz-Handels sicherlich mit enormen Schwierigkeiten im Bereich der Bau- und Heimwerkermärkte und des großen Möbelhandels zu rechnen, die in den 1990er Jahren enorme Flächenkapazitäten vor allen Dingen in Ostdeutschland aufgebaut haben, wo einfach nicht die Kaufkraft vorhanden ist, um diese Flächen auszulasten. Bei einer Minderauslastung auch im Westen wird das unweigerlich zu Insolvenzen führen.

Dem deutschen Handel steht in der jetzigen Konjunkturkrise die größte Restrukturierung des gesamten Netzes seit Jahren bevor!

Wurde bereits zuvor erwähnt, dass der Discountbereich stark anwachsen dürfte, gilt das insbesondere auch für den Near- und Pseudo-Discountbereich. Unter Near Discountern versteht man Unternehmen wie die Fachmärkte, die knallhart kalkulieren, aber sich sehr häufig durch differenzierte Kalkulation, Bedienungsinseln und extreme Werbung vom Discount absetzen, wie zum Beispiel MediaMarkt. Unter Pseudo-Discountern sind Unternehmen zu verstehen, die sich ein Mäntelchen des Lifestyles umgehängt haben und damit ihrem Unternehmen ein anderes Gesicht geben als die Discounter, wie etwa Hennes & Mauritz und auch IKEA, die eine Zwischenposition zwischen Near- und Pseudo-Discounter ausmachen.

Luxus bricht ein

Ein starker Einbruch des Luxus-Marktes zeichnet sich ebenso ab, denn in Deutschland ist der Luxus-Markt schon immer abhängig von der konjunkturellen Situation gewesen. Der Luxus-Markt ist in den letzten Jahren weltweit gewachsen, wenig jedoch in Europa und erst recht nicht in Deutschland, sondern vor allen Dingen in Russland, Arabien, China und Indien. Aber auch überall dort herrscht die weltweite Flaute und das bedeutet einen z. T. scharfen Einbruch in diesem Segment.

Das bietet insgesamt eine Chance für eine „Neue Mitte“, die durchaus aggressiv auftritt und dem Luxus- wie auch dem Discount-Segment Anteile abnehmen könnte. Das sind zum Beispiel total emotionalisierte Produkte, Convenience-Produkte, Bio-Produkte, Functional Food, aber auch eine Mercedes A-Klasse, die in ihrem Feld große Chancen hat, und auf der anderen Seite ein VW Tourag, der als Luxus-Fabrikat von einem Massenhersteller herausgegeben wird. Alles das ist teurer als „Billig“, aber billiger als Luxus.

Insgesamt ist in den nächsten zwei Jahren ein starker Umbruch des deutschen Handels zu erwarten: Warenhäuser und Großversender verlieren, nicht ausgelastete Filialketten kommen in Schwierigkeiten, Discounter und Fachmärkte wie auch der Online-Handel sind die Gewinner. Der Niedrigpreisbereich und eine sehr differenziert zu betrachtende „Neue Mitte“ sind im Preislagenaufbau die Sieger der Situation.



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