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Stammtisch Internet - Kommunikation mit dem Kunden im Zeitalter von Web 2.0

Dialog statt Monolog - Kunden stellen heutzutage neue Anforderungen an Marketingabteilungen und Unternehmen: Stammtisch statt Bühne ist gefragt.
Thomas Hörner | 22.12.2007

Der folgende Artikel ist in gedruckter Form erschienen in: "eBriefing - Beraterbrief für strategisches Onlinemarketing". Weitere Ausgaben sowie ein kostenfreies Abonnement für leitende Mitarbeiter in Unternehmen finden Sie unter www.ebriefing.de im Internet.

Es geht wieder hoch her beim wöchentlichen Zusammensein der Stammtischbrüder: Andreas hat sich gestern ein teures Fahrradschloss gekauft und als Bonus noch eine Fahrradklingel dazu bekommen. Mist sei die. Schon beim Anschrauben ist die Schraube durchgedreht. Was denn so ein Bonus solle. Umtauschen werde er die Klingel morgen im Sportgeschäft.

Jetzt springt Gustav ins Gespräch. Man müsse arg aufpassen, an welchen
Mitarbeiter man dort komme. Manche wiegeln nur ab. Aber der Herr Fahrmann, der sei echt kompetent und helfe immer weiter. Und dem,
mischt sich Jonas am Stammtisch ein, sollte man mal sagen, dass es doch
viel besser wäre, wenn man als Bonus zwischen einer Fahrradklingel oder
einen Ersatzschlüssel für das Schloss wählen könnte.

Thomas hört seinen Kumpanen ganz genau zu: er hat selbst ein Unternehmen und lernt jeden Freitag viel über seine Kunden (auch wenn er natürlich, stammtischtypisch, gerne selbst mal über Lieferanten oder
machen Kunden herzieht).

Das Internet – der reinste Stammtisch

Was das alles mit Onlinemarketing zu tun hat? Nicht mehr und nicht weniger,
als dass genau diese Gespräche heute laufend und in großer Zahl stattfinden. Nicht mit wenigen Personen am runden Holztisch, sondern mit tausenden Teilnehmern quer durch Deutschland, Europa und die
Welt – eben im Internet.

Tagtäglich veröffentlichen tausende von Konsumenten ihre Erfahrungen und diskutieren eingelöste oder nicht eingelöste Werbeversprechen. Manche testen Produkte extra, um die Ergebnisse zu veröffentlichen, während andere die Test wiederholen. Wieder andere kommentieren diese öffentlich.

Wichtiger Unterschied zum Kneipenstammtisch: es sind nicht nur Stammtischparolen, sondern oft sehr qualifizierte Rückmeldungen zu Produkten. Manche können es sogar mit professionellen Produkttests
aufnehmen.

Die Sprengkraft des Internets

Von vielen Unternehmen noch nicht in vollem Umfang wahrgenommen werden die Chancen und Risiken, die mit der Verlagerung von Gesprächen ins Internet einhergehen.

Ein reales Beispiel soll die Sprengkraft des Internets aufzeigen: der Fall Kryptonite, einem Hersteller von Fahrrad-Bügelschlössern.

Im Jahr 2004 ärgert sich ein Käufer, dass ein bestimmter Typ von Schloss nicht sicher genug ist. Vor Aufkommen des Internets hätte er das im Freundeskreis herumerzählt, es hätten sich 5 bis 20 Leute aufgeregt und
das Thema wäre bald wieder versickert – kein wirkliches Problem für den Hersteller.

Wir haben aber das Zeitalter des Internets. Der Kunde hat seinen Ärger in seinem kleinen, kaum gelesenen Weblog veröffentlicht. Allerdings haben
andere Weblogs das Thema verbreitet und ein Fahrradforum (bikeforums.net) hat zwei Tage später ein Video ins Internet gestellt, wie das Schloss mit einem Kugelschreiber in 30 Sekunden zu öffnen ist. Viele
andere Internetnutzer probierten, bestätigten und kommentierten
das in einer Vielzahl von Foren.

Noch in der gleichen Woche fi nden Journalisten das Thema im Internet und veröffentlichen es in regionalen Tagesszeitungen. Die Welle rollt weiter – mit dem Effekt, dass nur 6 Tage nach der ersten unbedeutenden
Bemerkung im Internet die New York Times und der Boston Globe darüber berichten.

Größer kann ein Schaden für ein Unternehmen nicht sein. Und alles ausgelöst durch eine einzige Äußerung in einem kleinen, unbekannten Weblog.

Was im Internet anders ist

Warum erreicht das Internet eine solche Sprengkraft? Es sind die
ganz grundlegenden Eigenheiten dieses Mediums:

- Reichweite: Positive wie negative Meinungen reichen heute weit über persönliche Kontakte hinaus. Jede Konsumentenäußerung wird im Internet gleich von hunderten oder tausenden von Internetnutzern gelesen. Das
kann zu einer exponentiellen Verbreitung führen – im positiven Fall einer viralen Werbekampagne, in negativen Fall wie bei Krytonite.

- Interaktivität: im Gegensatz zu anderen Massenmedien ist der Konsument im Internet nicht mehr nur Empfänger von Botschaften. Er ist
absolut gleichberechtigter Kommunikator zu Unternehmen und mit anderen Konsumenten. Hatten Unternehmen in den bisherigen Massenmedien noch einen sehr hohen Wissensvorsprung über ihre eigenen Produkte, verschiebt sich diese Informationshoheit mit dem Internet stärker in Richtung Konsument.

- Orts- und Zeitunabhängigkeit der Internetnutzung: sie führt dazu, dass sich viel mehr Konsumenten an einem Gespräch beteiligen. Es ist nicht mehr notwendig, zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten
Ort zu sein, um mit anderen Konsumenten zu kommunizieren – das ist jetzt jederzeit und von überall möglich.

- Vernetzung: im Gegensatz zu anderen Medien (z.B. Leserbriefe in Printmedien) können andere Internetnutzer Informationen kommentieren, diskutieren und weiterleiten. Das kann im Extremfall zu
einem Dominoeffekt innerhalb von Stunden oder Tagen führen.

- Dauerhaftigkeit: auch wenn das Medium Internet ein fl üchtiges Medium ist: Inhalte werden in Datenbank und Suchmaschinen sehr lange gespeichert. Eine Welle negativer Meinungen ist auch noch Jahre später in
Suchmaschinen zu fi nden und muss durch sehr langfristige Maßnahmen neutralisiert werden.

Dialog statt nur im Fokus stehen

Alle diese Eigenheiten des Internets erzwingen von den Unternehmen einen neuen Umgang mit dem Konsumenten. Sie erzwingen den Übergang zu einem dialogorientierten Marketing, das viel direkter am Kunden ist als bisheriges Marketing. Nehmen Sie den Kunden als Partner und nicht nur als Käufer ernst:

Richten Sie ihr Marketing als einen Dialog aus. Auch heute noch werden die meisten Marketingbotschaften im Unternehmen oder deren Agentur kreiert und über die Einbahnstraße Massenmedium hin zum Konsumenten
geschleußt. Einen Rückkanal gibt es selten.

Das Massenmedium Internet bietet jetzt erstmals die Möglichkeit eines echten Dialogs zwischen Unternehmen und Konsument wie auch zwischen
mehreren Konsumenten. Sehr viele Internetnutzer nehmen diese Chance schon war – die meisten Unternehmen tun sich aber weiterhin schwer mit dieser Kommunikation in mehrere Richtungen. Genau hier aber steckt die Chance, die Kunden enger an ihr Unternehmen und ihre Produkte zu binden.

Arbeiten sie immer mit wertvollen und ehrlichen Informationen. Smalltalk ist viel weniger wertvoll als inhaltsreiche Gespräche. Viele Marketingaktivitäten von Unternehmen beschränken sich aber auf eher oberflächliche Informationen und kurze Werbebotschaften. So etwas wirkt im Zeitalter des Internets wenig überzeugend, ja sondern sogar negativ (als hätten Sie etwas zu verbergen).

Kommunizieren sie offen und umfassend. Erzählen Sie Hintergründe zu Ihren Produkten und gestehen Sie notfalls Fehler öffentlich ein. Hätte Kryptonite in oben genanntem Beispiel nach wenigen Tagen des Problems
auf der eigenen Website eingestanden, es gleichzeitig durch Nennung des einzigen betroffenen Fahrradschlosstyps begrenzt und eine Verbesserung
in kürzester Zeit versprochen – die Berichterstattung in den großen Printmedien wäre sicherlich anders ausgefallen. Journalisten fanden aber
kein Wort aber auf der Website des Unternehmens oder in Diskussionforen. Das Unternehmen schwieg. Und so wurde der Satz
„Unsere Fahrradschlösser sind die besten“ auf der Unternehmenswebsite zum ironische Aufhänger für so manchen Journalisten.

Beteiligen Sie die Konsumenten aktiv. Diese wollen heutzutage aktiv mit einbezogen werden. Sie wollen nicht mehr reine Konsumenten sein, die
hinter Unternehmensmauern entwickelte Produkte kaufen. Konsumenten wollen zu Prosumenten werden. Sie wollen aktiv an Entwicklung und
Produktausgestaltung beteiligt sein. Vielfältige Diskussionforen zur Weiterentwicklung von Produkten zeigen, wie aktiv sich Konsumenten gerne beteiligen. Auch der Trend zu individualisierten Produkten zeigt
diese Entwicklung deutlich.

Konkrete Empfehlungen für Ihr Unternehmen

- Beschwerdemanagement: Kein Produkt hat nur positive
Seiten. Und ob berechtigt oder nicht: Beschwerden von Konsumenten wird es immer geben. Die meisten Beschwerdeabteilungen warten auf die von Kunden eingereichten Beschwerden und bearbeiten diese mehr oder weniger kulant.

Das genügt heutzutage nicht mehr. Viel zu oft werden Probleme mit Produkten bereits längst im Internet diskutiert, noch bevor das
Unternehmen überhaupt einen Beschwerde bekommt. Deshalb muss modernes Beschwerdemanagement von passiver Reaktion zu aktiver
Suche nach Beschwerden übergehen. Ein regelmäßiges Screening von Internetforen und Weblogs ist heutzutage unerlässlich.

Es geht aber nicht nur um einen Recherche nach Beschwerden. Filtern und Klassfi zieren Sie im Internet zu fi ndende Erfahrungen mit Ihren Produkten. Versuchen Sie Ihre Produkte anhand dieser Erfahrungen zu verbessern und vergessen Sie nicht, genau diese Verbesserungen auch wieder im Internet positiv zu kommunizieren.

- Customer Relationship: Verankern Sie den Dialog personell und strukturell in Ihrem Unternehmen. Es genügt nicht, wenn die Marketingabteilung die nächste Kampagne entwickelt und im Callcenter
Standardfragen beantwortet werden. Verankern Sie den Kundendialog fest in Ihrer Marketingabteilung. Und machen Sie Gespräche mit großen
Kundenkreisen zu einem festen Teil ihrer Marketingkampagnen. Klare Verantwortlichkeiten innerhalb Ihrer Marketingabteilung, geeignete
Kommunikationsregeln und -abläufe müssen definiert werden. Nur auf diese Weise kommen Sie zu einer einheitlichen und glaubwürdigen Wahrnehmung durch die Konsumenten.

- Marktforschung: Nutzen Sie die Gespräche im Internet, um sich Wettbewerbsvorteile zu sichern. Analysieren Sie, wie über Ihre Produkte gesprochen wird. Benutzen Sie das Internet aber nicht nur zur passiven Analyse, sondern binden Sie aktive Konsumenten direkt ein. Stellen Sie Alternativentwürfe neuer Produktvarianten im Internet vor und lassen Sie diese (evtl. durch einen ausgesuchten Kundenkreis) beurteilen. Sie erhalten so noch vor der Markteinführung wertvolles Feedback direkt von Ihrer Zielgruppe.

- Markenführung: Markenführung muss an die veränderte Kommunikation im Internet angepasst werden. Da sich die eBriefing-Ausgabe September 2007 diesem Thema sehr ausführlich gewidmet hat, soll es hier nicht weiter ausgeführt werden. Laden Sie sich die Ausgabe „Marken
– führen und führen lassen“ einfach im Internet herunter
(www.ebriefing.de).

- Individualisierte Produkte: Lassen Sie Ihre Kunden eigene Produktvarianten schaffen. Fast jedes Produkt eignet sich hierfür. Ob die einem persönlichen Text bedruckte Schokolinsen von M&M (www.mymms.com), T-Shirts mit eigenem Design bei Spreadshirt.net, das individuell gemischte Müsli von mymuesli.de, die Tapete mit dem eigenen
Motiv oder die tausenden von Alternativen beim Konfi gurieren des neuen Autos: sie alle zeigen, was den Kunden schon jetzt im Internet geboten wird. Und die Bespiele zeigen auch, dass eine Individualisierung in praktisch jeder Produktgruppe denkbar ist.

- Neue Arbeitsteilung: Denken Sie darüber nach, wie Sie die vielen Talente
„da draußen“ nutzen können. Nicht immer ist gerade der beste Designer gerade in Ihrem Unternehmen angestellt und nicht immer hat gerade
Ihre Agentur die beste Idee, die es gibt. Schreiben Sie Teilaufgaben des Marketings öffentlich aus – Sie werden sich wundern, wie professionell die
Ergebnisse bei gut organisierten Internetwettbewerben sind.

Zusammengefasst Um noch einmal auf die Eingangsgeschichte mit dem
Stammtisch zurück zu kommen: letztendlich müssen sie nicht anderes tun, als sich im Internet an einen großen Tisch zu setzen. Sie müssen mit den Leuten am Tisch (ihren Kunden) sprechen. Sie können dort von Ihren
Produkten erzählen, müssen aber auch Fragen beantworten. Sie sollten Verbesserungsvorschläge heraushören oder aktiv bei Kunden nachfragen.
Wichtig dabei: sie müssen die Gesprächspartner ernst nehmen, qualitativ
hochwertig kommunizieren und gegebenenfalls in Krisensituationen innerhalb von Tagen reagieren.

Viel Erfolg. Ihr Thomas Hörner,
Autor und Berater für strategisches Onlinemarketing
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Über Thomas Hörner

Redner, Buchautor, Berater, Dozent für E-Commerce & strategisches Onlinemarketing. Online-Erfahrung seit über 25 Jahren.