print logo

Studie: "Machen uns grüne Produkte zu besseren Menschen?"

Welche Folgen hat der sogenannte "ethische/ grüne Konsum"? Eine Studie zeigt verblüffende Befunde über implizite (unbewusste) Wirkungen.
Markus Paul | 11.05.2011
In den letzten Jahrzehnten haben Verbraucher ihre Aufmerksamkeit immer mehr auf soziale und ethische Fragen des Konsums gelenkt - zum Beispiel bei dem Thema Energie, auf die Probleme der Tierhaltung sowie ganz generell zu den Produktionsbedingungen von Produkten. Eine erhöhte Besorgnis und das Gefühl der Verantwortung für die Gesellschaft hat weltweit ein beachtliches Wachstum für umweltfreundliche Produkte bewirkt. Im Zentrum dieser Entwicklung, die teilweise als „ethischer Konsum“ oder „grüner Verbrauch“ bezeichnet wird, liegt die Annahme, dass Kaufentscheidungen nicht nur Präferenzen für (günstige) Preise und (hohe) Qualität ausdrücken, sondern auch allgemeine Normen, Werte und Überzeugungen. Diese Annahmen haben weltweit viele Forschungsbemühungen in Gang gesetzt, um den "ethischen Verbraucher" aufzuspüren: Welche soziodemographischen Variablen und welche Persönlichkeit und Werte zeichnen ihn aus?

Forscher von der Universität von Toronto haben jüngst ein weiteres, besonders schillerndes Mosaikstein zum „ethischen Konsum“ beigetragen. Sie haben nämlich nicht untersucht, ob bestimmte Werte und Normen den „Griff zum grünen Produkt“ fördern oder hemmen, sondern sie sind der umgekehrten Frage nachgegangen, welche Folgen „ethischer Konsum“ für das sonstige Verhalten der Konsumenten hat. Dabei hatten sie die spannende Vermutung, dass sich die reine Anwesenheit von „grünen Produkten“ unbewusst auf das Verhalten auswirkt - ein Phänomen das auch als „Mere Exposure“-Effekt bezeichnet wird. Wie kann man sich diesen Effekt vorstellen und wie kommt er zustande? Hierzu muss man kurz auf den mentalen Mechanismen des sogenannten „Primings“ eingehen, den auch Forschungsbüro im Rahmen von Marken- und Kommunikationstests als Testinstrument einsetzt: Bitte stellen Sie sich einmal vor, dass Ihnen auf einem Bildschirm nacheinander Eigenschaften dargeboten werden wie zum Beispiel „gierig“, „leblos“, „heiter“, „ehrlich“ usw. Sie sollen durch einen Tastendruck jeweils so schnell wie möglich entscheiden, ob die Eigenschaft eine „positive“ (q-Taste) oder „negative“ (p-Taste) Bewertung hat. Zeitlich sehr dicht vor der Darstellung der Eigenschaft werden Ihnen nun Logos von Automarken gezeigt - und zwar so kurz (27 Millisekunden), dass Sie das Logo nicht bewusst erkennen können bzw. noch nicht einmal bemerken, dass überhaupt etwas gezeigt wurde. Dieses Logo ist der sogenannte Primereiz. Sollten Sie nun ein (überzeugter) BMW-Fahrer sein, dann werden Ihre Reaktionszeiten nach den üblichen Forschungsergebnissen bei positiven Eigenschaften deutlicher schneller sein als bei negativen Eigenschaften (bzw. im Vergleich zu Kontroll-Primes).

Die Erklärung für diesen Effekt ist, dass der Primereiz automatisch (unbewusst) die positiven Bewertungen der Marke aktiviert bzw. „vorgebahnt“ hat. Die bestehende gute Vernetzung des Markenkonzeptes mit positiven Bewertungen fördert die Entscheidungsaufgabe bei positiven Reizen.
Dieser (unbewusste) Primingeffekt funktioniert nun nicht nur bei unseren Tests „im (Online) Labor“ - obwohl man ihn hier besonders sauber und kontrolliert messen kann - sondern permanent in unserem Alltag: Haben wir zum Beispiel „im Vorübergehen“ ein exklusives Restaurant wahrgenommen, beeinflusst dies unser nachfolgendes Essverhalten am Tisch, z.B. indem wir die Krümel auf dem Tisch beseitigen usw.

Die Forscher in Toronto nahmen nun an, dass umweltfreundliche Produkte hohe ethische Standards und humanitäre Anliegen symbolisieren und dass deshalb ihre reine Anwesenheit ethisches Verhalten aktiviert (Priming).

Wie haben sie diese Annahme nun untersucht? Die Probanden eines Experiments konnten Produkte in einem Online-Shop entweder nur betrachten (=Mere Exposure Bedingung) oder sie konnten die Produkte auch kaufen. Jeweils die Hälfte der Probanden in diesen beiden Bedingungen sahen nun in der Mehrzahl grüne Produkte im Vergleich zu konventionellen Produkten (Verhältnis 9:3). In der anderen Hälfte der Versuchsgruppen wurden im Shop mehr konventionelle Produkte im Vergleich zu grünen Produkten dargeboten (ebenfalls Verhältnis 9:3). Nach diesen Shopping-Erfahrungen führten die Probanden ein vermeintliches „Spiel mit einem Partner“ durch, das angeblich nichts mit dem vorhergehenden Shopping zu tun hatte. Die Probanden konnten Geld zwischen sich und einer anderen (fingierten) Person nach der folgenden Regel aufteilen: Als sogenannte „Initiatoren“ konnten die Teilnehmer entscheiden, wie viel Geld sie dem Partner als Empfänger geben möchten, den Rest konnten Sie selbst behalten. Als aufmerksame Leser haben Sie sicher bereits gemerkt, dass diese Aufgabe und das Geld, das man dem „Partner“ auf eigene Kosten zugestehen möchte, die eigentlich interessierende Variable darstellte.

Was ist dabei herausgekommen? Es zeigte sich zunächst, dass die einfachen Bedingungen „Grüner Shop vs. konventioneller Shop“ sowie „Nur Betrachten vs. Kaufen“ keinen Effekt auf die Menge des angebotenen Geldes (=Verzicht) hatte. Allerdings ergab sich eine signifikante Wechselwirkung zwischen beiden Faktoren: Probanden, die mehr grüne Produkte in der „Nur Anschauen“-Bedingung gesehen hatten, haben auf signifikant mehr Geld verzichtet als Probanden mit mehr konventionellen Produkten in der „Nur Anschauen“-Bedingung. In den Kaufgruppen allerdings drehte sich dieser Befund um: Hatten die Probanden im mehrheitlich grünen Shop tatsächlich eingekauft, verzichteten sie auf signifikant weniger Geld als wenn sie im Shop mit den konventionellen Produkten eingekauft haben.

Wie sind diese verblüffenden Ergebnisse zu erklären? Zunächst bestätigt das prosoziale Verhalten in der „Mere Exposure“-Bedingung unsere bisherigen Überlegungen: Die reine Anwesenheit der (mehrheitlich) grünen Produkte hat unbewusst und automatisch bestimmte Normen des prosozialen Verhaltens aktiviert. Der Kauf im „grünen Shop“ aber – und das ist eine mittlerweile mehrfach gemachte Beobachtung - bedeutet psychologisch so etwas wie der Kauf einer „Lizenz, unmoralisch sein zu dürfen“: Der Kauf von grünen (moralisch unbedenklichen) Produkten bedeutet, dass wir auf ein „moralisches Konto“ eingezahlt haben und das „moralische Guthaben“ kann durch egoistisches Verhalten wieder ausgeglichen werden. Alltagsverhalten, das dieser „mentalen moralischen Kontoführung“ folgt, wäre zum Beispiel die tägliche Fahrt zum Bioladen mit einem weniger umweltfreundlichen SUV.

Das Experiment zeigt nun zunächst, dass - im Unterschied zur reinen Wahrnehmung - der Kauf von „grünen Produkten“ zumindest altruistisches Verhalten vermindert. Die Forscher gingen aber noch einen Schritt weiter: Sie interessierte, ob der Kauf grüner Produkte nicht nur prosoziales Verhalten reduziert sondern auch unmoralisches Verhalten im Sinne von Normenverletzung steigert. Dazu entwarfen sie den folgenden Versuchsaufbau: Probanden kauften wieder jeweils zur Hälfte in einem „grünen“ oder in einem „konventionellen Online-Shop“ ein. Danach nahmen sie an einer vermeintlich davon unabhängigen Wahrnehmungsaufgabe teil. Die Probanden sahen auf einem Bildschirm ein Rechteck, das mit einer Diagonalen durchzogen war. In mehreren Versuchsdurchgängen wurden den Probanden 20 Punkte in dem Rechteck verteilt gezeigt, wobei die Punkte mehrheitlich entweder links oder mehrheitlich rechts der Diagonalen angeordnet waren. Die Probanden sahen dieses Muster jeweils nur für eine Sekunde, dann mussten Sie angeben, ob mehr Punkte links oder mehr Punkte rechts der Diagonalen zu sehen waren. Der entscheidende Kniff war nun, dass den Probanden 0,5 Cent für jeden Durchgang versprochen wurde, wenn mehr Punkte auf der Seite links der Diagonale waren und 5 Cent – also den zehnfachen Betrag – für jede Entscheidung für mehr Punkte rechts der Diagonalen. Die Punkte waren nun immer so angeordnet, dass eine Seite eindeutig mehr Punkte hatte als die andere Seite (Verhältnisse 15:5, 14:6, 13:7). Es war also trotz der kurzen Entscheidungsdauer recht einfach, die richtige Antwort abzugeben. Weiterhin war der Hinweis wichtig, dass die Probanden nach ihren Reaktionen ausgezahlt werden und nicht nach den tatsächlichen Punkteanordnungen abgerechnet wird.
In insgesamt 90 Durchgängen wurden tatsächlich in 40% mehr Punkte auf der rechten als auf der linken Seite gezeigt. Folglich konnten die Teilnehmer 2,07 Dollar in dem Experiment verdienen, wenn sie hundertprozentig korrekt antworten würden. Nach den 90 Durchgängen wurde den Teilnehmer der Gesamtbetrag, den sie verdient hatten, auf dem Bildschirm eingeblendet und sie wurden angewiesen, sich selbst den entsprechenden Betrag aus einem Umschlag zu nehmen. Somit bestand neben der Möglichkeit zu lügen, auch die Gelegenheit zu stehlen, um den Verdienst zu erhöhen.

Die Ergebnisse bestätigten den „düsteren Verdacht“: Teilnehmer, die im Shop mit (mehrheitlich) traditionellen Produkten gekauft hatten, identifizierten in durchschnittlich 43% von Durchgängen mehr Punkte auf der rechten Seite – also sehr nahe am und nicht signifikant abweichend vom tatsächlichen Prozentsatz von 40%. Teilnehmer, die im „grünen Shop“ gekauft haben, identifizierten allerdings in signifikant mehr Fällen, nämlich zu 51% mehr Punkte auf der rechten Seite – woraus die Forscher schlussfolgerten, dass sie logen, um mehr Geld zu verdienen. Mehr noch: Die Probanden aus dem „grünen Shop“ stahlen signifikant mehr (im Durchschnitt 0,48 Dollar) aus dem Umschlag als die „konventionellen Shopper“ und hatten am Ende des Experiments durchschnittlich 0,83 Dollar mehr in der Tasche.

Die Ergebnisse zeigen, dass grüner Konsum auch nicht wünschenswertes Verhalten nach sich ziehen kann: Ebenso wie die reine Anwesenheit von grünen Produkten (z.B. TV-Werbung) eine positive gesellschaftliche Wirkung durch Priming prosozialer und ethischer Handlungen erzeugen kann, kann der Kauf umweltfreundlicher Produkte die „mentale Lizenz“ für egoistisches und unethisches Verhalten bedeuten. Offen bleibt allerdings die Frage nach den Effekten des Primings und der „Lizensierung“, wenn es keine experimentelle Zufallszuweisung zu grünen und konventionellen Konsumbedingungen gibt, sondern wenn diese wiederum das Ergebnis vorhandener Einstellungen und Werte sind. Leider wurden aber diese realistischeren Mechanismen in der Forschung bisher eher vernachlässigt.