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Zielsetzung: Warum Ziele manchmal ins Verderben führen

Wer klare und ambitionierte Ziele hat, der leistet mehr. Doch Zielvorgaben sind meistens einseitig und verleiten auch zu falschen Handlungen.
Jürgen Fleig | 08.05.2009
Es ist ein Paradigma nicht nur in der Betriebswirtschaft, sondern in der aufgeklärten Welt überhaupt: Ohne Ziele geht es nicht. Wer seine Ziele nicht kennt, kommt nirgendwo an, erreicht auch nichts. Das wollen kein Unternehmen und kein Manager riskieren. Also werden kräftig Ziele ausgegeben und Zielvereinbarungen getroffen. Doch das ist riskant. Denn Ziele können manchmal ins Verderben führen.

Um das Dilemma ein wenig aufzulösen: Nicht die Tatsache, dass es Ziele gibt, ist problematisch, sondern vielmehr: welche Ziele es gibt, welche Funktion sie in Unternehmen haben und wie Vorgesetzte und Mitarbeiter damit umgehen.

Im Frühjahr 1969 gab der damalige Ford-Vorstand Lee Iacocca an seine Entwicklungsingenieure das Ziel aus: Ein Auto zu entwickeln, das weniger als 2.000 US-Dollar kostet und das zwei Jahre später in den Verkaufsräumen stehen sollte. Das Projekt, der Ford Pinto, wurde ein Desaster. Um den knappen Zeitplan einzuhalten, wurden wichtige Sicherheitstests nicht durchgeführt. Nach der Markteinführung kam es aufgrund von Konstruktionsmängeln zu zahlreichen Unfällen mit vielen Toten und Verletzten sowie zahlreichen Gerichtsverfahren.

Solche Beispiele waren Anlass für den Management-Professor Maurice Schweitzer von der Wharton School der University of Pennsylvania, gemeinsam mit drei Kollegen das Paradigma der Ziele kritisch zu hinterfragen. Er meint gegenüber Knowledge@Wharton:

„Manager und Wissenschaftler folgen sehr selbstgefällig dem Prinzip, dass es Zielvorgaben braucht. Und sie übersehen deren schädlichen Effekte. Wir meinen, dass das Vorgeben von Zielen bei weitem überschätzt wird.“

Ein zentrales Problem ist, dass viele Ziele zu ambitioniert und zu hochgesteckt sind. Sie führen dazu, dass die Mitarbeiter, die diese Ziele erreichen sollen, nur noch mit „Tunnelblick“ arbeiten und alle Anstrengungen auf das eine große Ziel ausrichten. Wenn das durch einseitige Anreizsysteme noch gefördert wird, rennen alle wie die Lemminge in die gleiche Richtung – und das kann manchmal das Verderben des ganzen Unternehmens sein.

Gerade die Bankenkrise der letzten Monate und die Diskussion um die Ursachen zeigt, dass auch die Vorgabe falscher oder einseitiger Ziele mit zum Zusammenbruch beigetragen hat. Investmentbanker bekamen kurzfristig hohe Renditevorgaben und wurden mit riesigen Boni dafür belohnt, wenn sie die Ziele erreichten – koste es langfristig, was es wolle.

Zielvorgaben sind zu einseitig und zu ambitioniert

Schweitzer und seine Co-Autoren sehen als Ursache des Übels, dass in Fachkreisen über viele Jahrzehnte behauptet wurde: Wenn Mitarbeiter klare und hochgesteckte Ziele vorgegeben bekommen, dann leisten sie mehr und tragen mehr zum Unternehmenserfolg bei. Dabei wäre es oft besser gewesen, einfach zu fordern: Gebt euer Bestes!

Vorgesetzte wollen gerne klare Ziele setzen, die leicht verstanden und dann eben umgesetzt werden. Wenn mehrere Ziele gleichzeitig erreicht werden sollen, steigt die Gefahr des Zielkonflikts. Dem Mitarbeiter ist nichts mehr klar. Um das zu vermeiden, haben es sich die Vorgesetzten aber zu einfach gemacht, wenn sie nur eines oder sehr wenige Ziele setzen und Zielkonflikte erst gar nicht zulassen. Problematisch ist:

- Einfache und einseitige Zielvorgaben blenden andere Ziele aus, die vielleicht nicht ganz so wichtig sind, aber doch auch beachtet werden müssen. Schon die Wahl zwischen Umsatzwachstum und Rendite kann einen Verkäufer ins Dilemma stürzen; doch wer die Rendite ausblendet, der fährt auf Dauer hohe Verluste ein.
- Viele Zielvorgaben sind zu hochgesteckt. Auch das führt dazu, dass andere Ziele und Rahmenbedingungen ausgeblendet werden. Die Mitarbeiter konzentrieren alle ihre Kraft auf das eine Ziel, das sie ja unbedingt erreichen müssen. Kritik wird unterdrückt, Bedenkenträger beiseitegeschoben, Teamarbeit bleibt auf der Strecke.
- Wenn dann noch die Sanktions- und Belohnungssysteme dieses Verhalten fördern, können sich vermeintliche Leistungssteigerungen als direkter Weg in den Untergang entpuppen.

Diese Art der Zielvorgabe sei nur dann hilfreich, wenn es um Routineaufgaben gehe, meint Schweitzer. Sie müssten sich leicht messen und überwachen lassen. Unterschiedliche Ziele und Zielkonflikte dürfen keine Rolle spielen. Nur dann tragen solche Vorgaben zu einer Leistungssteigerung bei.

Doch schon bei einfacher Fließbandarbeit tauchen Probleme auf. Was ist das Ziel? Möglichst viele Teile pro Stunde zusammenschrauben? Wenn so eine Akkordvorgabe maßgeblich ist, achtet der Mitarbeiter nicht mehr auf Qualitätsmängel. Immerhin lassen sich hier Zielvorgaben spezifizieren, die wenige Ziele zusammenführen; ein zählbarer Erfolg können am Fließband beispielsweise nur die guten Produkte sein.

Zeitdruck macht blind und verleitet zum Risiko

Ziele sind meist nur dann wirksam, wenn sie mit einer Terminvorgabe verknüpft werden. Auch hier neigen Vorgesetzte dazu, Druck zu machen. Sie setzen enge Termine und meinen, damit die Leistung ihrer Mitarbeiter zu verbessern und mehr aus ihnen herauszuholen.
Das verursacht bei den Betroffenen nicht nur Stress, sondern fördert wiederum den Tunnelblick. Alles, was weniger wichtig erscheint, wird ausgeblendet, verdrängt und verschoben. Nachdenken, Überprüfen oder gar die Weiterbildung und Kompetenzentwicklung – all das wird als störend und als zeitverschwendend empfunden. So betreiben die Mitarbeiter nicht nur Raubbau an sich selbst, sondern auch das Unternehmen an seiner Lernfähigkeit.

Außerdem verschlechtert sich die Teamarbeit. Die Mitarbeiter sind unkooperativ und sehen in Kollegen nur Wettbewerber und Fallensteller, die verhindern, das Ziel zu erreichen. Das behindert den Wissens- und Erfahrungsaustausch.

Scheint alles nicht zu helfen, um das gesteckte Ziel zu erreichen und die engen Termine einzuhalten, dann kann das auch zu Resignation und Rückzug zu führen. Die Mitarbeiter konzentrieren sich darauf, die Schuld anderen oder den Umständen zuzuschreiben. Manche gehen in die innere Emigration oder flüchten in operative und ziellose Hektik.

Normen, Standards und ethisches Verhalten werden außer Kraft gesetzt
Um zu hochgesteckte Ziele zu erreichen, gehen Mitarbeiter auch besondere Risiken ein. Sie missachten Normen und Standards und umgehen Regelungen des Unternehmens. Mit allen Folgen, die das haben kann. Im schlimmsten Fall werden sogar gesetzliche Vorgaben, Compliance Regelungen oder ethische Normen bewusst gebrochen.

Das birgt für das Unternehmen ein großes Risiko. Werden diese Verstöße nach außen sichtbar, dann droht ein großer Imageschaden. Wieder das Beispiel Ford Pinto: Um die Termin- und Kostenziele zu erreichen, nahm man Sicherheitsmängel in Kauf. Selbst als die ersten Menschen dadurch zu Schaden kamen, weigerte sich das Unternehmen, die Mängel zu beseitigen, sagen die Kritiker.

Wer erkennt, dass er seine Zielvorgaben nicht erreicht, der wird leicht verführt, zu betrügen. Er fälscht Zahlen und Nachweise, um am Ende die Vorgaben doch noch zu erreichen. Je knapper das Ziel verfehlt wird, desto größer der Anreiz zum Betrug, sagt Maurice Schweitzer, der das in Laborexperimenten herausgefunden hat. So werden Stundenaufschreibungen angepasst oder sogar Verkaufszahlen frisiert, vorausgesetzt, dass die Betrüger meinen, dass ihr Vergehen nicht auffällt.

Die SMARTe-Formel reicht nicht aus
Weit verbreitet ist die sogenannte SMART-Formel für Ziele. Danach sollen Ziele:

- spezifisch sein, also so genau wie möglich das benennen, was erreicht werden soll;
- messbar sein; das bedeutet, dass eine konkrete Zahl ausdrückt, was das Ziel ist und zu welchem Grad das Ziel erreicht wird;
- anspruchsvoll sein; Ziele, die sich ohne Anstrengung erreichen lassen, führen zu keiner Leistungssteigerung;
- realistisch sein; es nutzt nichts, sich Ziele zu setzen, die nicht erreichbar sind – auch mit größter Anstrengung nicht;
- terminiert sein; das heißt, es muss festgelegt werden, bis wann diese Ziele (das Soll) erreicht sein muss.

Doch diese Kriterien für „gute Ziele“ reichen nicht aus. Denn wenn die Ziele nicht ins Verderben führen sollen, müssen sie auch mit anderen Zielen, mit Rahmenbedingungen, Normen, Standards und Regelungen verknüpft werden. Keine Zielvereinbarung ohne Nebenbedingungen und Analyse der Nebenwirkungen! Hier sind Vorgesetzte und Mitarbeiter gefordert, das im Zielvereinbarungsprozess ausführlich zu besprechen.

Grundsätzlich sollte immer geprüft werden, ob es definierter Ziele und Vorgaben überhaupt bedarf. Statt dessen kann schon helfen, dass die Rahmenbedingungen dazu beitragen, dass die übergeordneten Unternehmensziele erreicht werden. Zum Beispiel:

- eine Kultur der Leistungsorientierung und des „Jeder gibt sein Bestes“;
- klare Regeln und Standards, die von Vorgesetzten geachtet, vorgelebt und durchgesetzt werden;
- professionelle Methoden und Werkzeuge beispielsweise für das Projektmanagement, die zu den Gegebenheiten im Unternehmen passen;
- kompetente Mitarbeiter, die den übergeordneten Sinn und Zweck ihrer Arbeit und die Ziele des Unternehmens kennen und die wissen, wie Sie dazu beitragen können.

Mitarbeiter brauchen weniger Motivation – sie bringen genug mit

Schweitzer sagt, dass viele Ziele und Zielvereinbarungen in Unternehmen überflüssig seien. Es gebe sie nur deshalb, weil die Vorgesetzten meinten, ihre Mitarbeiter von außen (extrinsisch) motivieren zu müssen. Sie unterstellen, dass ihre Leute nur wegen des Geldes arbeiten. Dabei zeigen viele Studien, dass die meisten Mitarbeiter genug eigene (intrinsische) Motivation mitbringen; eine spannende Aufgabe und ihre Sinnhaftigkeit treiben die Menschen genug an, ihr Bestes zu geben.

Durch das System der Zielvorgaben kann die intrinsische Motivation sogar verloren gehen. Dann werden zu lasche Ziele ebenfalls zum Problem. Wer seine einfachen Ziele erreicht hat, lehnt sich zurück und tut nichts mehr. Warum auch? Jede weitere Anstrengung wäre vergebliche Liebesmühe, die im System der Zielvereinbarungen weder anerkannt noch honoriert wird.

Die Kritiker der formalen Zielsysteme sprechen den Zielen nicht grundsätzlich ihre Bedeutung ab. Sie bleiben wichtig. Aber Unternehmen und Manager sollten zurückhaltender und besonnener damit umgehen. Sie sollten mehr die persönlichen Entwicklungsziele in den Vordergrund stellen im Sinne eines: Ich will besser werden. Finanzielle Ziele wie: Wir müssen so viel Umsatz machen, sollten an Bedeutung verlieren. Ganz wichtig: Ziele sind immer eingebettet in ein Umfeld. Und das muss genau mit beachtet und bedacht werden; Ziele brauchen Supervision. Die zentrale Botschaft lautet: Vorsicht Ziele! Achten Sie auf die Nebenwirkungen!

Mehr dazu unter: www.business-wissen.de