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Ethnomarketing: Erfolg, Vielfalt, Handel

Gelebte Integration und Vielfalt im Handel: „Man muss die eigenen Wurzeln nicht aufgeben“.
Zwischen einer und eineinhalb Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben je nach Definition in Österreich. Diese bis zu 18 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen eine zunehmend relevante Zielgruppe für österreichische Handelsunternehmen dar. Über Kundenbindung, kulturelle Anforderungen an Produkte und Integrationsziele diskutierten hochkarätige VertreterInnen von Integrationspolitik, Meinungsforschung und Handel im Rahmen der Veranstaltung „Ethnomarketing: Erfolg, Vielfalt, Handel“ am 4. Dezember im Handelsverband. Mit einem Weihnachtsumtrunk, in dessen Rahmen 550,- EUR an Spenden für die St. Anna Kinderkrebshilfe gesammelt wurden, klang der Abend feierlich aus.

Was bedeutet Ethnomarketing für den Handel? Bei welchen Sortimenten ist es sinnvoll, eigene Produkte für bestimmte Ethnien und Communities zu listen? Wie kann man auf Menschen mit Mitgrationshintergrund eingehen, ohne sie zu bevormunden oder gar zur Entstehung von Parallelgesellschaften beizutragen? Das Expertenpanel diskutierte diese Fragen mit viel Verve, auch das Publikum beteiligte sich lebhaft an der Diskussion. Einig waren sich die DiskutantInnen darüber, dass Ethnomarketing große Potentiale bietet, dass aber ein behutsames Eingehen auf die Zielgruppe unerlässlich ist: Menschen mit Migrationshintergrund wollen nicht auf ihre Herkunft reduziert werden.

Kundenbedürfnisse erkennen und erfüllen

„Ethnomarketing ist ein relativ junger Begriff, der sich zusehends etabliert. Ziel ist das Eingehen auf die spezifischen Konsumbedürfnisse von Menschen mit Migrationshintergrund. Ethnomarketing bedeutet das Anbieten spezieller Waren für bestimmte Gruppen, um Kunden zu binden und Marktanteile zu sichern“, verdeutlichte Jörg Schielin, Leiter der SPAR-Akademie Wien.
„Die Intention von Ethnomarketing ist, KonsumentInnen gut und lange an ein Unternehmen zu binden. Interkulturelle Kompetenz muss aktiv in Firmen eingebracht werden“, unterstrich auch Manuel Bräuhofer, Gründer und Geschäftsführer der Agentur brainworker. Dazu nötig: „Es ist unerlässlich, sich auf die Zielgruppe einzulassen und ihre Bedürfnisse zu erforschen. Mitunter treffen Unternehmen aber auch unabsichtlich den Geschmack einer bestimmten Gruppe – so ist etwa die spanische Modekette ZARA bei vielen Frauen mit Migrationshintergrund beliebt, weil die Kleidungsstücke klein geschnitten sind“, so Christina Matzka, Studienleiterin bei EthnOpinion.

Produktvielfalt als Spiegel kultureller Unterschiede

Die Vielfalt kultureller Hintergründe erfordert ein ebenso breites Produktspektrum. „Die Gruppe der KonsumentInnen ist inhomogen. Das Beachten kultureller Anforderungen und Codes sowie das Respektieren anderer ist essentiell. So kann etwa ein Handelsunternehmen davon profitieren, sich mit den Feiertagen unterschiedlicher Religionen auseinanderzusetzen und entsprechende Produkte, zum Beispiel Nahrungsmittel oder Deko-Artikel, anzubieten“, so Matzka weiter. Lisa Fellhofer, Leiterin Wissensmanagement und Internationales beim Österreichischen Integrationsfonds, fügte hinzu: „Nur weil man für bestimmte Gruppen bestimmte Produkte anbietet, schafft man noch keine Parallelgesellschaft. Im Gegenteil: Wahre Integration bedeutet, dass man die eigenen Wurzeln nicht verleugnen muss.“ Bräuhofer fügte hinzu, dass es auch große Warengruppen, wie etwa Elektro-Weißware, gibt, bei denen es keine Präferenzen auf Basis des ethnischen Hintergrunds gibt.

Was kann der Handel tun?

Die DiskutantInnen stimmten darin überein, dass Ethnomarketing nur mit dem entsprechenden Fingerspitzengefühl und präziser Kenntnis der Zielgruppe funktionieren kann. Dazu Schielin: „Wir nutzen in dieser Hinsicht unsere eigenen Mitarbeiter als Ressource. Alleine in der SPAR-Akademie finden sich Lehrlinge aus 29 Nationen, die 24 Sprachen sprechen und 13 Religionen angehören. Die fragen wir einfach, ob ihnen im Sortiment etwas fehlt.“ Als ideal wurde die Strategie beurteilt, zwar auf den Geschmack der Zielgruppe einzugehen, aber nicht allzu viel Aufhebens darum zu machen. „Viele MigrantInnen reagieren genervt, wenn sie immer nur als MigrantInnen angesprochen werden“, erklärte Fellhofer. Matzka berichtete, dass es sehr hilfreich sein kann, migrantisches Service- und Verkaufspersonal zur Beratung migrantischer KonsumentInnen einzusetzen, warnte aber davor, „dass automatisch auf jeden Kunden mit dünklerem Teint automatisch ein türkisch sprechender Verkäufer zustürmt.“

„Wir leben in Zeiten, in denen Daten als „the new oil“, also als neuer unersetzlicher Rohstoff, tituliert werden. Handelsunternehmen brillieren auf dem Gebiet des Zielgruppenmarketings, die Werbebotschaften werden immer weiter differenziert. Eine große Gruppe aber – die Menschen mit Migrationshintergrund – ist bislang aber erstaunlich wenig beachtet worden“, kommentierte Patricia Mussi, Geschäftsführerin des Handelsverbands, den Anlass für die Diskussionsrunde. Robert Treichler vom Magazin „profil“ moderierte mit großer Sachkompetenz. Die Veranstaltung fand im Rahmen der exklusiven Reihe frei[handels]zone – Die offene Dialogplattform für den Handel statt.

Großes Publikum aus Führungskräften aus dem Handel

Abschließend bot sich für die über 50 Führungskräfte aus dem Handel bei einem Weihnachtsumtrunk die Gelegenheit zu ausführlichem Networking. Diese nutzten unter anderem Franz Radatz (RADATZ Feine Wiener Fleischwaren GmbH), Michael Trünkel (Leopold Trünkel GmbH), Georg Wintersberger (Media Saturn), Peter Oberhollenzer (Hervis Sport und Mode GmbH), Helmut Schramm (Landesgremium Wien des Einzelhandels mit Mode und Freizeitartikeln).