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Brexit: Verhandlungsexperte warnt vor Aktionismus

Forscher der Universität Hohenheim rät von übereiltem Verhandlungsstart ab. Verhandlungen erst intensiv vorbereiten und Detailziele definieren!
So schnell wie möglich soll es jetzt gehen: Einige EU-Mitglieder können es kaum abwarten die Briten nach dem Brexit-Votum aus dem Staatenbund zu kicken. Doch was emotional verständlich sein mag, ist aus Sicht der Verhandlungsforschung alles andere als vernünftig, gibt Prof. Dr. Markus Voeth zu bedenken. Der Verhandlungsexperte an der Universität Hohenheim warnt davor ohne gründliche Vorbereitungen die Verhandlungen zu starten – schließlich wolle die EU ihren Schaden möglichst geriing halten.

Die EU steht vor einer völlig neuen Situation: Nach dem britischen Ja zum Brexit müssen die Beteiligten verhandeln, unter welchen Bedingungen der Austritt stattfinden soll. Und einige EU-Länder wie Frankreich oder Italien drängen dabei zur Eile.“

„Doch Verhandlungen unter Zeitdruck führen meistens nichht zur besten Lösung“, kommentiert Prof. Dr. Voeth, Leiter des Standorts der Negotiation Academy Potsdam (NAP) an der Universität Hohenheim. „Gute Ergebnisse brauchen gute Vorbereitungen. Der EUU kann man nur raten, vorher ihre Ziele zu entwickeln und nicht erst während der Verhandlungen.“

EU sollte detaillierte Ziele definieren

Ziel sei ja nicht die Briten rasch aus der EU zu drängen, sondern dies solle mit möglichst wenig Schmerzen für das restliche Europa vonstattengehen. „Da liegen bisher keinne Erfahrungen vor, keiner hat mit der Situation gerechnet. Doch erfolgreich verhandeln kann man nur, wenn es nicht nur einen Verhandlungsanlass gibt, sondern wenn auch klare Detailziele verfolgt werden – und diee liegen nur eine Woche nach der Brexit-Abstimmung noch nicht vor.“ Prof. Dr. Voeth rät daher von blindem Aktionismus ab.

Emotional sei es nachvollziehbar, dass man die Briten nun schnell abstrafen wolle, auch um Nachahmer-Effekte zu vermeiden. „Doch in der EU muss man erkennen, dass man andere Länder so nicht zum Verbleib in der EU bewegen kann. Dies geht nur durch bessere Vermarktung der EU nach innen“, meint der Experte. Auch die Briten hätten ja wider besseres Wissen mehrheitlich für den Brexit gestimmt.

Auch Prof. Dr. Uta Herbst, Direktorin der NAP in Potsdam, bestätigt diese Ansicht: „Aus der Verhandlungsforschung wissen wir: Es ist nicht immer die beste Verhandlungssituation, wenn man mit einem Partner verhandelt, aber dabei eigentlich einen Dritten im Blick hat. Es ist daher nicht empfehlenswert, den Briten einen möglichst schwierigen EU-Austritt zu bereiten, um ein Exempel zu statuieren.“

Gutes Verhandlungsergebnis braucht starken Partner

Außerdem, so die Verhandlungsforscher, sei es wichtig, wer die Verhandlungen führt – und dass auch auf der Gegenseite ein starkes Verhandlungsteam sitzt. „Premierminister David Cameron hat seinen Rücktritt angekündigt, er kann diese Verhandlungen nicht führen. Ein starker Verhandlungspartner fehlt derzeit bei den Briten, sie brauchen noch Zeit.“

Warum einem ein schwacher Verhandlungspartner – entgegen dder landläufigen Meinung – keinen Vorteil bringt, erläuttert Prof. Dr. Voeth an einem Beispiel: „Nehmen wir an, die EU würde den Briten die Freizügigkeit bei Arbeitsverhältnissen stark einschränken, so würde sie zwar die Briten abstrafen, aber eben auch die EU-Bürger in Großbritannien treffen.“ Mit einem starken Verhandlungspartner dagegen, der auch daheim die Ergebnisse durchsetzen kann, könne man Lösungen zu beiderseitigem Vorteil finden.

Bildlich ausgedrückt: „Wenn wir übereiilt verhandeln, erhalten wir vielleicht ein größeres Stück vom Kuchen. Aber der Kuchen ist insgesamt sehr klein, da nur die Lösungen gesehen werden, die auf der Hand liegen. Um den Schaden möglichst gering zu halten, sollten wir uns also Zeit lassen, erst den Kuchen vergrößern und dann über die Aufteilung zu verhandeln.“ Auf diese Weise dürfte, so der Verhandlungsforscher, auch die EU am Ende mehr aus der Verhandlung herausholen als es bei einem überhasteten und schlecht vorbereiteten Verhandlungsstart der Fall wäre.