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Missstände im Unternehmen anprangern – ist das erlaubt?

Timo Schutt | 10.09.2014
Nicht jeder Mitarbeiter will hinnehmen, dass in seinem Betrieb gegen Vorschriften verstoßen wird. Für ihn stellt sich die Frage, was er tun kann bzw. ggf. muss. In meiner Beratungspraxis gibt es immer wieder Mitarbeiter, die verzweifelt Hilfe suchen.

Ein paar Beispiele:

• Ein Mitarbeiter – ein Auszubildender – arbeitet bei einer Veranstaltungsagentur und wurde auf einer Veranstaltung schwer verletzt. Im Krankenhaus wurde ihm eine mehrwöchige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt. Der Arbeitgeber hat sich dafür aber nicht interessiert und dem verletzten Azubi zunächst vorgejammert, dass der Betrieb pleite gehen würde, wenn er nicht arbeiten kommen würde. Der Azubi schleppte sich zur Arbeit, gab aber aufgrund großer Schmerzen bald wieder auf. Nunmehr drohte der Arbeitgeber mit einem schlechten Zeugnis, wenn er sich nicht zusammenreißen würde.
• Viele Agenturen beschäftigen Azubis, zahlen denen den absoluten Mindestlohn, rechnen gegenüber ihren Kunden aber den vollen Satz eines ausgelernten Kaufmanns ab.
• Zum Thema Arbeitszeit gibt es die meisten Fälle; leider allerdings auch von Berufsschulen, die ihre angehenden Veranstaltungskaufleute über die zulässigen Arbeitszeiten hinaus bei den selbst geplanten Veranstaltungen arbeiten lassen.
• Regelmäßig berichten Mitarbeiter, dass ihr Vorgesetzter Leistungen beim Kunden abrechnet, die nie erbracht wurden.
• Ein Mitarbeiter arbeitet in einer Großraumdiskothek und berichtet, dass bis auf den Haupteingang alle nach außen gehenden Notausgangstüren per Schlüssel abgeschlossen werden und per Hand von innen nicht zu öffnen sind.
• Mitarbeiter von Ordnungsdiensten berichten, dass sie – teilweise unter Androhung des Arbeitsplatzverlustes – gezwungen werden, phasenweise die Besucher nicht zu zählen. In einigen Fällen wird behauptet, dass die doppelte Besucherzahl zeitgleich in der Location war als zulässig.
• Mitarbeiter berichten, dass aus Kostengründen brennbare Materialien als Dekoration verbaut werden, teilweise dem Kunden aber Material mit den Eigenschaften schwer entflammbar berechnet würde.
• Mitarbeiter berichten auch, dass Sicherheitskonzepte erstellt und den Behörden vorgelegt werden, diese dann aber nicht umgesetzt werden, sondern in der Schublade verschwinden.
• Sehr „beliebt“ ist auch die Anweisung des Vorgesetzten, Eintrittsgelder und Einnahmen der Gastronomie ohne Beleg bzw. ohne Eingabe in die Kasse zu kassieren und gegenüber dem Finanzamt nur einen Bruchteil der zahlenden Gäste anzugeben.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Nun muss man natürlich bedenken, dass es immer zwei Seiten der Wahrheit gibt und es auch Mitarbeiter gibt, die sich an ihrem Chef rächen wollen und daher irgendwelche Geschichten erfinden.

Der Arbeitnehmer, der Verstöße nicht hinnehmen will, muss aber bestimmte Vorgaben beachten, wenn er keine Kündigung aufgrund mangelnder Loyalität riskieren möchte:
Zunächst ist der Vorgesetzte zu informieren bzw. auf die Missstände aufmerksam zu machen.
Erfolgt keine ausreichende Reaktion, muss der Arbeitnehmer zunächst alle betriebsinternen Möglichkeiten ausschöpfen. In großen Unternehmen gibt es bspw. entsprechende Compliance-Abteilungen oder Stellen, die extra für die Meldung von Missständen eingerichtet wurde. Ggf. ist die Geschäftsleitung zu informieren. Je nach Situation kann auch der Betriebsrat bzw. Personalrat eingebunden werden.

Der Arbeitnehmer sollte dabei auf zwei Aspekte achten:
• Er muss dafür sorgen, dass er später nachweisen kann, dass er Vorgesetzte informiert und alle betrieblichen Maßnahmen ausgeschöpft hat.
• Je nach Dringlichkeit muss er ggf. schnell handeln bzw. im Einzelfall kann es zulässig sein, bestimmte betriebliche Maßnahmen zu überspringen, soweit keine ausreichende erfolgversprechende Aussicht besteht, dass diese internen Maßnahmen greifen.

Gehen die internen Maßnahmen ins Leere, kann der nächste Schritt der Weg zu einer Behörde sein.

Die deutsche Rechtsprechung ist sehr zurückhaltend gegenüber dem Whistleblowing. Die Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber ist heilig, dementsprechend auch das Anonymitätsinteresse des Unternehmens. Der Beschäftigte tut also gut daran, nicht ohne Not zur Presse zu gehen, da ihm sonst eine fristlose Kündigung droht.

Der Whistleblower, der Missstände publik machen möchte, sollte grundsätzlich anwaltlichen Rat in Anspruch nehmen, um auch sich selbst arbeitsrechtlich zu schützen.

Ich würde mir wünschen, wenn insbesondere die Berufs- und Hochschulen, die den Branchennachwuchs ausbilden, aber auch Ausbildungsbetriebe sich ihrer Verantwortung bewusst werden und sie ernst nehmen. Vielleicht muss auch überdacht werden, ob jeder Betrieb zur Ausbildung geeignet ist, auch mit dem Risiko, dass ggf. nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen.

Thomas Waetke
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
Autor eventfaq
Justitiar des Bundesverbandes Veranstaltungssicherheit (bvvs.org)