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Blindes Vertrauen in die Computertechnik hat bereits zu kostspieligen Konsequenzen geführt

Ausgereizt!
Kurt-Georg Scheible | 30.03.2016
Wie sehr wir computergestützten Aussagen vertrauen, führte mir ein Gespräch am Rande eines Werkstattbesuchs vor Augen: Im letzten Sommer stand bei meiner Vespa die zweijährige Hauptuntersuchung an.

Bei meinem Firmenwagen bekomme ich das gar nicht mit. Da übernimmt die Werkstatt das automatisch. Doch bei meiner über 30 Jahre alten Vespa ist das anders. Da muss ich mich selbst um den TÜV kümmern. Als ich bei der TÜV-Werkstatt ankam, standen die Hallentore wegen der Hitze sperrangelweit offen. Während ich darauf wartete, aufgerufen zu werden, hatte ich Gelegenheit, den TÜV-Prüfern bei der Arbeit zuzusehen.

Einer der Prüfer machte sich dabei gerade im Fußraum eines Wagens zu schaffen. Er befestigte ein Kabel, das zu einem Computer an der Seite führte, und startete kurz den Motor. Nach einem kurzen Blick auf den Monitor stellte er den Motor wieder ab und entfernte das Kabel aus dem Fahrzeug. Als ich an der Reihe war, kam ich mit ihm ins Gespräch. Ich fragte nach, was er da getan hatte. Der Prüfer erklärte mir, dass er die Abgasuntersuchung (AU) im Rahmen der Hauptuntersuchung vorgenommen habe. Bei modernen Fahrzeugen reicht es aus, die Messung bei Leerlaufdrehzahl durchzuführen. Außerdem erklärte der Sachverständige, dass über diesen OBD (On-Board-Diagnose) –Stecker weitere relevante Daten ausgelesen werden können. Das gehe sogar soweit, dass über den OBD lediglich ausgelesen wird, ob die Selbstüberwachung des Systems einwandfrei funktioniert. Und wenn bis zum Untersuchungszeitraum keine Fehler auftraten, ist die „AU“ somit bestanden.

Als gelernter Ingenieur war ich im ersten Moment total begeistert und erklärte ihm, dass ich erwartet hätte, er halte ein Messgerät in die Abgase, nachdem der Motor angeworfen worden wäre – so, wie ich das von früher her noch kannte. Der Prüfer lachte und erwiderte, dass ich wohl schon lange nicht mehr beim TÜV gewesen sei. So werde nur noch bei alten Modellen verfahren. Das neue Verfahren, die Überprüfung per Datenabfrage, sei genauer und zeitsparender. Die Software sei eben unfehlbar und unbestechlich – und würde unweigerlich melden, wenn eine Fehlfunktion vorliege oder Werte abweichen. Mir kam das unerschütterliche Vertrauen des Sachverständigen in die Computertechnik befremdlich vor. Kurze Zeit später wurde ich in meiner Skepsis durch einen Skandal bestätigt: Die VW-Abgasaffäre[1].

Am Verlauf dieser Affäre, die im September 2015 offiziell wurde, da die US-amerikanische Umweltschutzbehörde EPA zu diesem Zeitpunkt eine erste Notice of Violation (etwa: Mitteilung eines Rechtsverstoßes) an Volkswagen richtete, ließen sich viele Missstände in Gesellschaft und Wirtschaft ablesen. Blickt man auf die Geschichte der Volkswagen AG in den letzten zwanzig Jahren zurück, stellt sich unwillkürlich eine Frage: hat Volkswagen nichts dazugelernt? Den Konzern scheint ein Skandal nach dem anderen zu erschüttern: die López-Affäre, der Korruptionsskandal des Jahres 2005 und nun die Abgasaffäre – aber es scheint, als haben die Vorfälle zu keinem Umdenken geführt, beziehungsweise nur halbherzige Konsequenzen nach sich gezogen.

Das Fatale oder die schon traurige Erkenntnis ist, dass VW kein Einzelfall ist. Es lassen sich im Alltag viele Beispiele finden, bei denen man sich fragt, ob das „allgemeine” Leistungsdenken, ausgerichtet nach Gewinnmaximierung, vielleicht eine Grenze erreicht hat, wenn sie nicht gar überschritten wurde. Ist das Thema „Gewinnmaximierung“ ausgereizt?

[1] Wie sehr wir computergestützten Aussagen vertrauen, führte mir ein Gespräch am Rande eines Werkstattbesuchs vor Augen: Im letzten Sommer stand bei meiner Vespa die zweijährige Hauptuntersuchung an.

Bei meinem Firmenwagen bekomme ich das gar nicht mit. Da übernimmt die Werkstatt das automatisch. Doch bei meiner über 30 Jahre alten Vespa ist das anders. Da muss ich mich selbst um den TÜV kümmern. Als ich bei der TÜV-Werkstatt ankam, standen die Hallentore wegen der Hitze sperrangelweit offen. Während ich darauf wartete, aufgerufen zu werden, hatte ich Gelegenheit, den TÜV-Prüfern bei der Arbeit zuzusehen.

Einer der Prüfer machte sich dabei gerade im Fußraum eines Wagens zu schaffen. Er befestigte ein Kabel, das zu einem Computer an der Seite führte, und startete kurz den Motor. Nach einem kurzen Blick auf den Monitor stellte er den Motor wieder ab und entfernte das Kabel aus dem Fahrzeug. Als ich an der Reihe war, kam ich mit ihm ins Gespräch. Ich fragte nach, was er da getan hatte. Der Prüfer erklärte mir, dass er die Abgasuntersuchung (AU) im Rahmen der Hauptuntersuchung vorgenommen habe. Bei modernen Fahrzeugen reicht es aus, die Messung bei Leerlaufdrehzahl durchzuführen. Außerdem erklärte der Sachverständige, dass über diesen OBD (On-Board-Diagnose) –Stecker weitere relevante Daten ausgelesen werden können. Das gehe sogar soweit, dass über den OBD lediglich ausgelesen wird, ob die Selbstüberwachung des Systems einwandfrei funktioniert. Und wenn bis zum Untersuchungszeitraum keine Fehler auftraten, ist die „AU“ somit bestanden.

Als gelernter Ingenieur war ich im ersten Moment total begeistert und erklärte ihm, dass ich erwartet hätte, er halte ein Messgerät in die Abgase, nachdem der Motor angeworfen worden wäre – so, wie ich das von früher her noch kannte. Der Prüfer lachte und erwiderte, dass ich wohl schon lange nicht mehr beim TÜV gewesen sei. So werde nur noch bei alten Modellen verfahren. Das neue Verfahren, die Überprüfung per Datenabfrage, sei genauer und zeitsparender. Die Software sei eben unfehlbar und unbestechlich – und würde unweigerlich melden, wenn eine Fehlfunktion vorliege oder Werte abweichen. Mir kam das unerschütterliche Vertrauen des Sachverständigen in die Computertechnik befremdlich vor. Kurze Zeit später wurde ich in meiner Skepsis durch einen Skandal bestätigt: Die VW-Abgasaffäre[1].

Am Verlauf dieser Affäre, die im September 2015 offiziell wurde, da die US-amerikanische Umweltschutzbehörde EPA zu diesem Zeitpunkt eine erste Notice of Violation (etwa: Mitteilung eines Rechtsverstoßes) an Volkswagen richtete, ließen sich viele Missstände in Gesellschaft und Wirtschaft ablesen. Blickt man auf die Geschichte der Volkswagen AG in den letzten zwanzig Jahren zurück, stellt sich unwillkürlich eine Frage: hat Volkswagen nichts dazugelernt? Den Konzern scheint ein Skandal nach dem anderen zu erschüttern: die López-Affäre, der Korruptionsskandal des Jahres 2005 und nun die Abgasaffäre – aber es scheint, als haben die Vorfälle zu keinem Umdenken geführt, beziehungsweise nur halbherzige Konsequenzen nach sich gezogen.

Das Fatale oder die schon traurige Erkenntnis ist, dass VW kein Einzelfall ist. Es lassen sich im Alltag viele Beispiele finden, bei denen man sich fragt, ob das „allgemeine” Leistungsdenken, ausgerichtet nach Gewinnmaximierung, vielleicht eine Grenze erreicht hat, wenn sie nicht gar überschritten wurde. Ist das Thema „Gewinnmaximierung“ ausgereizt?

[1] www.faz.net/aktuell/wirtschaft/thema/vw-abgas-skandal