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Die fünf großen Innovationsfallen

Jens-Uwe Meyer erklärt, wie man an radikale Innovationsansätze kommt und diese erfolgreich im Unternehmen ausbaut.
Jens-Uwe Meyer | 25.09.2012
Innovation hat Karriere gemacht. Kaum eine Vorstandsrede, kaum ein Unternehmensprospekt, in dem dieses Wort nicht mindestens in jedem dritten Absatz einmal auftaucht. Und trotzdem tappen die meisten Unternehmen immer wieder in die gleichen Innovationsfallen. Mit Schlecker, Manroland und Kodak haben diese Innovationsfallen alleine in diesem Jahr bereits drei prominente Opfer gefordert. Andere Unternehmen stecken tief in diesen Fallen drin - ohne es zu merken. Innovativ sind sie nur im Rahmen des Bestehenden. Wirklich radikale neue Innovationsansätze hingegen fehlen. Die fünf Innovationsfallen sorgen dafür, dass sich Unternehmen immer wieder im Kreis drehen.

Innovationsfalle 1: Die Hochglanzfalle

Wenn man sich die Web-Seiten, Unternehmensvisionen und Hochglanzbroschüren der meisten Unternehmen anschaut, stellt man eines schnell fest: irgendwie sind alle visionär, hochkreativ und praktisch kurz davor, die Branche zu revolutionieren. Im ersten Moment klingt das beeindruckend. Schaut man hinter die Fassade, haben diese Botschaften oft die gleiche Substanz wie die eines Waschmittels, das jetzt noch weißer wäscht oder der Pudding, der jetzt noch cremiger rührt. Je häufiger Mitarbeiter und Manager im eigenen Unternehmen diese Prospekte lesen, desto mehr glauben sie daran. „Wir sind doch schon innovativ, wozu noch mehr?“ Zunehmend leidet das Unternehmen unter blinden Flecken: Man konzentriert sich auf die Innovationsfelder, die schnell und einfach Erfolge erzielen. Doch wirklich radikale Innovation findet nicht statt. Märkte umgestalten tun Mitbewerber von außen. So geschehen in der Automobilindustrie: ausgerechnet ein Outsider der Automobilbranche – Shai Agassi, ehemaliger SAP-Vorstand – entwickelt ein vollkommen neues Modell zur Elektromobilität. Während die klassischen Automobilfirmen weiter daran arbeiten, Batterien besser und sparsamer zu machen, entwickelte Agassi mit „Project Better World“ ein komplettes Mietsystem für aufgeladene Elektrobatterien.

Innovationsfalle 2: Die Erfahrungsfalle

Insider, die auf den Managementtagungen des ehemaligen Druckmaschinenherstellers Manroland mit dabei waren, erinnern sich gerne noch an die Worte des Vorstandes. Der Zeitung wurde eine große Zukunft vorausgesagt, immer wieder wurde die Solidarität zur Druckrolle beschworen. Die meisten Medienverlage suchten ihr Wachstum zu diesem Zeitpunkt bereits in ganz anderen Feldern. Der Vorstand von Manroland ignorierte das. Die eigenen Erfahrungen sprachen dagegen. Für den damals zweitgrößten Druckmaschinenhersteller der Welt war es schlichtweg unvorstellbar, dass seine Produkte einmal überflüssig werden könnten. Solange, bis der Konzern Anfang 2012 zerschlagen wurde.

Das Top-Management zahlreicher Unternehmen macht immer wieder den gleichen Fehler: Es beurteilt die Zukunft mit den Erfahrungen der Vergangenheit. Menschen haben schon immer Zeitung gelesen, sie sind schon immer in ein Reisebüro gegangen, um ihren Urlaub zu buchen und sie haben schon immer Kleidung von der Stange gekauft. Unvorstellbar, dass sie morgen eine Zeitung einfach unpraktisch finden und als totes Holz verspotten, einem automatischen Buchungsassistenten mehr vertrauen als einem Reisebüro und nach personalisierter Kleidung, personalisierter Kosmetik oder selbst designten Möbeln verlangen. Bei der Beurteilung der Zukunft stehen die Erfahrungen der Vergangenheit häufig im Weg. Trotzdem vertrauen Unternehmen auf sie und merken dabei nicht, dass sie tief in der Falle stecken.

Innovationsfalle 3: Die Trägheitsfalle

Prozessoptimierung, Kostenoptimierung, Lean-Management: Das waren die Schlagwörter der Neunziger- und frühen Zweitausenderjahre. Arbeitsabläufe wurden systematisch gescannt, jede überflüssige Handbewegung untersagt und jede Tätigkeit in genau definierte Prozessabläufe gezwängt. Das hat bis heute einen positiven Effekt: Unternehmen können das operative Geschäft viel schneller, besser und billiger als andere beherrschen. Allerdings hat auch das eine Kehrseite: es bleibt kaum Zeit über neue Wege nachzudenken. Anders gesagt: man ist so sehr damit beschäftigt, den operativen Ergebnissen hinterherzuhecheln, dass man sich kaum noch fragt, ob es eigentlich noch sinnvoll ist. Gerade Unternehmen, die durch starre Strukturen und feste Prozessabläufe sehr erfolgreich geworden sind, sind häufig kaum noch in der Lage, sich außerhalb dieser Prozesse zu bewegen. Mitarbeiter, die mehr als 10 Jahre vor allem in ihren Prozessen zu funktionieren hatten, werden nicht über Nacht zu kreativen Querdenkern und Revolutionären. Auch wenn dieses Potential vielleicht einmal in ihnen geschlummert hat - es wurde schlicht und ergreifend nicht gefördert. Diese Unternehmen sind heute so flexibel wie Betonmauern. Und weil sie so unbeweglich geworden sind, schaffen sie es kaum, aus der Unbeweglichkeitsfalle wieder herauszukommen.

Innovationsfalle 4: Die Erfolgsfalle

Erfolg macht sexy. Erfolg fühlt sich gut an. Erfolg macht zufrieden. Genau das ist das Problem. In zahlreichen Unternehmen werden schnelle Erfolgte belohnt. Ein kurzfristiges Plus der Verkaufszahlen, ein großer Deal, kurzfristige Erfolge bei der Neukundengewinnung. Gerade in Unternehmen, die vom Quartalsdenken geprägt sind, ist die Erfolgsbilanz alle drei Monate wichtiger als langfristiges Denken. Im Kern ist auch das nicht verkehrt: die Summe vieler schneller Erfolge macht ein erfolgreiches Unternehmen aus. Nur nicht unbedingt ein innovatives. Solange schnelle Erfolge mit dem Bestehenden zu erzielen sind, hat das Neue kaum eine Chance, sich durchzusetzen. Die für Innovation so wichtige Investitionsphase am Anfang scheint nicht so reizvoll, wenn gleichzeitig mit dem Bestehenden mehr verdient werden könnte. Bei der Frage, ob man Geld lieber in 5 neue Verkäufer oder ein fünfköpfiges Innovationsteam investiert, entscheiden sich Unternehmen, die kurzfristige Erfolge suchen, für die fünf neuen Verkäufer. Langfristig jedoch wird der Erfolg von heute zum Problem von morgen. Denn die Steigerung des Bewährten funktioniert nicht ewig. Wie viele Pizzas mehr kann man verkaufen? Ein durchschnittlicher Mensch schafft nicht mehr als eine am Tag. Wie oft können sich Zuschauer das Dschungelcamp und Deutschland sucht den Superstar noch anschauen - trotz aller Werbemaßnahmen? Und kann man es wirklich schaffen, Leuten einzureden, sie bräuchten einen Zweit-, Dritt- oder Viertstaubsauger?

Innovationsfalle 5: Die Kannibalismusfalle

Kannibalen haben keinen besonders guten Ruf. Mitglieder seiner eigenen Spezies zu verspeisen gilt nicht als schick. Auch in der Wirtschaft haben Unternehmen beständig Angst vor Kannibalismus. Wenn einen die Konkurrenz angreift, ist das schlimm. Schlimmer jedoch ist es, wenn ein Unternehmen sich selbst die Marktanteile wegnimmt. Aus diesem Grund haben der Saturn- und Mediamarkt sich jahrelang geweigert, einen Onlineshop zu eröffnen. Die Kunden könnten schließlich online einkaufen und nicht mehr in die Geschäfte kommen. Auch der Entertainment-Gigant Sony hatte kein Herz für Kannibalen. Um das eigene CD-Geschäft zu schützen, wurden die Entwicklungen eines Download-Portals für Musik nur halbherzig vorangetrieben. Und der Fotohersteller Leica vermied es Anfang der 90er Jahre tunlichst, in die digitale Fotografie einzusteigen - man könnte das eigene Geschäft mit analogen Apparaten gefährden.

In allen drei Fällen profitierten andere. Amazon nahm dem Media Markt eine große Zahl an Kunden weg, Apple entwickelte iTunes und das Geschäft mit der digitalen Fotografie fand weitgehend ohne Leica statt. Zu viel Rücksichtnahme auf das bestehende Geschäftsmodell, interne Befindlichkeiten und die Hoffnung, es würde schon niemand anders auf die Idee kommen, verhindern einen gesunden Kannibalismus. Dabei sind Kannibalen besser als ihr Ruf. Ein Unternehmen, das sich selbst kannibalisiert, handelt proaktiv und kann Märkte der Zukunft gestalten. Andere geraten in die Defensive und werden irgendwann zu Gejagten. Die Kannibalismusfalle sorgt dafür, dass sich Unternehmen nicht bewegen, obwohl sie im Prinzip wissen, dass sie eigentlich müssten. Wenn sich das Unternehmen irgendwann doch zum Kannibalismus entschließt, haben andere Unternehmen am Geschäftsmodell bereits so viel weggefressen, dass praktisch nichts mehr übrig ist.

Hochinnovative Unternehmen verstehen es, diese fünf Innovationsfallen zu vermeiden. Sie setzen nicht nur auf eine Verbesserung des Bestehenden, sondern lassen radikale Innovationsansätze zu. Sie versuchen nicht, in übersättigte Märkte Produkte hineinzubringen, die noch überflüssiger sind, als die, die es bereits gibt, sondern sie entwickeln Produkte, für die es noch keine Märkte gibt, Dienstleistungen, die einzigartig sind, und Geschäftsmodelle, die klassische Branchengrenzen sprengen. Unternehmen hingegen, die sich aus den Innovationsfallen nicht befreien können, drehen sich weiter im Kreis.

Der Autor

Jens-Uwe Meyer begleitet mit seiner Beratungsfirma die Ideeologen Entwicklungsprozesse für radikale Innovationen und unterstützt Vorstände sowie Entwicklungsabteilungen namhafter Unternehmen, eine Innovationskultur zu etablieren. Von den weltweit 50 innovativsten Unternehmen gehören sechs zu seinen Kunden. Meyer hat Deutschlands ersten Lehrauftrag für "Corporate Creativity" an der Handelshochschule Leipzig, wo er unter anderem die kreativen Unternehmensstrukturen der weltweiten Innovationsführer untersuchte.

Meyers Werdegang ist ungewöhnlich: Er ist ausgebildeter Polizeikommissar, war Polizist auf der Hamburger Davidwache und ermittelte bei der Rauschgiftfahndung gegen Heroinkartelle. Nach mehr als sieben Jahren verließ er 1990 die Polizei. Er wurde Frühmoderator beim Radio und Journalist. Als Reporter der Voice of America berichtete er hautnah über den US-Wahlkampf, für Pro Sieben aus Krisengebieten wie dem Nahen Osten, Algerien und Bosnien. Er war Programmdirektor eines landesweiten Radiosenders und hat einen MBA in Medienmanagement. www.ideeologen.de

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