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Achtung: Manipulation!

Ob großartige Themen oder unangenehme Wahrheiten – Firmenlenker, Politiker und Medien beherrschen es in Perfektion: Das Framing.
Wolf Ehrhardt | 05.11.2012
Diskussionen werden einfach in neue Zielkanäle gesteuert und lenken einfach von dem Problem ab. Eine Technik, die immer wieder funktioniert und die sich jeder zu nutze machen kann.

„Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“ („… What can be said at all can be said clearly, and what we cannot talk about we must pass over in silence“).

Das berühmte Vorwort zu Wittgensteins Tractatus Logico Philosophicus. Ach wäre es schön, wenn sich Menschen daran halten würden. Vor allem an den zweiten Teil: "…darüber muss man schweigen." Nehmen wir diesen neuen Begriff Framing und hauen wieder einmal die Politiker. Einverstanden? Am Ende dieses Kapitels wissen Sie dann, wie man Manipulation durch Framing entgeht.

Es ist wie meistens bei Manipulationen eine ganz harmlos erscheinende Technik, die aber trotzdem intensiv wirkt, um Sachzusammenhänge zu verwischen, Prioritäten umzuwidmen und dann aus Verwirrung eine Lösung zu zaubern, wie das Kaninchen aus dem Hut.

Das geht schon damit los, dass ich noch nie einen Politiker gehört habe, der gesagt hätte: „Das weiß ich nicht.“ Nun sind Politiker aber mit Recht angehalten uns Bürgern äußerst komplexe Zusammenhänge so darzustellen, dass an ihrem Wesenskern nichts verfälscht wird. Das ist zugegebenermaßen ziemlich schwierig. Trotzdem bleibt es eine der wichtigsten Aufgaben der Politik. Politiker möchten aber aus ganz durchsichtigen Gründen niemals zugeben, dass sie sich in einem Punkt vielleicht geirrt haben. Das könnte ja Wählerstimmen kosten. Also werden wir besonders durch Framing manipuliert, wenn es darum geht, die großen Themen dieser Gesellschaft zu erklären.

Nehmen wir das Beispiel Sozialabgaben. Sie steigen in den letzten Jahren in abenteuerliche, nicht mehr zu verstehende Höhen an. Dass der Staat nach den Berechnungen einer schwäbischen Hausfrau schon lange pleite ist, wissen wir alle. Wie bringe ich also eine politische Debatte in Gang, die von den eigentlichen Problemen (völlige und totale Überschuldung) ablenkt? Wie schaffe ich es, als Politiker sogar auf einem Herd zu kochen, den andere geheizt haben? Ich steuere die Diskussion in bestimmte Zielkanäle und lenke die Öffentlichkeit damit von den wirklichen Problemen ab. Das haben wir alle erlebt. Das ist gleichzeitig eine der unverschämtesten Manipulationen, denen wir täglich unterliegen.

Zunächst zum theoretischen Hintergrund: In der Kommunikationswissenschaft unterscheidet man drei Framing-Begriffe:

1. Gesteuert diagnostisches Framing
Ich stelle nicht das Problem als solches dar, sondern beschreibe nur die Konflikte und Diskussionen aller am politischen Prozess Beteiligten. (zum Beispiel Gewerkschaften, Parteien, Kirchen, Journalisten, Ministerien etc.)

2. Manipulativ prognostisches Framing
Es werden jetzt lediglich alle ökonomischen Konsequenzen hoher Sozialabgaben dargestellt. (Mehr Sozialabgaben = weniger Gewinne der Unternehmen = höhere Arbeitslosenzahlen)

3. Emotional motivatorisches Framing
Ich bringe den angeblich übertrieben hohen Lebensstil von Sozialhilfeempfängern in die Debatte ein. (Sozialhilfeempfänger ruhen sich auf der Hängematte des Staates aus.)

Meinungen vom Spieltisch
Diese drei Themenkomplexe werfe ich in eine Art „Casino-Generator“ und erzeuge so eine turbulente Diskussion nur über den Inhalt dieser drei Frames. Da ist ja genug Zündstoff drin. Es wird mit diesem Trick in der Öffentlichkeit der Eindruck verbreitet, dass man sich ernsthaft und intensiv um die Lösung des Problems bemüht. Nichts könnte falscher sein. Man diskutiert – natürlich –, aber am eigentlichen Thema völlig vorbei: „Wir sind alle pleite.“ Das kommt Ihnen jetzt bekannt vor. „It rings a bell“ – wie die Engländer so schön sagen. Perfiderweise wird dieser Casino-Generator-Prozess „Meinungsbildungsprozess“ genannt.

Gute Manipulatoren setzen diese Strategie aber auch ein, wenn es um wesentlich kleinere Probleme geht. Framing ist eines der mächtigsten Manipulationsinstrumente, das ich kenne. Sie können in jeder Diskussion darauf hereinfallen.

Beispiel:
Stellen Sie sich vor, Sie sind Besitzer einer Eigentumswohnung und bei der Eigentümerversammlung liegt ein sehr kontroverses Thema auf dem Tisch: Dacherneuerung. Die Rücklagen der Eigentümergemeinschaft reichen aber bei Weitem nicht aus, um das Projekt zu finanzieren. Jetzt geht es darum, dass jeder Eigentümer gemäß seinem Umlageschlüssel einen hohen Geldbetrag zuschießen soll. Sagen wir einmal, 10.000 Euro fallen auf Sie. Obwohl es Sinn macht, das Dach irgendwann zu erneuern, empfinden Sie es doch als insgesamt verfrüht und sogar als unfair (schließlich regnet es aktuell nicht etwa durch). Schließlich wohnen Sie im Erdgeschoss und da ist Ihnen das Dach vielleicht nicht ganz so vordergründig wichtig. 10.000 Euro haben Sie vielleicht auch gerade nicht übrig. Und hinzu kommt, dass bei einer Dacherneuerung der Besitzer der Maisonette-Wohnung im letzten Stock den größten Vorteil hat. Seine Heizkosten werden automatisch niedriger, weil ein neues Dach auch bessere Dämmung bedeutet. Und eine schöne neue Decke bekommt er noch obendrauf. In der Diskussion wird schnell klar, dass Sie wenig motiviert sind zuzustimmen. Was tut der geschickte Besitzer der Dachwohnung? (Vielleicht ist er ja Politiker?) Er setzt allen Beteiligten Frames und wirft den Casino-Generator an.


Er nutzt gesteuert diagnostisches Framing: Wortreich schildert er die unterschiedlichen Positionen der Diskutanten. Dabei lässt er jeden seinen Standpunkt möglichst schwarz/weiß darstellen. Äußern sich einige nicht ganz klar – fordert er zu einer deutlichen Stellungnahme heraus. „Na gut – aber sind Sie jetzt dafür oder dagegen?“ Seine Position ist ja klar – aber was er will, ist, dass sich an dieser Frage erst einmal folgendes Thema entzündet: „Wir leben alle in einem Haus und gute freundschaftliche Nachbarschaft ist uns sehr wichtig.“ Dagegen lässt sich schwerlich etwas sagen. Natürlich sind alle daran interessiert, dass man harmonisch zusammenlebt. Schließlich will man sich im Hausflur noch grüßen.

Der Dachwohnungsbesitzer greift auf manipulativ prognostisches Framing zurück: Als nächstes wird er nun versuchen, Sie vom eigentlichen Thema abzulenken, indem er Prognosen in den Raum stellt, die zwar irgendwie etwas mit der Sache zu tun haben, aber an der Kernfrage vorbeigehen. Er bringt jetzt Rechenbeispiele über die Wertentwicklung von Immobilien zur Kenntnis. Dabei kommt heraus, dass die Wertsteigerung in den letzten zehn Jahren ein einziges Auf und Ab war. Insgesamt ist der Wert Ihrer Immobilie aber um 8 Prozent gestiegen. Gemessen an was? Das bleibt natürlich im Dunklen. Es handelt sich um eine ganz allgemeine Statistik, die lediglich die unterschiedlichen Wertentwicklungen von Eigentumswohnungen im Vergleich von zwanzig deutschen Städten darstellt. (Die hat er aus dem FOCUS.)

Daraus lässt sich jetzt ganz einfach errechnen, dass Sie nur vier Jahre warten müssten, um diese Investition in ein neues Dach wieder herauszuhaben. Der Eigentümer der Dachwohnung gibt Ihnen allen schließlich den Gnadenschuss. Er nutzt emotional motivatorisches Framing: „Ich finde, unser Haus sieht regelrecht schäbig aus, im Vergleich zu den umstehenden Häusern. Wir waren doch alle so stolz darauf, wie geschmackvoll und witzig der Innenarchitekt die verschiedenen Herausforderungen dieses Altbaus in sehr individuelle Wohnungen verwandelt hat. Keine Wohnung sieht aus wie die andere. Unsere Gäste – das müssen Sie zugeben – sind immer voll des Lobes und ganz überrascht, wie schön innen alles ist. Ich finde, dass unser Haus auch von außen den Anspruch seiner Besitzer widerspiegeln sollte.“

Hier gilt natürlich wie immer: Der Manipulator muss seine Argumente mit großer Gelassenheit und freundlichem Gesichtsausdruck bringen. Er muss Ihnen dadurch sympathisch sein. Sonst klappt seine Manipulation nicht. Kann er das aber, dann hat er vom eigentlichen Thema geschickt abgelenkt, Ihnen aber zugleich den subjektiven Eindruck verschafft, sich mit dieser Problematik ausführlich auseinandergesetzt zu haben. Nach spätestens drei Stunden kippen Sie um. (Wollen wir wetten?)


Mehr Informationen zum Thema:
Wolf Ehrhardt: Ich mache doch, was ich nicht will
Wie wir täglich manipuliert werden, und wie wir uns dagegen wehren können
1. Auflage BusinessVillage 2009

Mit freundlicher Genehmigung der BusinessVillage GmbH - Verlag für die Wirtschaft (http://www.businessvillage.de)