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Sind Sie retro?

Autos, Mode, Schallplatten – es gibt viele Beispiele von Produkten, die, angelehnt an ältere Traditionen, große Erfolge feiern. Darin spiegelt sich häufig die Sehnsucht nach Werten wider. Genau wie in der werteorientierten Personalarbeit, die sich immer m
Ralph Strobel | 18.06.2013
„Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen" - Ein alter Top Management-Spruch, der meiner Meinung nach heute nicht mehr zutrifft, wenn er es überhaupt je tat. Umgekehrt wird eher ein moderner Schuh daraus, denn aus einer Vision folgen in der Regel Leitbilder und Werte, die in jedem Unternehmen gelebt werden sollen. Bedauerlicherweise fristen diese Werte häufig ihr Dasein auf einer farbigen PowerPoint-Folie, die verschämt vor dem Kantineneingang oder im Umfeld des Hygienebereichs hängt. Ich kenne nahezu kein Unternehmen, welches dieses Schaubild nicht sein eigen nennt. Ich kenne allerdings auch nicht so viele Unternehmen, in dem die Mitarbeiter dies tatsächlich leben.

Aber die Unternehmen, in denen Werte wirklich gelebt werden, sind erfolgreich. Allesamt. Aber was heißt eigentlich Werte leben? Ist locker dahin gesagt, aber wie kann man Werte wie Kundenorientierung leben, wenn es einem nicht leicht gemacht wird: Zu viele Projekte ohne direkte und offene Kommunikation über Sinn und Zweck, Stellen- und Budgetkürzungen, endlose Meetings mit bekanntem Ergebnis und immer schnellere Produktzyklen. Da bleibt natürlich nicht viel Zeit, sich auch mal strategisch über das Hier und Jetzt und vor allem über das Morgen zu unterhalten. Ist auch nicht einfach. Nur: Wenn ich mich nicht darum kümmere, werde ich selbst geändert. Und die kleinen und großen Beispiele, die wir alle kennen, egal ob aus der Presse oder aus unmittelbarer Nachbarschaft, sind zahlreich. Dafür sind nicht immer die Kunden oder die unsichere Konjunkturlage schuld.

Über Angela Merkel wird immer nebulös gesagt, dass sie als Physikerin vom Ende her denke. Glaube ich gerne. Das mag in der Politik ja auch funktionieren, wenn man viele Jahre Zeit hat, um eine Reform auf den Weg zu bringen. Als Kompromiss. In Branding und Marketing ist erfolgreich, wer vorne anfängt, weil Effektivität und Effizienz eine große Rolle spielen und Kunden nicht jahrelang auf ein neues Produkt warten wollen. Wichtig sind nicht der schicke neue Kanal und das neu gestaltete Anzeigentemplate, wichtig ist der Inhalt. Die Botschaft, die Geschichten. Das Versprechen und Einhalten der Werte aus der Folie, an der ich jeden Tag sechsmal vorbeilaufe. Die Identifikation. Das Erleben des Produkts, des Unternehmens und der Menschen.

Warum pilgern jeden Tag Unternehmen aller Branchen und aus aller Herren Länder zu Ritz-Carlton, um sich vom unbestrittenen Service-Benchmark Anregungen für ihr eigenes Unternehmen zu holen? Klar, weil man hier Service super kann. Vor allem aber, weil hier Werte ihren Weg von PowerPoint in die Köpfe der Mitarbeiter gefunden haben. Weil sie wissen, warum sie das tun. Weil sie eine klare, langfristige Orientierung haben. Hier stellt man sich nicht Frage, ob man schnellstmöglich eine facebook-Karriere-Page öffnen soll, weil sich in den sozialen Medien ja die Zielgruppen tummeln. Hier ist man souveräner, weil man sich auf so etwas wie eine DNA verlassen kann. Auch hier stehen potentielle Mitarbeiter vielleicht nicht Schlange, aber zumindest entdecken sie dort ein Markengerüst, welches auch gelebt wird. Und leben heißt in diesem Zusammenhang auch die Anwendung dieser Werte auf Karrierechancen und Weiterbildungsangebote, Führungsstil, soziales Miteinander, Unternehmenskultur und und und. Eben genau die Gründe, warum man sich für einen Arbeitgeber entscheidet. Oder auch nicht. Und das schöne ist, dass erfolgreiche Marken dies nicht trennen. Und damit auch mehr Geld verdienen.

Denn Unternehmen mit erfolgreichen Marken sind auch die mit der höchsten Arbeitgeberattraktivität. Da kommt also irgendwas zusammen, was in den Köpfen der Konsumenten, Kunden, Bewerber etc. ein Bild ergibt. Und was wohl zusammengehört: Eine Marke, der man vertraut. Unabhängig von Unternehmensgröße, Branche und Standort. Nur die Maßnahmen, also das Ende, unterscheiden sich. Deswegen: Von vorne her denken, strategisch angehen, sich auf die Stärken besinnen, ehrlich bei den Schwächen sein und dann die Positionierung, das Branding der Zukunft, entwerfen. Da muss man noch nicht einmal zum Arzt gehen. Aber rückwärts, oder Retro, kann der richtige Schritt in die Zukunft sein.