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Lieber munter in Frottee als sexy verschnupft

Was Sprache und Unterwäsche gemeinsam haben. Der Zeitgeist hat einen Dialekt von Ewald Gehrmann
Trados | 12.07.2013
Das Zusammenwachsen Europas führt dazu, dass „die Europäer nun nach und nach darauf kamen, wie viele Minderheiten, Nationalitäten, religiöse, sprachliche, ethnische Gruppen es in ihrer Union tatsächlich gab und dass es ihre Vielzahl und Vielfalt war, die diese Wirtschaftsunion anziehend machte (Karl-Markus Gauß in Die sterbenden Europäer). Als „linguistische Revolution“ bezeichnet die Neue Zürcher Zeitung beispielsweise die Tatsache, dass die Handy-Generation ihre Nachrichten auf Schweizerdeutsch austauscht. Vorbei sind vielerorts die Zeiten, in denen es als „weltmännisch“ und „cool“ galt, möglichst akzentfrei auf Hochdeutsch zu kommunizieren. Ein Trend, der sich übrigens auch unter deutschen Deutschsprachigen auf Facebook finden lässt – achten Sie einmal darauf, wie viele Kommentare in Ihrem Freundeskreis inzwischen im hessischen, schwäbischen oder sächsischen Dialekt verfasst werden.

Was Sprache und Unterwäsche gemeinsam haben

Der Economist geht einen Schritt weiter und verdeutlicht, welche Verkaufschancen sich Unternehmen entgehen lassen, wenn sie nicht auf die Sprachpräferenzen ihrer potentiellen Kunden eingehen. In Indien wird verhältnismäßig wenig geschrieben. Grund hierfür? Tastatur und Betriebssysteme kommen den indischen Sprachen nicht entgegen. Zwar sprechen viele Inder Englisch, aber eben bei weitem nicht alle. Hinzu kommt, dass – besonders im Privaten – die Muttersprache, die Sprache des Herzens ist. Oder um es mit anderen Worten ausdrücken: Auch wenn uns die Berufswelt zu bestimmten Dress Codes zwingt, die Wahl unserer Unterwäsche bleibt davon unbehelligt.

Hier bin ich Mensch, hier kauf' ich ein

Frei nach Goethes Faust „Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein“ hat die Drogeriemarktkette DM erkannt, worauf es den Kunden ankommt und wird laut Wikipedia mit Bestnoten in den Bereichen Umsatz, Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit belohnt.
„Die Welt ist voll von guten Firmen mit guten Produkten. Der Erfolg stellt sich bei denen ein, die sich maximal auf ihre Kunden konzentrieren, sich permanent um sie bemühen und so zufriedenstellen, dass diese auch bei ihren eigenen Kunden Erfolg haben - d. h. also, dass Sie mit ihnen 'fühlen, sie verstehen' und Ihre Bedürfnisse ansprechen und befriedigen ...“, schreibt der internationale Marketing- und Vertriebsberater Michael Richter auf seiner Webseite.

Die neue Lässigkeit

Der Kolumnist Roger Cohen (“The New York Times" und "International Herald Tribune") attestierte den Deutschen 2009 die „German Lässigkeit“ und eine damit einhergehende Anpassung an internationale Verhältnisse.
Sieht fast so aus, als hätte die Mehrzahl der Menschen auf diesem Globus – ob als Konsument oder Geschäftspartner – nach Dotcom-Blase, Finanz- und Wirtschaftskrise genug von vermeintlicher Professionalität und vertrauten lieber auf Vertrautes.
Ob wir uns nun künftig bei Messen und Besprechungen mit Birkenstock und Kittelschürze begrüßen, darf zwar als fraglich betrachtet werden. Die Verlässlichkeit und Fürsorglichkeit, die den beiden Gegenständen zugeschrieben werden, können wir hingegen sicherlich ohne Bedenken in unsere Kommunikationsprozesse integrieren.