print logo

Neun Thesen zur Zukunft der deutschen Sprache

Am 10. September ist der Tag der deutschen Sprache. „Gehst du Kino?“ - Dozent Murtaza Akbar: „Deutsch verändert sich schneller und massiver“.
Die deutsche Sprache ist mächtig im Wandel. Es wird einfacher, knapper und skurriler geschrieben und gesprochen als je zuvor. Da wird geemojit, gekürzt, klein und ohne Kommas geschrieben, was das Zeug hält. Eine Bedrohung für die deutsche Sprache, wie es der Verein Deutsche Sprache sieht, der den mittler­weile 16. „Tag der deutschen Sprache“ am Samstag, 10. September, veranstaltet? „Nein, die deutsche Sprache lebt und verändert sich ja ständig. Sie wird vielfältiger, bleibt sich dennoch treu und ausdrucks­stark“, sagt Murtaza Akbar, Leiter des Unternehmens Wortwahl und Dozent im Studien­gang Onlinekommunikation.

„Ich selbst schreibe SMS und auf WhatsApp mit Groß- und Kleinschreibung samt Kommas. Aber wer macht das noch?“, fragt Murtaza Akbar (47). Ob SMS, WhatsApp, Facebook oder Snapchat – normal ist heute eher, in Kurznachrichten oder Chats alles kleinzuschreiben, ohne Kommas und gespickt mit Abkürzungen sowie Emojis, den kleinen stilisierten Bildern, Gesichtern, Händen und vielem mehr. Das kann zum „Tag der deutschen Sprache“ am 10. September 2016 nicht allen gefallen.

„Bei Dialogen wie ‚Gehst du Kino?‘ ‚Ja, ischwör!‘ wird mir auch komisch“, betont Akbar, seit 17 Jahren Geschäftsführer der Agentur Wortwahl und seit zwei Jahren Dozent im neuen Studiengang Onlinekommunikation an der Hochschule Darmstadt. Er hat aufgrund seiner Erfahrungen neun Thesen zur Zukunft der Sprache aufgestellt. „Aber so spricht und schreibt teilweise die junge Generation heute nun mal. Wir können es verurteilen, wir können uns aber auch damit beschäftigen, wie und warum es so ist“, sagt der Sprach- und Kommunikationsexperte.

Facebook, WhatsApp, Snapchat & Co. beeinflussen die Sprache enorm.

Aufgrund sozialer Medien wie Facebook, WhatsApp, Twitter oder Snapchat wird mehr geschrieben denn je. Laut Statista nutzten Ende 2015 rund 90 Prozent der 16- bis 29-Jährigen in Deutschland WhatsApp – mit großem Einfallsreichtum. Da wird gekürzt, geemojit und kleingeschrieben, was die Tastatur hergibt. Natürlich beeinflusst das auch die gesprochene Sprache. Chat-Abkürzungen wie „LOL“ (Laughing Out Loud) oder „OMG“ (Oh My God) sind längst Teil der Jugendsprache. Interessant wäre zu ermitteln, wie die 60- bis 69-Jährigen schreiben, die hierzulande inzwischen zu mehr als 50 Prozent WhatsApp nutzen?

Murtaza Akbar sieht diese Erfindungsvielfalt und die sozialen Medien grundsätzlich positiv: „Sprache lebt und hat sich schon immer verändert. Jede junge Generation entwickelt eigene Sprachbilder und Slangs. Zurzeit geschieht das nur schneller und massiver.“ Beispiele dafür gibt es mehr als genug: Bei „Wir fahren Urlaub“ oder „Kaufst du Eintrittskarte“ werden Präpositionen und Artikel kurzer­hand eingespart. Sätze, bei denen der Akkusativ statt des Dativs verwendet wird, wie „Er hat es ihn versprochen“, sind auch keine Seltenheit. Dieses „Kiezdeutsch“ nutzen Deutsche wie Migranten. Akbar kennt mit seinem Migrationshintergrund beide Seiten bestens. Der gebürtige Frankfurter stammt aus Pakistan.

„Ich finde das Kiezdeutsch nicht schön, aber es ist gelebtes Deutsch. Doch warne ich beispielsweise Unternehmen davor, sich diese Sprache in ihrer Werbung oder Kommunikation zu eigen zu machen. Das wirkt aufgesetzt und anbiedernd; das durchschauen die Menschen schnell“, erläutert Akbar und gibt zwei Beispiele, wie schwierig die zielgruppengerechte Ansprache heute geworden ist: „Das Unternehmen BASF duzt konsequent jeden auf seinem Facebook-Karrierekanal, selbst Bewerber für Führungspositionen werden angesprochen mit Sätzen wie ‚Bewirb dich noch heute als Leiter Bauabteilung‘. Auf der anderen Seite siezt das Unternehmen auf seiner Webseite schon Praktikanten. Das passt nicht zusammen.“ Und aus der Bildungswelt: „Die Rektorin einer Hauptschule aus dem Rhein-Main-Gebiet fragte mich, wie sie eine Plakatkampagne erstellen soll, die für ihre Schule wirbt. Mein Rat: Sprechen Sie die Sprache Ihrer Schüler. Worauf sie erwiderte, dann ‚Isch geh Schule‘ schreiben zu müssen. Das geht natürlich nicht. Ob Schule, Unternehmen, Amt oder Organisation – korrekte Rechtschreibung und Grammatik müssen sein.“

„Lass ma zsm chillen gehen“

Die Tendenz zu kürzerer, einfacherer Sprache, die auch auf Smartphones schnell zu lesen ist, widerspricht dem nicht. Selbst Medien wie Spiegel Online mit seinem Jugendableger Bento oder die Bild-Zeitung mit ihrem Jugendportal Byou schreiben hier online kürzer und einfacher für die junge Generation. Diese Entwicklung bestätigt auch die jährliche Onlinestudie von ARD/ZDF von Oktober 2015: 72 Prozent der 14- bis 29-Jährigen gaben an, Instant-Messagingdienste wie WhatsApp für Kurznachrichten täglich zu nutzen und damit häufiger als andere Netzwerke wie Facebook (46 Pro­zent) oder Instagram (16 Prozent).

Murtaza Akbar hat keine Sorge vor dem Wandel der deutschen Sprache oder gar einem Sprachverfall. Es gebe einen wunderbar vielfältigen Wortschatz, der von allen Generationen bereichert wird. Akbar plädiert dafür, den Wert von Sprache und Worten zu schätzen und gleichzeitig gelassen zu bleiben. „Der Tag der deutschen Sprache am Samstag, 10. September, ist ein schöner Anlass für angeregte Unterhaltungen – am besten generationsübergreifend. Und wenn es sein muss über WhatsApp. Vielleicht schreibt die Oma dann ihrer Enkelin ‚Lass ma zsm chillen gehen‘.“

Neun Thesen vom Sprach- und Kommunikationsexperten Murtaza Akbar
Aus seinen Erfahrungen als Geschäftsführer der 1999 gegründeten Agentur Wortwahl sowie seiner Tätigkeit als Dozent für Onlinekommunikation hat der Sprach- und Kommunikationsexperte Murtaza Akbar neun Thesen zur Zukunft der modernen deutschen Sprache aufgestellt.

1. These: Das Allgemeinwissen der Menschen in Deutschland wird kleiner, Nischenwissen dagegen größer – Folge: Der gemeinsame Wortschatz wird kleiner, die Verständigung schwieriger und gleichzeitig die Vielfalt der Sprache größer

2. These: Auf Kommas sowie Groß- und Kleinschreibung wird immer weniger Wert gelegt – Folge: Die Kenntnisse dazu werden geringer, Grammatik interessiert zunehmend weniger Menschen und das obwohl wegen der sozialen Netzwerke mehr geschrieben wird als je zuvor

3. These: Anglizismen und Fremdwörter werden künftig immer häufiger „eingedeutscht“ – Folge: Die deutsche Sprache wird vielfältiger, internationaler, ohne an Eigenheiten zu verlieren

4. These: Facebook, WhatsApp, Twitter, Snapchat & Co. werden stets für neue Wort- und Sprachkreationen sorgen – Folge: Jeder neue Kommunikationskanal wird zur Vielfalt der Sprache beitragen

5. These: Texte werden knapper, andere ausführlicher – Folge: Es wird immer mehr Kurztexte und viel mehr tiefergehende längere Texte geben

6. These: Dialekte und Slangs wie Kiezdeutsch nehmen zu – Folge: Sprache wirkt noch stärker als Trennungs-, aber auch als Verbindungselement zwischen und innerhalb der einzelnen Gruppen („Communities“)

7. These: Immer weniger Bundesbürger sprechen einwandfreies Hochdeutsch und schreiben fehlerlos – Folge: Wer sowohl Dialekt oder Slang als auch Hochdeutsch sprechen und korrekt schreiben kann, hat einen wachsenden Vorteil auf dem Arbeitsmarkt

8. These: Unternehmen müssen sich verstärkt auf eine Vielfalt an Sprache, Kommunikation, Kanälen und Zielgruppen einstellen – Folge: Die Unsicherheit in der Kundenansprache wird steigen

9. These: Unternehmen stehen vor der großen Herausforderung, die richtige Ansprache für jeden Kommunikationskanal zu finden – Folge: Echte und glaubwürdige Kommunikation wird immer wichtiger, weil Zielgruppen sie sonst abstrafen


Über den „Tag der deutschen Sprache“ am 10. September 2016
Der „Tag der deutschen Sprache“ am 10. September 2016 wird jährlich seit 2001 am zweiten Samstag im September vom Verein Deutsche Sprache e.V. ausgerufen. Der 1998 gegründete Verein will damit nach eigenen Aussagen unter anderem „ein Sprachbewusstsein festigen, das den unkritischen Gebrauch von Fremdwörtern eindämmt, bei allen Bürgern des Landes den Sinn für die Ausdruckskraft der deutschen Sprache wecken und für den Gebrauch von gutem und verständlichem Deutsch in Wort und Schrift werben“. Der Verein Deutsche Sprache hat seinen Sitz in Dortmund und ist „ein weltweit tätiger Verband mit 36.000 Mitgliedern, der für das Ansehen der deutschen Sprache wirbt“.