print logo

Digitale Transformation und analoge Stakeholder

Warum Transformation nicht so funktioniert, wie wir uns das wünschen. Klare Ziele und mutige Führung als Erfolgsfaktoren.
Bertold Raschkowski | 12.03.2018
© Pixabay / Geralt
 

Geschwindigkeit


Alles ist irgendwie 4.0 heute. Arbeitswelt, Industrie, alles. Nun ist „4.0“ nicht wirklich über uns unangekündigt hereingebrochen. Alles fing langsam an. Nur die Beschleunigung war exponentiell. Und der Mensch kann nicht wirklich abschätzen, wenn sich das Tempo pro Zeitabschnitt verdoppelt. Am Anfang merkt man nichts und dann irgendwann sind über Nacht Teiche mit Seerosen zugewachsen, die Tags vorher nur halb bedeckt waren. Also nichts Neues, dennoch sind wir überrascht.

Expertentum


Da hilft es auch nicht, wenn (wir) Experten sagen: Es bleibt Dir vermutlich nicht viel Zeit, bis Dich eine Entwicklung trifft, die es zu letzten Mal vor zig Jahren so gab. Klar könnte man meinen, Experten wollen halt nur was verkaufen. Vor allem, wenn diese Experten wirklich etwas zu verkaufen haben, also keine Forscher sind.

Viel Informationen und ein bisschen Hoffnung


Da nun alle genug mit dem Tagesgeschäft zu tun haben, bleibt lediglich Zeit zu hoffen, dass das Neue a) weggeht, b) mich nicht betrifft oder c) die anderen dann doch damit scheitern - oder d) wir sie bekämpfen, weil sie dann doch unlauter zu groß und zu mächtig geworden sind.

Wer dann doch noch genug Zeit findet, der besucht Messen und Kongresse und macht sich schlau. Bei so viel Input sieht man die Bytes vor lauter Bits nicht mehr, fällt in eine Entscheidungsstarre oder besucht weitere Veranstaltungen.

Vermeintliche Lösungsanbieter


Berater treten auf den Plan. Und beraten. Ungünstig ist, dass sie bei so richtig neuen Themen wenig bis gar keine Showcases haben, die einer Langzeitüberprüfung standhalten könnten. Woher auch? Also braucht es Konzepte. Neue und erfolgversprechende Konzepte. Leider macht sich nicht jeder Berater die Arbeit einer gründlichen Anamnese des Unternehmens und des Marktumfeldes, um Lösungen anbieten zu können, die er beherrscht. Nicht viel anders ist es bei Lösungsanbietern: Nicht immer wird das verkauft, was die Organisation braucht, sondern eher das, was der Anbieter im Angebot hat (bzw. was er kann).

Möglichkeiten und Meinungen


Zu viele Möglichkeiten, zu viele Meinungen. Was das mit dem Entscheidungsverhalten macht, erfahren Kinder im Bällebad oder Spielzeugparadies: Überforderung. Ausprobieren. Weglegen. Übermüdung.

Wer weiß, was er will bzw. wo er hinwill, wird es leichter haben, eine gute Entscheidung und eine Auswahl aus den zur Verfügung stehenden Lösungen zu treffen. Die Vertrauenswürdigste bekommt den Zuschlag.

Anamnese und (Change-)Management


Ideal ist es aus meiner Sicht, wenn in der Organisation klar ist, was sie will, was ihr Kern und ihr Wesen ist und wo sie hinwill. Dann kann sie sich das Bällebad schenken und eine Anforderungsliste verfassen, mit der sie an den Anbieter herantritt. Zugegeben, das ist im Zweifelsfall eine Menge Arbeit. Allerdings wird sich das später in der Umsetzung auszahlen. Und ich glaube nicht, dass man durch diese Basisarbeit Zeit verliert. Langfristig im Gegenteil.

Abwarten oder folgen?


Nun gibt es weitere Ansätze, um eine erfolgreiche Transformation - was ja nichts anderes ist als ein Change-Prozess - zu vermeiden, außer Binge Conferencing zu betreiben, nämlich abwarten. Ok, abwarten. Gefolgt von hinterherlaufen. Ich meine damit, die Me-Too-Falle, die sich dann langsam schließt, wenn ich mich an einem Best Case, einem erfolgreichen Marktbegleiter oder dem Marktführer orientiere. Kann man machen. Nur bin ich dann immer bestenfalls Zweiter.

Oder es geht in die Hose, weil die Lösung, die Vorgehensweise, die beim Ersten funktioniert, bei mir noch lange nicht funktionieren muss und ich mit der Lösung hervorragend danebenliegen kann. Denken Sie an vielfältige andere Kriterien und Einflüsse, Mitarbeiter, Kultur (insbesondere Führungskultur), Kunden, Lieferanten und und und. Eine gefährliche Kiste, wie ich finde.

Pionier- und Entdeckergeist


Nun, was wäre denn ideal? Selber der Leader sein und die eigene Lösung entwickeln. Mit Einsatz geeigneter externer Wegbegleiter - „Buy“, wo „Make“ unwirtschaftlich ist. Das braucht Mut, eine resiliente Organisation, so etwas wie Führung 4.0 und eine hohe Frustrationstoleranz. Denn Pioniere haben - um im Westernjargon zu sprechen - regelmäßig den Staub im Gesicht und die Pfeile im Rücken.


Faktor Mensch


Klingt alles gut, oder? Und plausibel ist es auch, finde ich. Nur finde ich auch, dass wir in der Diskussion um Transformation und Digitalisierung den wichtigsten Stakeholder vergessen oder ignorieren oder im Hintergrund belassen. Sie ahnen es: Es ist der Mensch. Menschen funktionieren nicht digital oder in Algorithmen. Und Organisationen bestehen aus Menschen.

Die Evolution steckt uns in den Knochen. Wir brauchen - selbst, wenn wir es kognitiv auf die Reihe kriegen - ganz schön lange, um uns auf neue Situationen und Herausforderungen ein- und entsprechend umzustellen. Generation X braucht dafür länger als Generation Y oder Z.

Führung im Transformationsprozess


Der Wunsch nach einer gewissen Stabilität oder Sicherheit ringt mit dem Wunsch und der Notwendigkeit der Veränderung. Nicht immer gute Voraussetzungen für eine schnelle und erfolgreiche Transformation, aber ein, wenn nicht im Zweifel der qualitativ entscheidende Hebel für erfolgreiche Transformationen: Führung, die damit umzugehen weiß.

Nennen Sie es von mir aus Führung X.0. Wichtig ist, dass Sie als Führungskraft und Organisation darum wissen – und es „managen“ können.