print logo

Barrieren vermeiden - nicht nur aus Menschenfreundlichkeit

„Barrierefreiheit - ist das nicht für Behinderte? Das ist nicht unsere Zielgruppe!“ (Buchbeitrag)
Michael Charlier | 22.10.2007
Dieser Fachartikel erschien im Leitfaden Online-Marketing http://buchblog.marketing-boerse.de
http://www.marketing-boerse.de/Info/details/LeitfadenOM


„Barrierefreiheit - ist das nicht für Behinderte? Das ist nicht unsere Zielgruppe!“

So kann man das natürlich auch sehen - aber die schnelle Antwort hat mindestens zwei Schwachpunkte: Erstens weiß man im Netz immer noch nicht so genau, wie das mit den Zielgruppen funktioniert. Natürlich besuchen sehbehinderte ältere Damen nicht gewohnheitsmäßig die Webseiten der Anbieter von Skateboards - außer vielleicht, wenn der Lieblingsenkel demnächst Geburtstag feiert und sehr deutlich angemeldet hat, dass so ein Gerät genau das richtige Geschenk von der Großmutter wäre. Zweitens sind es durchaus nicht nur vermeintlich kaufkraftschwache Behinderte, die sich durch überflüssige Barrieren an der freien Bewegung im Netz gehindert sehen. Brillenträger, die gerade nicht die richtige Brille zur Hand haben, reisende Geschäftsleute, die von unterwegs mit einem Handheld ins Netz wollen, Hotelgäste, denen ein hoher Volumentarif abverlangt wird - sie alle sehen sich immer wieder vor Barrieren gestellt, die ihnen die Freude an der Arbeit oder den Spaß am Surfen gründlich verleiden können, obwohl sie vielleicht genau zur Zielgruppe gehören.

Und war da vielleicht noch etwas? Richtig: Selbst wenn Behinderte nach allem, was Sie über „ihre“ Zielgruppe wissen, eher selten unter Ihren Besuchern auftauchen sollten, müssen Sie sie ja nicht gleich mit einem Schild „Wir dürfen hier nicht rein“ begrüßen. Das macht nämlich keinen guten Eindruck.

„Aber barrierefreie Seiten sind immer so hässlich!“, ist dann das nächste Argu-ment, „Damit verscheuche ich meine Kunden.“ Das ist sogar halbwegs richtig - wenigstens wenn man das „immer“ weglässt. Es gibt tatsächlich noch viele Seiten, die Hässlichkeit und Phantasielosigkeit mit ihrer angeblichen Barriere-freiheit entschuldigen. Eine gute Ausrede ist das nicht, denn fast alle wesentlichen Anforderungen der Barrierefreiheit lassen sich ohne Einbußen bei der ästhetischen Gestaltung verwirklichen.

Lassen Sie uns diese wesentlichen Anforderungen einmal näher betrachten. Und lassen Sie uns statt von „Barrierefreiheit“ - die es genau genommen gar nicht geben Zugänglichkeit“ sprechen. Dann fällt es viel leichter, kann - lieber von „hoher die Vorteile zu sehen, die sich mit diesem Konzept für alle verbinden. Auch und gerade für kleine und mittlere Unternehmen, die schließlich alles tun müssen, um auf ihren Märkten präsent zu bleiben und die Kommunikation mit Kunden und Partnern flüssig zu halten.


Was ist das - „Barrierefreiheit“?

Die quasi amtliche Aufzählung der Zugangshindernisse und Barrieren enthält ein Dokument namens BITV - das ist die „Verordnung zur Barrierefreien Infor-mationstechnik“ des Bundes, die im Zusammenhang mit dem Behinderten-Gleichstellungsgesetz des Bundes aus dem Jahre 2002 erlassen wurde und in dieser oder ähnlicher Form auch in die Landesgesetzgebung eingegangen ist. Nachlesen können Sie das und vieles mehr auf http://www.einfachfueralle.de. Anbieter privater oder kommerzieller Webseiten sind natürlich in keiner Weise durch diese Verordnung gebunden, auch technisch repräsentiert diese Vorgabe nicht gerade den neuesten Stand. Das ändert aber nichts daran, dass dieses Dokument immer noch eine brauchbare Hilfe ist, um die potentiellen Ursachen von Barrieren zu erkennen und unnötige Hindernisse zu vermeiden beziehungsweise Abhilfe zu schaffen. Auch bei der folgenden Zusammenstellung orientiere ich mich grob an dieser Verordnung - allerdings nur hinsichtlich des Inhaltes und nicht in der bei der Vorlage etwas eigenwilligen Reihenfolge.

Sie fragen sich wahrscheinlich, warum Sie hier mit Details zur Technik des Web-seitenbaues behelligt werden - darum soll sich gefälligst Ihre Agentur kümmern. Damit haben Sie natürlich vollkommen recht - zumindest theoretisch.

Tatsächlich wäre es die Aufgabe des Webdienstleisters, die technischen Voraus-setzungen für eine möglichst hohe Zugänglichkeit zu schaffen, und eine steigende Zahl von Dienstleistern macht das auch. Die erzählen Ihnen nicht lange etwas von Accessibility, Webstandards und BITV - die halten sich einfach so weit wie im konkreten Fall notwendig und sinnvoll an die entsprechenden Vorgaben und liefern Ihnen Webseiten auf dem aktuellen Stand der Technik - die dann eben auch ein hohes Maß an Zugänglichkeit aufweisen. Leider ist das aber noch keineswegs selbstverständlich. Da gibt es Agenturen, die setzen immer noch die Verfahren von vor fünf Jahren ein, die wenig zugängliche Ergebnisse produzieren. Bei anderen regiert eine vermeintliche Philosophie, für die „Zugänglichkeit“ von Anfang an kein Thema ist. Da setzt man auf optisches Feuerwerk, und wer als Besucher nicht die neueste PC-Technik , eine schnelle Internet-Anbindung und den teuersten Bildschirm dastehen hat, soll sehen, wo er bleibt. Und dann gibt es auch noch die Agenturen, die schwören Stein und Bein, dass Webstandards und hohe Zugänglichkeit bei ihnen zum Standardprogramm gehören - deren Seiten aber dann bei beidem große Mängel aufweisen.

Es bleibt Ihnen als Auftraggeber also nichts anderes übrig, als sich einmal selbst mit den elementaren Voraussetzungen zur Zugänglichkeit zu befassen, um wenigstens eine ungefähre Vorstellung davon zu gewinnen, worum es dabei geht. Eine solche ungefähre Vorstellung schützt dann auch davor, auf der Grundlage eigener Surferlebnisse der Agentur Vorgaben zu machen, die sich mit den Erfordernissen der Zugänglichkeit beim besten Willen nicht vereinbaren lassen. Außerdem ist hohe Zugänglichkeit leider nichts, was Sie von Ihrer Agentur einmal fix und fertig geliefert bekommen, und um das Sie sich dann nicht mehr kümmern müssen. Der Webdienstleister kann nur die technischen Voraussetzungen schaffen. Damit eine gut zugänglich gelieferte Website im Dauerbetrieb zugänglich bleibt, müssen auch beim Einpflegen der Inhalte diverse Dinge beachtet werden.


Technische Voraussetzungen

Webstandards

Eine grundlegende Voraussetzung, um möglichst vielen Besuchern den Zugang zu Webangeboten zu ermöglichen, ist die Beachtung der Webstandards, die vom World Wide Web Consortium erarbeitet und verwaltet werden. Diese Standards beschreiben die Verfahren und Sprachen, mit denen Webseiten „programmiert“ werden, sie geben auch Richtlinien für die Hersteller der Webbrowser, also der Software, mit der die Webseiten dargestellt werden sollen. Auf einen solchen internationalen Webstandard, nämlich die WCAG1, geht auch die Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungs-gesetz (BITV) zurück. Wenn alle, die im Internet-Bereich tätig sind, sich mehr an diese Standards halten würden, würde ein großer Teil der Zugänglichkeitsprobleme, die uns heute zu schaffen machen, erst gar nicht entstehen. In jedem Pflichtenheft für Webprojekte sollte daher festgehalten sein, dass möglichst nur standardkonforme Techniken eingesetzt werden. Wo Ausnahmen erforderlich sind, sollte das eigens begründet werden.

Allgemeine Wahrnehmbarkeit

Das Internet ist nach Technik und Ursprung ein Textmedium - und digitalisierter Text hat die in Sachen Zugänglichkeit höchst erwünschte Eigenschaft, in vielerlei Form wahrgenommen werden zu können. Man kann ihn auf Bildschirme verschiedenster Formate projezieren, auf Papier ausdrucken, digital weiterverarbeiten, in Töne umwandeln und vorlesen, für mechanische Ausgaben aufbereiten, so dass man ihn mit den Fingerspitzen ertasten kann - sogar die automatische Übersetzung in andere Sprachen nimmt allmählich brauchbare Formen an. Was in Textform auf einer Internetseite steht, kann weitgehend als zugänglich gelten - außer es ist vielleicht auf Chinesisch getextet. Fachchinesisch ist auch nicht viel besser.

Bilder

Für Bilder gilt das leider nicht. Man kann sie nur sehen, eine Umwandlung für andere Wahrnehmungsweisen ist praktisch nicht möglich. Wo wichtige Informationen durch Bilder übermittelt werden, ist es daher notwendig, diesen Bildern den von den Webstandards vorgesehenen Alternativtext beizugeben. Dieser Alternativtext wird von einigermaßen standardkonformer Technik immer dann automatisch angezeigt oder vorgelesen, wenn das Bild selbst nicht wahrgenommen werden kann. Da viele Bilder nur wenig oder gar keine Information enthalten, kann man sich bei diesen Alternativtexten oft recht kurz halten oder sie auch ganz weglassen. Von einem Internethändler, der in seinem Online-Katalog siebenundsiebzig verschiedene Akkus für Laptops anbietet, die er selbstverständlich auch abbildet, ist definitiv nicht zu erwarten, dass er jedem dieser Bilder auch noch eine textliche Beschreibung beigibt. Ob der Akku passt, hängt nicht von der Farbe ab, sondern von der Typnummer - und wenn die als Text angeboten wird, ist sie auch zugänglich.

Bilder stellen für die Zugänglichkeit kein großes Problem dar, wenn sie illustrative Elemente sind, denn auf Illustrationen kann man in vielen Fällen gut und gerne verzichten. Probleme gibt es immer dann, wenn Bilder Text ersetzen sollen. Wer dann keine Bilder sehen kann- weil sein Organizer sie nicht darstellt oder weil er überhaupt nicht sehen kann - der hat eine Lücke in der Information. Dies ist ziemlich ärgerlich, wenn zum Beispiel bei einer Liste von Büchern jedes Buch mit einem großen Bild des Umschlags dargestellt wird, so dass der Titel des Buches oder der Namens des Autors im Text nicht mehr wiederholt werden müssen. Das glauben jedenfalls viele Webseitenbetreiber. Wenn ein Speiseplan oder eine Wegbeschreibung der Einfachheit halber gleich als Grafik ins Netz gestellt sind bleibt diese Information für jeden, der keine Bilder hat, völlig unsichtbar.

Zu den Besuchern Ihrer Website, die keine Bilder wahrnehmen können, gehören übrigens auch die Suchmaschinen. Sie sehen nichts, was nur abgebildet ist, und sie können dann natürlich auch nichts in ihren Katalog aufnehmen.

In der Praxis stellen tatsächlich nicht die Illustrationen, sondern die als Bild auf die Seiten gebrachten Texte das Haupthindernis für eine größere Zugänglichkeit dar. Und dabei geht es nicht um eher seltene Sonderfälle wie Speisekarten oder Zugangspläne, sondern oft um ganz zentrale Elemente jeder Website wie Logos, Überschriften, Navigationspunkte oder hervorgehobene Links. Der Grund: Für die Verwendung im Internet steht nur eine geringe Anzahl von Schriften zur Verfügung - nur die Schriften, die tatsächlich beim Empfänger installiert sind, können auch angezeigt werden. Viele Auftraggeber oder Designer haben jedoch besondere Wünsche an die Schriftgestaltung - Stichwort Hausschrift - und die Dienstleister erfüllen diese Wünsche, indem sie die entsprechenden Textstücke als Grafik auf die Seite bringen. Wer diese Grafik nicht sieht - also auch Google - hat eben Pech gehabt. Selbstverständlich gibt es auch Verfahren, mit denen auch in solchen Fällen die Zugänglichkeit für Menschen und Maschinen wesentlich erweitert werden kann. Diese Verfahren sind wirklich keine Geheimwissenschaft. Dennoch entstehen noch immer kommerzielle Webseiten, auf denen ohne Bilder auch wichtigste Elemente des Inhalts oder der Navigation einfach unsichtbar bleiben.


Skalierbarkeit

Die Wahrnehmung ohne Bilder betrifft, neben den Suchmaschinen, nur einen relativ kleinen Anteil menschlicher Besucher. Außer den tatsächlich Blinden sind dies vor allem die Anwender mobiler Geräte, bei denen Bilder vielfach ganz oder ab einer bestimmten Größe ausgefiltert werden. Wesentlich größer ist die Zahl der Betroffenen bei einem anderen Problem: der Schriftgröße. Gerade bei kommerziellen Seiten hat sich in den letzten Jahren ein Trend zu kleineren Schriften durchgesetzt. Zu verführerisch ist es für die Webseitenbetreiber oft, durch den Einsatz von kleinen Schriften mehr Informationen auf den kleinen Bildschirm zu packen. Größere Schriften wirken außerdem am Bildschirm oft wenig elegant und stören deshalb das Designerauge.

Andererseits nimmt bereits ab dem vierzigsten Lebensjahr die Sehschärfe bei den meisten Menschen deutlich ab. Seiten mit zu kleiner Schrift wirken dann anstrengend, man muss die Lesebrille aufsetzen, aber die ist nicht für die Entfernung zum Monitor berechnet, und schließlich geht man lieber anderswohin. Zum Beispiel auf eine Seite, bei der die Schriftgröße - so, wie die Vorgaben der BITV es verlangen - vom Besucher selbst beeinflusst werden kann. Jeder Browser bietet eine Möglichkeit zur Schriftgrößenverstellung, aber das funktioniert nur, wenn beim Bau der Seite nichts gemacht worden ist, um das zu verhindern. Leider geschieht genau das immer noch allzu oft, weil Auftraggeber und Designer darauf bestehen, dass ihre Seiten unter allen Umständen gleich aussehen sollen. Da wird jede Veränderung der Schriftgröße als Gefahr empfunden und unterbunden. Diese Kontrollsucht entspricht nicht der Technik des Mediums, die auf hohe Flexibilität ausgelegt ist. Tatsächlich ist es auch bei ästhetisch anspruchsvollen Designs fast immer möglich, eine Vergrößerung der Schrift um einen Faktor bis zu zwei zu erlauben. Damit werden die Anforderungen der Generation 40+ weitestgehend abgedeckt.


Farbschema

Großen Einfluss auf die Lesbarkeit - insbesondere wieder bei Menschen über vierzig - hat auch die farbliche Gestaltung. Hellgrauer Text auf mittelgrauem Hintergrund mag vornehm aussehen - gut lesbar ist er, besonders bei kleineren Schriften, wirklich nicht. Auch zuviel Kontrast kann die Lesbarkeit beeinträchtigen. Eine Seitengestaltung, bei der etwa eine Randspalte in Gold auf schwarz und der Hauptteil in schwarz auf weiß daherkommen, wird von etwa einem Drittel der Besucher als extrem anstrengend empfunden. Einige Farbkombinationen können unangenehme Flimmereffekte hervorrufen. Am bekanntesten sind die glücklicherweise auch von den meisten Grafikern als „verboten“ betrachteten Blau-Rot-Kombinationen. Ein anderes Kapitel ist der Einsatz von Rot und Grün: Etwa 10 Prozent aller europäischen Männer, aber nur weitaus weniger als 1 Prozent der Frauen, können bestimmte Rot- Farbenblindheit nicht auseinanderhalten [1]. Das und Grüntöne aufgrund von kann zum Beispiel durchaus dazu führen, dass die Betroffenen bei statistischen Diagrammen die roten und die grünen Balken nicht voneinander unterscheiden können. Ein großer deutscher Online-Händler signalisiert die Lieferbarkeit seiner Produkte mit grünen, gelben und roten Punkten. Für mich und weitere drei Millionen Menschen in Deutschland sind diese nur schwer bis gar nicht wahrnehmbar.


Allgemeine Bedienbarkeit

Am Schreibtisch hat sich die Bedienung des Computers mit der Maus weitgehend durchgesetzt. Benutzer von Laptops ziehen allerdings oft die Navigation mit der Tastatur dem wenig präzisen Mousepad vor. Und wer gar keine Hände hat oder bewegen kann, ist mit der Maus extrem schlecht bedient. Technisch ist es kein Problem, Webseiten so einzurichten, dass sie komplett mit der Tastatur oder anderen Spezialgeräten bedienbar sind. In der Praxis wird das allerdings immer wieder einfach vergessen. Genauso wie es gerne vergessen wird, den Besuchern, die nicht mit der Maus auswählen können, sondern alles hintereinander angezeigt oder vorgelesen bekommen, Abkürzungen zu wichtigen Seitenbestandteilen anzubieten.


Informationsarchitektur

Ein ganz besonders haariges Kapitel ist die Informationsarchitektur - also die logische Gestaltung der verschiedenen Navigationen, die den Besuchern der Website helfen soll, dorthin zu kommen, wo sie hinwollen. Moderne Unternehmenswebseiten haben oft viele hunderte oder gar tausende Unterseiten und Einzeldokumente. Die eher intuitiven Methoden, mit denen die viel kleineren Auftritte der Vergangenheit in sieben oder neun Unterkategorien eingeteilt wurden, reichen zur Erschließung dieser Informationsmengen nicht mehr aus. Schon „Normaluser“ sind hier mit der Orientierung oft überfordert. Wer dann noch durch technische oder körperliche Einschränkungen zusätzlich behindert ist, hat praktisch keine Chance.

Ein anderes Problem ist jedoch schwerwiegender, weil es alle Besucher einer Website betrifft und nicht nur diejenigen, die mit besonderer Technik arbeiten. Viele Anbieter von Webinformationen gehen davon aus, dass die Art, wie ihr Unternehmen selbst organisiert und strukturiert ist, auch die beste Vorlage für den Aufbau der Webnavigation bietet. Das ist eine Täuschung. Aus der Außenperspektive sehen viele Dinge ganz anders aus - und die Selbstdarstellung der Firma, die auf Verlangen des Verkaufschefs auf der ersten Seite ausgebreitet ist, ist in der Regel das, was die Besucher am wenigsten sehen wollen. Tatsächlich hat es sich in vielen Projekten Außenperspektive zu entwickeln. bewährt, die Struktur der Seite ganz aus der Statistiken über die bisher besuchten Seiten oder die virtuellen Trampelpfade die sich die Besucher durch ein Angebot legen, können dabei hilfreich sein.


Dauernde Aufgaben

Wenn der Dienstleister die bis jetzt genannten Dinge alle ausreichend berücksichtigt hat, haben Sie einen Seitenrahmen, der eine relativ hohe Zugänglichkeit sicher stellt. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass auch die Inhalte selbst einigermaßen zugänglich sind. Dafür muss derjenige, der die Inhalte bereitstellt, schon selbst sorgen.


Verständliche Sprache

Das Wichtigste, auf das dabei zu achten ist, ist eine allgemein verständliche Sprache. Zumindest auf den Seiten, wo sich das Angebot an ein allgemeines Publikum richtet, sollte das gewährleistet sein. Fachleute jeder Art neigen dazu, ihre Fachsprache für unmittelbar einleuchtend und darüber hinaus völlig unentbehrlich zu halten. Aber das gilt nur für die Kommunikation mit Fachkollegen. Wer von normalen Menschen verstanden werden will, muss deren Sprache verwenden, sonst klappt es nicht mit dem Nachbarn. Das gilt übrigens auch für die Marketingsprache, die sich immer wieder mit wohlklingenden Wortschöpfungen gefällt. Noch schlimmer ist es dann mit den Suchmaschinen: Was ein Hotel meint, das „Wohlfühlzimmer“ und „Alpenlandfrühstück“ anbietet, ist zwar zu verstehen - aber wer sucht nach so etwas? Für den normalen Google-Benutzer, der ein Zimmer mit Frühstück in Hintertupfing sucht, bleibt das Haus mit der aufgemotzten Sprache möglicherweise komplett unsichtbar. Und welcher Interessent, der sich über schnelle Autos mit Einspritzmotor informieren möchte, sucht in Google nach Ihrem neu geprägten Fachausdruck „Turbodieseldirekteinspritzer“?


Verständliche Formate

Nahe verwandt mit dem Thema „verständliche Sprache“ ist das Thema der „verständlichen Formate“. Viel zu oft findet man auf Webseiten Links, die keine HTML-Seiten aufrufen, sondern PDFs, Powerpoints, Word- oder gar Excel-Dateien. Viele Anwender können diese Formate ohne Probleme lesen - viele aber auch nicht. Selbst PDFs erweisen sich oft genug als unzugänglich, wenn sie durch irgendeine Nachlässigkeit im Herstellungsprozess endlose Ladezeiten verursachen oder den Rechner des Empfängers sogar zum Absturz bringen. Deshalb sollte man alle wichtigen Informationen in erster Linie auf HTML-Seiten veröffentlichen. Wo die äußere Aufmachung eine Rolle spielt, zum Beispiel bei einem Flyer oder einem Datenblatt, kann man ein entsprechendes PDF immer noch zusätzlich anbieten.


Strukturierung

Verständliche Sprache und verständliche Formate sind allgemeine Voraus-setzungen für hohe Zugänglichkeit. Für besondere Gruppen sollten auch noch besondere Bedingungen erfüllt sein. Am wichtigsten erscheint hier die Forderung, längere Texte nur in strukturierter Form ins Netz zu stellen. Das erfordert eine kurze Erläuterung. Natürlich wird jeder, der einen Text im Umfang von vielleicht fünf Schreibmaschinenseiten ins Netz stellt, diesen Text mit Abschnitts- und vielleicht sogar Zwischenüberschriften gliedern, so dass er optisch eine gut nachvollziehbare Struktur bekommt. Leider wird diese Struktur jedoch allzu oft tatsächlich nur visuell ausgelegt und nicht mit den dafür bestimmten Mitteln von HTML ausgedrückt. In der Folge hat derjenige, der den Text hört, keinerlei Möglichkeit, die optisch durchaus vorhandene Gliederung zu nutzen. Der ganze Text erscheint als ein einziger langer Bandwurm und ist in dieser Form nur sehr schwer oder überhaupt nicht aufnehmbar. Wenn die Gliederung jedoch auch in HTML vorhanden ist, kann sich der Benutzer einer Lesemaschine, wie ein Sehender auch, die Überschriften einzeln oder nach Ebenen ausgeben lassen, von Zwischenüberschrift zu Zwischenüberschrift oder von Abschnittsanfang zu Abschnittsanfang springen.

In gut geführten Betrieben, in denen Dokumente prinzipiell nach Formatvorlagen gestaltet werden, bereitet die Erstellung sauber strukturierter Webseiten keine größeren Probleme. Und wo noch keine Formatvorlagen verwendet werden, sollte man daran denken, dass „strukturierte Dokumente“ nicht nur für die vermutlich wenigen „hörenden“ Besucher von Webseiten wichtig sind – auch Suchmaschinen kommen damit wesentlich besser zurecht. Ohne saubere Struktur hat man bei Google schlechte Karten.


Alternativtexte, Fremdwörter u. Abkürzungen

Zuletzt und eher am Rande in dieser Aufzählung noch ein paar Worte zu einigen Punkten, auf die sich die Aufmerksamkeit in Sachen „Zugänglichkeit“ viel zu oft konzentriert: Alternativtexte zu Bildern, Markierung von Fremdwörtern und Abkürzungen. Bilder sind gerade auf kommerziellen Webseiten sehr oft nur reine Illustration von etwas, was im Text ohnehin schon ausgesagt wird - dann kann man sich mit dem Alternativtext kurz halten. Wo Bilder wirklich zusätzliche Information enthalten, sollte und muss man genau diese Information in den Alternativtext aufnehmen. Niemals sollte man den Alternativtext dazu missbrauchen, Angaben zu transportieren, die nichts mit dem Inhalt und der Aussage eines Bildes zu tun haben. Hierzu zählen zum Beispiel Copyright-Vermerke, Katalognummern und Ähnliches. Sie gehören dort nicht hinein.

Ungewöhnliche Abkürzungen und Fremdwörter sollte man in Texten, die sich an ein allgemeines Publikum richten, nach Möglichkeit ganz vermeiden. Das gilt natürlich nicht für fachliche Texte - bei deren regulären Lesern man aber auch ein größeres Verständnis voraussetzen kann. Der Ansatz, Fremdwörter und Abkürzungen „korrekt“ auszuzeichnen, lässt sich in kleineren Unternehmen oft nicht zielführend durchhalten. Dann ist es besser, im Allgemeinen auf Vermeidung zu setzen und für die wirklich schwierigen Fälle ein kleines Fachwörter- und Abkürzungsverzeichnis anzubieten. Wenn ein solches Verzeichnis entsprechend gestaltet ist, kann es übrigens ganz erheblich dazu beitragen, die Auffindbarkeit fachspezifischer Inhalte in Suchmaschinen zu erleichtern.

Die Anforderungen, die erfüllt werden sollten, um nicht nur den Rahmen, sondern auch die Inhalte eines Webauftritts besser zugänglich zu machen, sind keinesfalls unerfüllbar hoch. Aber sie verlangen eine gewisse Schulung der entsprechenden Mitarbeiter, und vor allem verlangen sie eine gewisse Konstanz und Regelmäßigkeit in der Durchführung. Die dafür aufzuwendenden Kosten lassen sich jedoch durch die Steigerung des allgemeinen Gebrauchswertes der Seite sicher rechtfertigen.

Zum Abschluss dieses kurzen Beitrages ist noch kurz auf zwei Themen einzu-gehen, deren Bedeutung in den letzten Jahren enorm zugenommen hat, die im Zusammenhang mit Zugänglichkeit aber oft unerwähnt bleiben: Content-Management-Systeme und Web 2.0.


Content-Management-Systeme

Statische Webauftritte werden heute kaum noch nachgefragt. Die Inhalte sind kurzlebiger geworden, das Aktualitätsbedürfnis ist gestiegen - die meisten Besitzer von Firmen-Websites wollen und müssen ihre Inhalte selbst pflegen, manchmal täglich. Für diesen Zweck werden eine Unzahl von Content-Management-Sys-temen, kurz CMS, angeboten, die ihre Aufgabe auch größtenteils passabel erfüllen, solange man nicht auf die Zugänglichkeit schaut. Bezieht man diesen Punkt mit ein, ergibt sich ein weniger günstiges Bild. Die meisten CMS, auch viele von denen, die als „barrierefrei“ angepriesen werden, liefern von Haus aus keine barrierefreien Seiten. Die Vorgaben der BITV erfüllen sie so gut wie nie, aber auch die geringeren Anforderungen, die hier für die Zugänglichkeit kommerzieller Auftritte entwickelt wurden, werden oft verfehlt.

Dieser unerfreuliche Befund gilt aber im Wesentlichen für die CMS, so wie sie geliefert und von vielen Kunden auch ohne größere Veränderung eingesetzt werden. Die meisten CMS sind hochgradig anpassbar und vielfach können die Seitentemplates oder Module nach eigenen Vorstellungen weitgehend umgeschrieben werden. Wer das dafür nötige Know-how besitzt oder einkaufen kann, kommt dem Ziel einer hochgradig zugänglichen Website schon wesentlich näher. Wirklich kompetente Dienstleister können daher inzwischen auf der Grundlage fast aller großen und auch einiger kleinerer kommerzieller Systeme Webauftritte erstellen, die allen sinnvollen Anforderungen der Zugänglichkeit genügen - auch den Forderungskatalogen der verschiedenen Gesetze und Verordnungen. Aber erwarten Sie nicht, diese Kompetenz als Sonderangebot auf dem Wühltisch vorzufinden.

Eine ähnliche Entwicklung wie bei den großen kommerziellen CMS hat sich auch bei den Open-Source-Projekten vollzogen. Mit Typo 3, Joomla!, Plone, Papoo und anderen stehen jetzt mehrere Systeme unterschiedlicher Größenordnung bereit, die, wenn sie von kompetenten Dienstleistern eingesetzt werden, zur Herstellung standardkonformer, attraktiver und hochgradig zugänglicher Webauftritte geeignet sind. In beiden Bereichen - kommerzielle CMS ebenso wie Open Source - kommt es für die erreichbare Zugänglichkeit weniger darauf an, welches System eingesetzt wird, sondern ob wirklich kompetent damit gearbeitet wird.


Web 2.0

Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass mit Web 2.0 weniger ein Satz neuartiger Techniken gemeint ist, sondern eine bestimmte Weise, vorhandene Techniken einzusetzen. Dabei haben sich zwei Schwerpunkte herausgebildet: Personalisierung und soziale Komponenten. Durch die Personalisierung lässt sich das Aussehen, das Verhalten und der Leistungsumfang von Webangeboten und Webanwendungen stärker auf persönliche Einsatzformen abstimmen. Mit den „sozialen Komponenten“ ist gemeint, dass der Inhalt auf die eine oder andere Weise von den Besuchern selbst herbeigeschafft wird oder durch die Interaktion der Besucher erst entsteht.

Tatsächlich liegt der Schwerpunkt für Web 2.0-Anwendungen zur Zeit doch deutlich im visuellen Bereich - und Visuelles lässt sich naturgemäß nur begrenzt für Personen zugänglich gestalten, die keine visuelle Wahrnehmung einsetzen können. Im kommerziellen Bereich lassen sich jedoch einige der Leistungen, die als typisch für Web 2.0 gelten, durchaus auch mit technischen Mitteln erreichen, die hochgradig zugänglich sind. Wer auf höchste Zugänglichkeit Wert legt - etwa bei einem Webshop - wird also Web 2.0-Verfahren sinnvoller Weise nur als Ergänzung oder als optionale Alternative zu konventionelleren Verfahren einsetzen.

Das kommt dann auch den Besuchern entgegen, die viele der Gimmicks, die derzeit als unerlässliche Bestandteile von Web 2.0 hochgelobt werden, eher als eine Belästigung sehen. So bleibt es dann auch für die Zukunft des Internets dabei: Höhere Zugänglichkeit kommt allen zugute.


Literatur

[1] „Styleguide für Webanwendungen“ des Technologie-Zentrums Informatik der Uni Bremen: www.physik-multimedial.de/papiere/Styleguide.pdf

„Information Visualisation” von Prof. Dr. Tim Wilhelm Nattkemper im WS 06/06 an der Uni Bielefeld: www.techfak.uni-bielefeld.de/ags/ni/lectures/lectures-w06/.

Angie Radtke, Michael Charlier: Barrierefreies Webdesign. - 276 S., ISBN: 978-3827323798, Addison-Wesley, August 2006.