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Digitaler Darwinismus – Gewinner und Verlierer

Es ist nie zu früh, den Einstieg in die Weiterentwicklung eigener Geschäftsmodelle im Sinne der digitalen Transformation zu suchen!
Ralf T. Kreutzer | 13.03.2014
Die gravierenden Einschnitte in die stationären Einzelhandelsnetze von Thalia und Görtz, der strauchelnde Milliarden-Konzern Weltbild, die gravierenden Aufgaben im Otto-Konzern sowie die Verabschiedung von der Druckausgabe des Brockhaus im Jahr 2013 machen eines deutlich: Der digitale Darwinismus fordert immer neue Opfer – Opfer in Gestalt der Unternehmen, die sich den im DiSoLoMo-Trend zusammengefassten neuen Anforderungen nicht schnell genug angepasst und deshalb mit gravierenden Problemen zu kämpfen haben. Allerdings entstehen auch laufend neue Unternehmen und Geschäftsmodelle, die sich den Entwicklungen, die dieser Trend mit den Begriffen „digital“, „sozial“, „lokal“ und „mobil“ charakterisiert, zunutze gemacht haben.

„Digital“ umfasst das Phänomen, dass nicht nur Produkte (wie Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, Filme), sondern auch Dienstleistungen (etwa Buchführungsaufgaben, Dokumentenmanagement, komplexe IT-Anwendungen) digitalisiert und per Internet verfügbar gemacht werden. Hierdurch werden ganze Geschäftsprozesse abgelöst. „Sozial“ bedeutet, dass die Kommunikation im Internet heute schon durch die Nutzer dominiert wird (Stichwort „User Generated Content“) und Unternehmen häufig nur noch „reagieren“ können, wenn sie in den sozialen Netzen „vorgeführt“ werden. „Lokal“ kennzeichnet die Entwicklung hin zu immer mehr Anwendungen, die ihre Relevanz durch die räumliche Nähe erfahren (etwa durch die lokale Coupon-Bereitstellung als Beispiel für „Location Based Services“). „Mobil“ schließlich beschreibt, dass der mobile Zugriff auf das Internet kontinuierlich an Bedeutung gewinnt und sich jedes Unternehmen fragen sollte, ob es relevante Inhalte für die sich abzeichnende App-Economy bereitstellen kann – und sei es in Gestalt einer App zum Auffinden öffentlicher Toiletten, wenn man als Unternehmen „nur“ Toilettenpapier verkauft. Hier zeigt sich: Es gilt, um die „Ecke herum“ zu denken.

Damit wird deutlich, dass die sich hier abzeichnenden Veränderungen mit der ersten industriellen Revolution durch die Erfindung der Dampfmaschine in der Mitte des 18. Jahrhunderts und der zweiten industriellen Revolution durch den Durchbruch bei der Elektrifizierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts vergleichbar sind. Jetzt befinden wir uns mitten in der dritten (nach-?)industriellen Revolution, getrieben durch die allgegenwärtige „Internetisierung“, die ihren Ausdruck im „Internet of Things“ findet. Hiermit ist die umfassende Verbindung von Objekten jeder Art gemeint, die vom Kochtopf über die Windel bis zur Zahnbürste und der Musikanlage eine Vielzahl von Gegenständen mit dem Internet verbindet und darüber steuerbar, auswertbar oder in anderer Form kreativ nutzbar wird. Die wichtigsten Treiber hinter der Akzeptanz dieser Entwicklungen, die nicht allen Unternehmen gefallen mögen, sind „Convenience“, „Spaß“ und – weniger ausgeprägt – „Lernen“. Und die Auswirkungen dieser Macht- und Systemverschiebungen sind ähnlich gravierend wie damals. Geschäftsmodelle, die über viele Jahre und Jahrzehnte erfolgreich waren, werden jetzt „vom Markt aussortiert“. Dabei entstehen – ganz im Wortsinn der von Schumpeter diagnostizierten „schöpferischen Zerstörung“ – Räume für neue Geschäftskonzepte, die den DiSoLoMo-Trend nicht als Gegenwind, sondern als Rückenwind nutzen. Darin liegt die Herausforderung für die in Unternehmen agierenden Personen.

Die Analyse vieler Geschäftskonzepte sowie die Untersuchung der Offenheit für neue Ideen in den etablierten Unternehmen zeigt jedoch, dass Deutschland nach wie vor Gefahr läuft, die dritte (digitale) industrielle Revolution zu verschlafen! Deshalb ist jedes Unternehmen und insbesondere jeder Unternehmenslenker aufgerufen, die eigene Affinität zu den neuen Triebkräften der Wirtschaft zu ermitteln. Diese zeigt sich unter anderem auch in der Offenheit für digitale Produkte und die sozialen Medien. Wie groß ist im eigenen Unternehmen bspw. das Interesse an der Nutzung der sozialen Medien – privat und für das Unternehmen – differenziert nach Unternehmenshierarchie? Und welche Macht bzgl. der Nutzbarmachung der sozialen Medien haben diese unterschiedlichen Hierarchieebenen für das eigene Unternehmen? Eine für viele Unternehmen typische Verteilung der unterschiedlichen Leistungsträger zeigt die Interesse-Macht-Matrix (vgl. Abb. 1).

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Damit wird deutlich: Diejenigen mit der größten Affinität zu den sozialen Medien und zu digitalen Produkten haben häufig die geringste Macht, um deren Nutzbarmachung für das eigene Unternehmen voranzutreiben. Und die Leistungsträger mit der größten Machtfülle stehen den sozialen Medien, aber bspw. auch Plattformen wie Spotify, Vimeo oder YouTube i. d. R. am reserviertesten gegenüber. Ein typisches Dilemma, dass sich noch in zu vielen Unternehmen zeigt! Dabei gilt – um es mit Wagner´s Rheingold zu formulieren – „Ihrem Ende eilen sie zu, die so stark im Bestehen sich wähnen.“ Welch eine Gefahr!

Doch wenn Unternehmen hier nicht aufpassen und gewillt sind, die neuen Marktkräfte konstruktiv aufzugreifen, ist ein Stairway to Hell vorgezeichnet. Dann steht zu befürchten, dass sich die Prognose von Brian Solis, einem ausgewiesenen US-Business-Specialist, bewahrheitet: „70% of the Fortune 1,000 companies will be replaced in a few years. Not because the didn´t get enough fans on Facebook, but because they didn´t adopt to the new networked society!” Dabei gibt es – anders als in der Finanzbranche – kein “too big to fail” – allerdings auch kein „to small to succeed“!

Die Aufgabenstellung für die Unternehmen bedeutet: Change-Management. Die Grundlage für ein kraftvolles und zielorientiertes Handeln ist eine umfassende SWOT-Analyse, die selbstkritisch die Stärken und Schwächen (SW für „Strengths“ und „Weaknesses“) im Wettbewerbsvergleich aufzeigt und auch die berühmten „blinden Flecken“ zum Vorschein bringt. Zusätzlich gilt es, ganz systematisch die Chancen und Risiken (OT für „Opportunities“ und „Threats“) in der eigenen Branche zu erkennen. Erst die Synthese beider Perspektiven bildet den informatorischen Hintergrund für ein zielführendes Change-Management, um sich an neue Gegebenheit – basierend auf einer überzeugenden Strategie – anzupassen oder – besser – diese aktiv zu gestalten. Die Relevanz eines solchen Vorgehens kann mit den Worten von Charles Darwin verdeutlicht werden: „It is not the strongest of the species that survives, nor the most intelligent that survives. It is the one that is most adaptable to change.”

In diesem Sinne ist es nie zu früh, den Einstieg in die Weiterentwicklung eigener Geschäftsmodelle im Sinne der digitalen Transformation zu suchen! Und dabei ist es zielführend, wenn Unternehmen dieses aus einer Position der Stärke tun, und nicht erst dann agieren, wenn sie – wie am u. a. am Beispiel Weltbild, Thalia, Görtz & Co. sichtbar, mit dem Rücken zur Wand stehen. Heute gilt: Survival of the Smartest!

Mehr zum Thema im Buch „Digitaler Darwinismus“ von Ralf T. Kreutzer und Karl-Heinz Land, erschienen bei SpringerGabler, Wiesbaden.

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