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Mundpropaganda Marketing

Die Wiederentdeckung der Mundpropaganda als Marketingdisziplin, könnte das Marketing von heute weiter nach vorne bringen. (Buchbeitrag)
Ossi Urchs | 14.03.2008
Dieser Fachartikel erschien im Leitfaden Online-Marketing
http://buchblog.marketing-boerse.de
http://www.marketing-boerse.de/Info/details/LeitfadenOM


„Back to the roots“ könnte die Devise lauten, um das Marketing aus seinem Dilemma zu befreien, in das es angesichts der fundamental veränderten Rahmenbedingungen der letzten Jahre geraten ist. Der Schritt zurück, die Wiederentdeckung der Mundpropaganda als Marketingdisziplin, könnte das Marketing von heute den entscheidenden Schritt nach vorne bringen, um aktuellen Bedingungen und Anforderungen gerecht zu werden. Nach vielen kurzlebigen Marketingmoden Evolutionsschub für das Marketing könnte Mundpropaganda den entscheidenden bedeuten, um den klassischen Ansatz der 1960er-Jahre in ein zeitgemäßes Modell zu überführen – „Marketing 2.0“.

„2.0“? Das klingt doch verdächtig nach „Web 2.0“. Richtig. Denn die gerade stattfindende Entwicklung des Webs vom Informationsmedium zur Interaktions-plattform sozialer Netzwerke ist es, welche nicht nur das Online-Marketing verändert, sondern das ganze klassische Marketingmodell zum Kippen bringt, während es die entscheidenden Bausteine zu seiner Überarbeitung und Aktualisie-rung liefert. Doch der Reihe nach. Wir möchten Sie zunächst mit Definition und Ausprägung dessen was heute unter Mundpropaganda beziehungsweise Word-of-Mouth (WOM) verstanden wird, vertraut machen. Nachfolgend werden wir diese Fragen beantworten:

• Auf welche entscheidenden Veränderungen trifft das Marketing und wie wirken sie sich aus?
• Warum geht die Macht über die Markenkommunikation zunehmend auf den Verbraucher über?
• Warum steht die „Qualität“ der Mundpropaganda in einem direkten Unternehmenserfolg? Zusammenhang mit dem
• Wie funktioniert Mundpropaganda Marketing?
• Wodurch wird es für viele Branchen zum wesentlichen strategischen Marketingansatz?


Mundpropaganda oder Word-of-Mouth – Eine Begriffsbestimmung

Mundpropaganda ist eine Form der Kommunikation, die selbstverständlicher Bestandteil unseres Alltags ist und die jeder permanent bewusst oder unbewusst einsetzt. Ob es sich dabei um das Gespräch mit Freunden über ein neues Auto handelt, die Auskunft an den Arbeitskollegen, ob die neue Levis so bequem ist wie sie aussieht oder um die Bewertung eines Produktes in einem Shopping- oder Meinungsportal. All dies sind Facetten dessen, was heute unter Mundpropaganda oder auch Word-of-Mouth verstanden wird.

Mundpropaganda verfügt dabei über zwei Wirkungsdimensionen mit einer funktionalen und einer inhaltlichen Ebene.

So ist Mundpropaganda auf der funktionalen Ebene ein Transporteur von Botschaften. Dazu gehört auch die Kommunikation zwischen Verbrauchern über Marken, Produkte und Unternehmen, welche zum Austausch von Wissen, Meinungen und Erfahrungen führt. Dabei kann es sich sowohl um einen direkten Dialog, entweder persönlich, via Kommunikationstechnologie oder virtuell, als auch um den indirekten Austausch aufgezeichneter Meinungen, zum Beispiel Berichte, Bewertungen und Rezensionen, handeln.

Genau hier liegt der Grund für die Renaissance der Mundpropaganda. Das Web 2.0 bietet mit seinen Interaktionsapplikationen wie Blogs, Foren et cetera jedem Nutzer die Möglichkeit, sich mit anderen auszutauschen, neue soziale Netzwerke mit Gleichgesinnten zu knüpfen sowie die eigene Meinung für andere recherchierbar zu dokumentieren. Dabei verfügt jede Botschaft beziehungsweise Meinung angesichts der dramatisch steigenden Bedeutung dieser sozialen Netzwerke über eine zunehmende Reichweite und Verbreitungsgeschwindigkeit. Das Internet verstärkt damit die Stimme jedes Verbrauchers und verschafft seiner Meinung Gehör bei einer Vielzahl anderer Verbraucher. Hier spricht man von der quantitativen Dimension der Mundpropaganda auf der funktionalen Ebene.

Darüber hinaus verfügt Mundpropaganda auch über eine inhaltliche Ebene: beziehungsweise meinungsbildend durch die Wertung des einfluss-nehmend Absenders, die ihr innewohnt.

Allein indem jemand die ein Produkt betreffende Information wieder- oder weitergibt, billigt er dieser Botschaft eine Bedeutung beziehungsweise Relevanz für seinen Gesprächspartner zu. Noch stärker wirkt die inhaltliche Bestätigung einer solchen Botschaft durch einen Verbraucher auf das Meinungsbild seiner Gesprächspartner. Durch eine konkrete Empfehlung kann ein solches Meinungsbild gar vollends verändert oder neu gebildet werden. Darunter versteht man die qualitative Dimension der Mundpropaganda der inhaltlichen Ebene.

Bei diesem Prozess der Meinungsbildung über eine Marke, ein Unternehmen und seine Produkte tritt Mundpropaganda in zwei ganz unterschiedlichen Varianten auf, deren Differenzierung für ihren systematischen Einsatz als Marketingdisziplin elementar ist: „Buzz“ und „Advocacy“.

Mundpropaganda in Form von Buzz steht für den Meinungsbildungsprozess der sich im Dialog mit dem sozialen Netzwerk ergibt. Die Initialzündung für diesen Dialog kommt von einem exogenen Impuls, der Gesprächsstoff liefert und über Neuigkeitswert verfügt.

„Ich hab da was gesehen“ oder „hast du schon gehört“ sind dafür typische Formu-lierungen, die uns allen aus unserem Alltagsleben geläufig sind. Dieser exogene Impuls zur Dialogaufnahme kann entweder über klassische Marketinginstrumente und Massenmedien erfolgen und so auf die sozialen Netzwerke einwirken. Oder aber er wird in diese mit der Intention hineingetragen, eine epidemische Verbreitung innerhalb der sozialen Netzwerke zu erzeugen, also ähnlich einem Virus zu wirken. Daher wird dies vielfach auch als „virales Marketing“ bezeichnet.

Mundpropaganda als Advocacy steht für einen Meinungsbildungsprozess im sozialen Netzwerk, dessen entscheidender Impuls in der persönlichen Überzeugung eines Gesprächspartners besteht, die dieser gefragt, als Empfehlung, oder auch ungefragt im Dialog äußert.

Formulierungen wie „das Produkt kann ich dir empfehlen“, „wenn du ein solches Produkt suchst, dann kauf doch…“ und „ich hab da was ausprobiert, das gefällt dir bestimmt auch“ gehören genau so zum Advocating wie eine positive Rezension bei Amazon beziehungsweise eine gute Bewertung eines Anbieters bei eBay.

Während Buzz also ein Aufmerksamkeit erzeugender Ansatz für die Kommunikation einer Neuigkeit ist, nimmt Advocating einen direkteren Einfluss auf das bestehende Meinungsbild und die Kaufentscheidung Dritter.


Die Entwicklung der (Marken) Kommunikation

Das Ur-Modell des Marktes gab Anbietern und Kunden die Möglichkeit sich im Dialog intensiv auszutauschen (one-to-one). Diese persönliche Erfahrung ermöglichte es dem Käufer, sein Gegenüber wie auch dessen Ware einzuschätzen.

Mit der einsetzenden Industrialisierung und Massenproduktion wurde jedoch deutlich, dass dieses Modell nicht hinreichend skalierbar war. Reformierungsbedarf kündigte sich an. Diesem versuchte man mit den neuen Massenmedien gerecht zu werden. Einheitliche Botschaften wurden entwickelt, die nun über die Massenmedien an die Zielgruppe gesandt wurden (one-to-many). Hieraus entwickelte sich in den 1960er-Jahren das klassische Marketing, das nun die Skalierbarkeit wie auch das Management von Produkt- und Markenkommunikation ermöglichte. Spätestens Ermüdungserscheinungen seit den 1990er-Jahren weist auch dieses Modell auf. Das zentrale Medium der Markenkommunikation für viele Branchen und Produkte – das Fernsehen – erfährt einen unübersehbaren Bedeutungsverlust. Die von den TV-Sendern einst als „werbeattraktive Zielgruppe“ ausgerufenen 14- bis 49-Jährigen erreicht das Fernsehen heute immer weniger. Betrachtet man das Durchschnittsalter der Fernsehzuschauer heute löst das TV seinen selbst erhobenen Anspruch, eine „junge Zielgruppe“ erreichen zu können, nicht mehr ein. 2006 betrug laut MediaControl das Durchschnittsalter der Fernsehzuschauer 49 Jahre und lag damit weit über dem Durchschnittsalter aller Deutschen von 40 Jahren. Fernsehen ist zwar nach wie vor eine beliebte Aktivität, jedoch sind die „heavy user“ mittlerweile in der Zielgruppe der „golden ager“ über fünfzig Jahren zu finden. Die Mediennutzung der jungen Zielgruppe verschiebt sich in Bezug auf Dauer, Relevanz und Aufmerksamkeit immer mehr zu Gunsten des Internet. So ist bei den Teens die tägliche Nutzungsdauer von TV und Internet mittlerweile nahezu identisch. [1] Allerdings kommt dem Internet als interaktivem Medium in der Nutzungszeit eine ungeteilte Aufmerksamkeit zu, während Fernsehen immer häufiger als begleitendes Hintergrundmedium mit sporadischer Aufmerksamkeit genutzt wird.

Neben dem Reichweitenproblem in den relevanten Zielgruppen ereilt die kommerzielle Kommunikation in den herkömmlichen Massenmedien ein weit schwerwiegenderes Problem: schwindende Glaubwürdigkeit.

Im Gegensatz dazu ist eine der herausragenden Stärken der Mundpropaganda in sozialen Netzwerken gerade die Glaubwürdigkeit ihrer Botschaften.

Deshalb entwickelt sich die Markenkommunikation heute vom Sender der Marken- und Produktbotschaften an die Zielgruppe (one to many) zu einem Dialog über Marken in sozialen Netzwerken (many to many).

Heute kann jeder Nutzer das Meinungsbild in seinen sozialen Netzwerken um seine eigenen Meinungen bereichern, auch das von Marken und Produkten - und zwar mit der gleichen Reichweite wie kommerzielle Anbieter, jedoch mit unvergleichbar größerer Glaubwürdigkeit. Unternehmen verlieren so ihre Vormachtstellung in der Markenkommunikation. Kombiniert man die Stärken „Aufmerksamkeit“ und Glaubwürdigkeit“ von Mundpropaganda bei der „Vermittlung von Botschaften im persönlichen Gespräch mit den Möglichkeiten „Reichweite“ und „Geschwin-digkeit“ des Internet, ergeben sich ungeahnte Effekte. Der Verbraucher übernimmt offenbar die Macht über die Markenkommunikation.


Soziale Netzwerke – Infrastruktur für Mundpropaganda

Worum handelt es sich bei diesen ominösen „sozialen Netzwerken“, denen als „Infrastruktur der Mundpropaganda“ eine so große Bedeutung zukommt?

Jeder ist mit seinem sozialen Umfeld in einem informellen, sozialen Netzwerk verknüpft. Diese Bande entspringen entweder familiärer oder freundschaftlicher Natur, ergeben sich aus dem täglichen Umgang am Arbeitsplatz oder aus einem mehr oder weniger organisierten Aufeinandertreffen gleicher Interessen oder Hobbies. So zählen die Familie, Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreise ebenso wie Vereine und Cliquen zu den zahlreichen sozialen Netzen, in denen wir uns alle bewegen. Besonders reichweitenstarke und reaktionsschnelle soziale Netzwerke finden sich im Internet. Und zwar meist auf den sogenannten „Web2.0-Plattformen“ wie YouTube, MySpace oder Xing, um nur einige der bekannteren zu erwähnen.

Doch was macht die sozialen Netzwerke eigentlich aus? Im Rahmen eines Mei-nungsbildungsprozesses durch Mundpropaganda kommt ihnen eine Sonderrolle zu. Meinungsäußerungen von Freunden und Bekannten sind im Regelfall frei von eigenen wirtschaftlichen Interessen. Entsprechend groß ist ihre Glaubwürdigkeit im Vergleich zu kommerziellen Botschaften. Im persönlichen Gespräch können Botschaften auf das Gegenüber zugeschnitten, Rückfragen direkt beantwortet und Produkterfahrungen geteilt werden. So ergibt sich schneller ein wenn nicht vollständiges, dann doch hinreichendes Bild, das auch die persönliche Relevanz von Botschaft und Produkt einschließt. Dies alles gibt Sicherheit im so beschleunigten Entscheidungsprozess.


Mundpropaganda – Basis für die Unternehmensentwicklung

„Loyale“ – also emotional durch erfolgreiche Markenkommunikation gebundene – Kunden sind Basis und Treiber einer erfolgreichen Unternehmensentwicklung. Sie weisen durch ihre Bindung eine deutlich längere Dauer der Kundebeziehung mit entsprechenden Umsätzen auf, im Fachjargon „customer lifetime value“ genannt. Sie sind „preisunempfindlicher“ und generieren eine höhere Gewinnspanne für Unternehmen. Loyale Kunden neigen dazu, ihre Käufe in der jeweiligen Kategorie bei „ihrem“ Anbieter zu tätigen und steigern so ihre jährlichen Ausgaben und damit den Share of Wallet des Unternehmens. Ferner weisen sie insbesondere im Vergleich zu unzufriedenen und ungebundenen Kunden – sogenannten „Kritikern“ – eine erheblich bessere Kosteneffizienz auf. Sie nutzen seltener einen Kundenservice, Kreditausfälle sind deutlich seltener und auch die Kosten für die Akquise loyaler Kunden sind deutlich niedriger als bei Kritikern, insbesondere da ihre Beziehung zu einem Unternehmen im Allgemeinen länger dauert und damit profitabler wird.

Doch wodurch entsteht Loyalität und was hat Mundpropaganda damit zu tun?

Eine branchen- und unternehmensübergreifende Untersuchung der Deutschen Wirtschaft [2] zeigt, welche Bedeutung Mundpropaganda bei der Entstehung von Kundenbindung zukommt, nämlich, dass Kundenbindung nur zu knapp 50 Prozent aus Kundenzufriedenheit resultiert. Kundenbindung ist vielmehr ein Markenführung. Wobei sich Ergebnis von positivem Image und erfolgreicher erfolgreiche Markenführung durch Kompetenzzuschreibung, Differenzierung vom Wettbewerb und vor allem Glaubwürdigkeit auszeichnet. Diese emotionale und kommunikative Dimension der Beziehung zwischen Unternehmen und Kunde ist also für die Kundenbindung maßgeblich. Dies gilt insbesondere bei der Zielgruppe der 18- bis 44-Jährigen. Hier sind Image und Markenführung zu rund zwei Dritteln für die Kundenbindung verantwortlich. „Echte“ Kundenbindung ist also Kundenbindung - Loyalität, die nicht mit monetären Vorteilen emotionale käuflich ist. Damit ist erfolgreiche Markenkommunikation die wesentliche Voraussetzung für Loyalität, insbesondere in der Zielgruppe der 18- bis 44-Jährigen.

Umso größer wird damit die Bedeutung von Mundpropaganda als glaubwürdiger und reichweitenstarker Transporteur der Markenkommunikation. Vor allem weil sie in dieser Zielgruppe mehr Gehör findet als jede andere Form kommerzieller Kommunikation.

Mundpropaganda verfügt im Kontext der Kundenbindung demnach über einen doppelten Effekt. Erstens sorgt Mundpropaganda als Träger der Marken-kommunikation maßgeblich für die Entstehung emotionaler Kundenbindung und Loyalität.

Zweitens sorgen loyale Kunden mit einem besonders hohen „Involvement“, die sogenannten „Promotoren“, noch für eine Verstärkung dieses Effektes. Sie sind als überzeugte Kunden durchschnittlich für 80 Prozent der positiven Mundpropaganda, des Advocating, für das Unternehmen und seine Produkte verantwortlich und beeinflussen als glaubwürdige Quelle entscheidend die Meinungsbildung Dritter.

Promotoren nehmen in ihrem sozialen Netzwerk erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung des Unternehmens und die Kaufentscheidung. So beeinflussen sie massiv den Umsatz sowie die Kundenbindung Dritter und sind die Treiber einer positiven Unternehmensentwicklung.

Das macht Promotoren zu den „ultimativen“ Kunden. Sie sollten das primäre Ziel der Marketinginvestitionen von Unternehmen sein.


Mundpropaganda - Der stärkste strategische Marketingansatz

Bereits Ende der 1970er-Jahre hatte Mundpropaganda als Informationsquelle im Kaufentscheidungsprozess einen deutlich höheren Stellenwert als die „klassischen“ Marketing-Massenmedien. So gaben nach einer Studie von Roper [3] schon damals 67 Prozent der Befragten an, dass Mundpropaganda aus ihrem sozialen Netzwerk für sie die bedeutendste Informationsquelle sei – weit vor dem Fernsehen mit 53 Prozent oder gedruckten Berichten mit 47 Prozent. Seitdem hat sich die Medien-landschaft genau wie die Mediennutzung der Verbraucher grundlegend geändert. Massenmedien sind heute intensiver denn je in unseren Alltag eingewoben. Aber wie hat sich das auf die Relevanz von Mundpropaganda ausgewirkt? Im Verlauf der letzten dreißig Jahre hat sich die Bedeutung von Mundpropaganda sogar noch erheblich gesteigert. Heute wird der Empfehlung eines Freundes oder Bekannten im Vergleich zu medialer Werbung fast die doppelte Bedeutung beigemessen. So lag der Wert für Mundpropaganda 2004 bereits bei 92 Prozent, für TV und Print nur noch bei 48 Prozent beziehungsweise 42 Prozent. Der Mundpropaganda im Vergleich zu den modernen höhere Wirkungsgrad von Massenmedien wird auch durch eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung der US-Airline JetBlue deutlich.

JetBlue erzielte in 2005 laut einer Untersuchung der Werbewirkungsforscher von Millward Brown mit knapp vier Prozent des Mediabudgets, die für Mundpropaganda eingesetzt wurden, den 2,7-fachen Return on Investment (ROI) der TV-Werbung, den 3,3-fachen ROI von Printmedien und fast den doppelten ROI von sonstigen Online-Aktivitäten. Nach einer weiteren Studie von Millward Brown aus dem Jahr 2005 geht von Mundpropaganda, verglichen mit anderen Medien, der weitaus Kaufentscheidungsprozess aus. Auf Platz zwei liegen stärkste Einfluss auf den Verbrauchertests, die als Form „mittelbarer“ Mundpropaganda dieser zuzurechnen sind. Auch BigResearch konnte feststellen, dass Mundpropaganda alters- und kaufobjektübergreifend die einflussreichste Größe auf die Kaufentscheidung von Konsumenten und damit weit wichtiger als die klassischen Instrumente und Medien, wie TV und Print ist. [4] Jenseits dieser Wirkung von Mundpropaganda in Relation zu klassischen Instrumenten und Medien lässt sich auch die Relevanz von Mundpropaganda für das Unternehmensergebnis konkret ermitteln. In einer fast zwanzig Jahre dauernden Forschungsreihe konnte die Unternehmensberatung Bain & Company einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Mundpropaganda und Ergebniswachstum eines Unternehmens nachweisen. So ließ sich branchen- und unternehmensübergreifend feststellen, dass 7 Prozent mehr positive Mundpropaganda oder alternativ die Verringerung von negativer Mundpropaganda um 2 Prozent zu Ergebniswachstum von 1 Prozent führen [5]. Es ist demnach einem jährlichen nicht zu hoch gegriffen, Mundpropaganda als den wirksamsten Marketingansatz mit einem unmittelbaren Einfluss auf den Unternehmenserfolg zu bezeichnen.


Mundpropaganda Marketing – Prinzipien und Funktionsweise

Mundpropaganda Marketing wird auch als „Consumer-to-Consumer Marketing“ bezeichnet, da die Einflussnahme auf die Markenwahrnehmung, die Meinungs-bildung und den Kaufentscheidungsprozess nicht vom Unternehmen ausgeht, sondern vom Konsumenten.

Die primären Zielgruppen für das Mundpropaganda Marketing sind also die Multiplikatoren der Mundpropaganda in den sozialen Netzwerken sowie die loyalen Kunden als glaubwürdige und vertriebswirksame Meinungsbildner. Es gilt, beide Gruppen aktiv in den Marketingprozess Produkterfahrung zu verschaffen. In einzubinden und ihnen eine positive der Folge kommt es darauf an, der Begeisterung des aktiv promotenden, loyalen Kunden Gehör zu verschaffen, sowie die Reichweite und Glaubwürdigkeit der Multiplikatoren für relevante Botschaften einzusetzen. Mundpropaganda-Marketing führt auf diese Weise zu einer erheblichen Steigerung von Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit für die Markenkommunikation. Positive Mundpropaganda, also Empfehlung und Fürsprache der Promotoren, beeinflusst wesentlich die Absatzchancen, Absatzergebnisse und Margen.

Die konkreten strategischen Ansätze und Instrumente des Mundpropaganda Marketings sind ebenso vielfältig wie die des klassischen Marketings und würden ein eigenes Buch füllen. Drei Aspekte wollen wir an dieser Stelle jedoch herausheben.

1. Mundpropaganda auszulösen beziehungsweise zu fördern bedeutet auch, ein bestehendes Meinungsbild zu verstärken. Mundpropaganda als Meinungs- austausch zwischen Verbrauchern ist ehrliche und ungeschminkte Kommuni- kation über Produkte und Marken. Deswegen ist es wichtig, bereits im Vor- feld einer neuen „Mundpropaganda-Strategie“ zu untersuchen, wo, in welcher Weise und von wem bereits über die Produkte gesprochen wird. Nur so lässt sich ein eventuell bestehender Optimierungsbedarf feststellen und die Voraussetzung für positive Mundpropaganda schaffen. Denn nicht erfüllte Erwartungshaltungen beim Verbraucher sind der primäre Grund für negative Mundpropaganda und die sollte angesichts ihrer verheerenden Auswirkungen unbedingt vermieden werden.

2. Wird über die Produktrange oder das Produkt gesprochen? Wie bekannt und profiliert ist die Marke? Je differenzierter eine Marke wahrgenommen wird, desto höher ist der Wirkungsgrad von Mundpropaganda Marketing.

3. Von entscheidender Wichtigkeit ist außerdem die Frage, ob Kunden bereit sind, ein Produkt aktiv zu empfehlen: „Würden Sie dieses Produkt auch Ihren Freunden und Bekannten empfehlen?“ Denn diese „Benchmark“ identifiziert nicht nur die Promotoren – die wertvollsten Kunden und wichtigsten Träger positiver Mundpropaganda. Sie dient danach auch als Gradmesser für den Erfolg aller darauf aufbauenden Marketingaktivitäten.

So bleibt schließlich eine wesentliche Frage zu klären: Wie funktioniert das Zusammenspiel der Mundpropaganda-Instrumente mit dem klassischen Marketing – welche Rolle sollten die unterschiedlichen Ansätze übernehmen um optimal zusammen zu wirken?

Strategien und Instrumente des klassischen Marketing sind grundsätzlich gut geeignet, um einheitliche Informationen und Versprechen zu transportieren.

Das klassische Marketing ist jedoch im weiteren Prozessverlauf der Produktadaption bis zum Kauf ineffektiv. Es liefert dem Konsumenten in wichtigen Teilschritten nicht die notwendigen Antworten. Der Adaptions- und Entscheidungsprozess bleibt oftmals stecken oder wird abgebrochen. Genau an dieser Stelle schlägt die Stunde der Mundpropaganda.

Die ersten beiden Schritte, Aufmerksamkeit und Interesse, bilden die Informations- beziehungsweise Lernphase. In dieser entscheidet der Konsument, ob er grund-sätzliches Interesse an dem Produkt hat, welche Vorteile es ihm zu bieten hat und ob er mehr darüber herausfinden möchte.

Um jedoch eine Entscheidung treffen zu können, benötigt der Konsument in der folgenden Verifizierungsphase die Bestätigung einer unabhängigen Quelle: ob die erhaltenen Werbebotschaften zutreffen und ob sich ein persönlicher Nutzen in der geplanten Produktverwendung bestätigen lässt. Diese Quelle liefert Mundpropaganda durch Bereitstellung indirekter Produkterfahrung von glaubwürdiger Stelle – sei dies eine „Peergroup“ mit gleichem Nutzungsverhalten, oder ein „Expertenrat“, Studien oder unabhängige Verbraucherservices und Meinungsplattformen. So schließt Mundpropaganda die vom klassischen Marketing nicht zu füllende Lücke im Entscheidungsprozess des Konsumenten. Sie unterstützt seine Meinungsbildung und seine Produktentscheidung, die schließlich seine Kaufentscheidung bestimmen und ergänzt damit optimal das klassische Marketing.

Genau hierin besteht der Evolutionsschritt vom klassischen Marketing zum Marketing 2.0.


Ausblick – der Beginn einer Erfolgsgeschichte

Mundpropaganda Marketing ist zumindest in Deutschland noch ein „frisches“ Thema, dennoch existieren bereits vielfältige Indikatoren, die auf eine sich entwickelnde Erfolgsgeschichte von Mundpropaganda Marketing hinweisen.

• Mundpropaganda und verwandte Themenfelder wie soziale Netzwerke, Web 2.0 et cetera erfahren aktuell ein stetig zunehmendes Interesse und eine wachsende Präsenz in den Marketing- und Wirtschaftsmedien.

• Mundpropaganda Marketing ist die wichtigste Marketing Disziplin der 500 am schnellsten wachsenden Unternehmen der USA. [6]

• Marktführende Vertreter unterschiedlichster Branchen wie Coca-Cola, Warner Bros., AOL, Toyota und Kraft verfügen mittlerweile über positive Erfahrungen mit Mundpropaganda Marketing.

• Einer der weltweit größten Marketing-Spender - Procter & Gamble – hat sein klassisches Mediabudget, insbesondere TV, um bis zu 25 Prozent gekürzt, baut den Bereich Mundpropaganda Marketing jedoch massiv aus. [7]

• Die global Player Allianz Gruppe und General Electric erheben den NetPromoter-Score als Ausdruck der Weiterempfehlungsbereitschaft, der Kundenloyalität und des zukünftigen Kundenverhaltens zum Gradmesser der internen Erfolgsmessung und zum zentralen Managementansatz. [8]

Diese Entwicklungen vermitteln einen Ausblick auf die zukünftige Relevanz, die der Disziplin Mundpropaganda Marketing sicherlich auch bald in Deutschland zukommen wird.


Literatur

[1] Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung, Gfk 2006, ARD, ZDF: Onlinestudie. - 2006.
[2] “ExBa 2005 – Excellence Barometer der Deutschen Wirtschaft”, forum! Marktforschung gmbh, 2005.
[3] Roper Reports, Winter 2004.
[4] “Simultaneous Media Usage Survey (SIMM VII)”, BigResearch, 2005.
[5] Marsden, Paul: “Advocacy drives growth”, London, 2005.
[6] “Inc. 500 – Americas fastest growing companies“, INC. Magazine, 09/2006.
[7] „Ad icon P&G cuts commitment to TV commercials“, The Wall Street Journal, 14. Juni 1005.
[8] “Wie es den Kunden gefällt”, Handelsblatt, 16.03.2007 und„Schwaches Bild“, Manager Magazin, 10/2006.
Fred Reichheld: The ultimate Question. - 196 Seiten, ISBN: 978-3446407015, Hanser Wirtschaft, 2006.
Andy Sernovitz: Word of Mouth-Marketing – How smart companies get people talking. -216 Seiten, ISBN: 978-1419593338, Kaplan Business, 2006.
Emanuel Rosen: The Anatomy of Buzz. - 303 Seiten, ISBN: 978-0385496681, currencybooks, 2005.
Malcolm Gladwell: Tipping Point. - 285 Seiten, ISBN: 978-0349114460, Brown, Neuauflage: 2001.
George Silverman: The secrets of Word of Mouth-Marketing. - 272 Seiten,
ISBN: 978-0814470725, Amacom, 2001.
Benn McConnell, Jacki Huba: creating customer evangelists. - 224 Seiten,
ISBN: 978-0793155613, Kaplan Publishing, 2004.
Ed Keller, Jon Berry: The influentials. – 353 Seiten, ISBN: 978-0743227292 , Simon & Schuster Ltd, 2003.
Justin Kirby, Paul Marsden: Connected Marketing. - 216 Seiten, ISBN:
978-0750666343, Butterworth-Heinemann, 2006.
Everett M.Rogers: Diffusion of Innovations. - 512 Seiten, ISBN: 978-0743222099,
Simon & Schuster International; Auflage5, 2005.
Paul Marsden, : Seed to spread – Connected Marketing. London, 2005.