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Wie man mit Sprache neue Käufer angelt

In Zeiten flauer Konjunktur sollte man denken, dass Unternehmen alle Register ziehen, um auf sich aufmerksam zu machen.
Georg Halfar | 18.01.2006
Dabei wird meist ausgerechnet das wichtigste und günstigste Kommunikations-Medium übersehen: die Sprache! Jeder stolpert über sie – trotzdem erkennen nur wenige ihr Potenzial. Es ist der Wortschatz, der darauf wartet, endlich auch vom Mittelstand entdeckt zu werden.

Mit seiner Aussage: „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“ führt Ludwig Wittgenstein vor Augen, warum die großartige Chance, mit professioneller Sprache mehr Geld zu verdienen, selten erkannt wird: Diese Möglichkeit liegt anscheinend zu oft über dem Erkenntnishorizont. Unternehmen sehen oft nicht, dass Sprache ein Medium ist, das man individuell gestalten und zu einem schlagkräftigen Verkaufsinstrument perfektionieren kann; obwohl sie ausschließlich mit Sprache kommunizieren, sind sie gerade hier nachlässig; die Sprachkultur des Hauses steht so gut wie nie auf der Agenda.
Warum ist das so? Sprache ist der Stoff, aus dem unsere Gedanken sind! Wir denken, sprechen, schreiben und strukturieren nur innerhalb des Wortschatzes, den uns unsere individuelle Sprachfähigkeit zur Verfügung stellt. Das ist Fakt und Problem zugleich. Fehlt die Begrifflichkeit für etwas, existiert dieses Etwas nicht in unserer Welt. Ist die Begrifflichkeit für das Etwas falsch gewählt, ist dieses Etwas im Kopf falsch abgebildet – und es erscheint uns dennoch als richtig, daher erkennen wir Irrtümer nur schwer. Die besten Beispiele hierfür liefert die Werbung: gerade hier dominieren falsche, unpräzise Vorstellungen. Deutlich wird das bereits am Begriff „Werbung“ selbst: Wird er gerade im klassischen oder im erweiterten Sinn verwendet? Unser „Marketing-Deutsch“ scheint mit irrtümlichen Vorstellungen fest verbunden zu sein. Man denkt anscheinend, dass bestimmte Formulierungen zum guten Ton gehören; und weil man schließlich nichts falsch machen will, schreibt man vom anderen ab. So vermehren sich sinnleere, austauschbare Floskeln unaufhaltsam; sehr häufig zu beobachten in Broschüren und Mailings vieler mittelständischer Untenehmen. Einem Bericht der Wirtschaftswoche aus dem Jahr 2002, Ausgabe 12 zufolge verlieren deutsche Unternehmen auf diese Weise jährlich viele Milliarden Euro.

Worthülsen schwächen die Kommunikation

Leere Floskeln findet man überall. Und sie bewegen überall – nichts! Sie sind tot, abgenutzt, überflüssig und kosten viel Geld. Man mag sich kaum vorstellen, wie viele tolle Produkte und Ideen nur deshalb keine Abnehmer finden, weil sie von ihren Vermarktern laienhaft mit einer farb- und ideenlosen Sprache beschrieben werden. Man sagt: 50 % der Werbegelder sind zum Fenster hinausgeworfen. Nur keiner weiß, welche 50 %. Tatsächlich nicht? Hier ist die Antwort: Der größte Teil der besagten 50 % fliegt genau hier im hohen Bogen zum Fenster raus – den Agenturen direkt in die Hände. Die Kraft der Sprache wird sträflich unterschätzt.
Statt mit einer aktiven Sprache zu beeindrucken, klammern sich viele Verantwortliche verzweifelt an ein passives Hohldeutsch, führen Argumente ins Feld wie: „Wir sind ein seriöses Unternehmen“ – und halten ihre verstaubte Sprache für seriös. Oder: „Unsere Kunden sind gebildet und verstehen einen komplexen Satzbau.“ Sie verteidigen komplizierte Schachtelsätze und Formulierungen wie: „Unser traditioneller Wert ist Innovation“ oder „Der Kunde steht im Zentrum unseres Denkens und Handelns“ oder „Unsere Mitarbeiter sind die Basis für unseren Erfolg“ usw. Das juckt keinen! Das glaubt niemand! Am besten, man verabschiedet sich endlich von diesen Gähnphrasen „mit freundlichen Grüßen“. Sprachdinosaurier wie diese schwächen eklatant die Wirkung teurer Broschüren, teurer Mailings, teurer Geschäftsberichte. Gebildete Menschen verschwenden ihre wertvolle Zeit nur ungern mit absenderorientiertem Eigenlob, sondern „scannen“ Texte gezielt nach relevanten Informationen; so haben sie ihre Ausbildung erfolgreich absolviert und so behandeln sie auch Mailings – wenn überhaupt. Jedes überflüssige Wort wird überflogen. Statt den Leser zu unterstützen und ihn kurzweilig bei seinen Sorgen abzuholen, baut man unnötige Lesehürden auf. Meist führen diese dazu, dass der Lesevorgang frustriert abgebrochen wird, bevor der überzeugende Nutzen des Produktes transparent wird. Besonders schlimm: Entscheidende Informationen werden bei diesem Scann-Vorgang schon mal übersehen.

Erfolgreiche Marken gestalten ihre Sprache mit Corporate-Text

Es geht auch anders. Wie in kaum eine andere Sprache möglich, bietet gerade der deutsche Wortschatz eine schier endlose Vielfalt, um wichtige Infos spannend, kreativ und kommunikativ in den Vordergrund zu heben. Möchte ein Unternehmen seinen Kunden tatsächlich in den Mittelpunkt stellen, dann quält es ihn nicht mit verschachtelten Bandwurmsätzen, sondern verwöhnt ihn mit kreativen und ungewöhnlichen Aussagen; nur das erzeugt Interesse. Innovation und Einzigartigkeit kommuniziert man nicht mit ideenlosen, beliebig austauschbaren Worthülsen, sondern mit einer innovativen, einzigartigen Sprache; so baut man mit Sprache eine Marke auf. Das ist Corporate-Text dieser ordnet sich der Corporate-Identity unter und steht mit dem Corporate-Design auf einer Ebene.
Unternehmen, die ihr Sprachklima systematisch nach Corporate-Richtlinien gestalten sind keineswegs unseriös; vielmehr gehören sie fast immer zu den besten Ihrer Branche, sind Marktführer oder Trendsetter wie zum Beispiel IKEA. Firmen wie diese haben eine unverkennbare Tonalität entwickelt, über die sie ihre Position zusätzlich festigen und ausbauen. Diese Strategie war mitentscheidend für den riesigen Erfolg von IKEA – neben den guten Produkten versteht sich; die sind lediglich Voraussetzung für den Erfolg. Firmen wie IKEA wissen das. Und sie wissen auch: Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler; der kann aber auch nicht jedem Fisch schmecken! Wenn man Karpfen fangen will, dann nimmt man eben keine Köder für Hechte. Deshalb nehmen sie bewusst in Kauf, dass sich Teile der Bevölkerung nicht von IKEA angesprochen fühlen. Es ist selten von Erfolg gekrönt, wenn man sich allen Marktteilnehmern gleich brav anbiedern will.

Wie man sich über Sprache positioniert

Ein scharfes Profil erhält ein Unternehmen nur dann, wenn es sich eindeutig positioniert, auch mal provoziert und sich so ein unverwechselbares Image erarbeitet. Also macht es sich bei Karpfen beliebt und nimmt in Kauf, dass Hechte verwundert abdrehen. Der Trick dabei: Dort, wo sich viele Karpfen tummeln, sind auch die Hechte nicht weit. Und so zappeln zuweilen auch kapitale Hechte im Netz! Obwohl IKEA die zahlungskräftigen Großeltern eben nicht anspricht, kaufen diese dennoch zuhauf bei IKEA ein. Wie das? Ein Teil der Omas weiß genau, wie sehr ihre Enkel IKEA lieben. Die lieben IKEA wegen der schrägen, aber authentischen Ansprache! Der andere Teil kauft sich bei IKEA die verlorene Jugend zurück. Diese Omas wollen einfach keine Oma sein. IKEA kommuniziert authentisch nur mit einem Teil der Zielgruppen und erreicht dennoch alle. Diesen Mechanismus erkannte vor genau 30 Jahren der Besitzer eines damals völlig unbekannten mittelständischen Möbelhauses, irgendwo tief in der schwedischen Provinz. Er wollte eines Tages nicht mehr als „seriös“ erscheinen – und so gründete er „Das unmögliche Möbelhaus aus Schweden“. Das Resultat dokumentiert eine Meldung des Heise-Online-Dienst vom 5. April 2004: Ingvar Kamprad, IKEA-Gründer, soll Bill Gates als reichsten Mann der Welt überholt haben. Nicht mit Tankschiffen, nicht mit Erdöl, nicht mit weltweiten IT-Monopolen. Mit Möbeln! Zum Selberbasteln! Aus Schweden! Alles klar?

Marken sind wie Menschen

Menschen mit besonderem Akzent, mit einer besonderen Mimik, mit ungewöhnlichen Gedanken, Menschen eben mit Ecken und Kanten, bleiben weit stärker im Gedächtnis haften als die seriösen und geschliffenen. IKEA hat viel, viel Geld in seine Ecken und Kanten investiert. Übrigens: Die Zielgruppe dieser Topp-Marke ist durchaus gebildet. Weil unser Gehirn stets nach denselben Mustern unserer Wahrnehmungspsychologie funktioniert, ist diese Erkenntnis unabhängig vom Bildungsstand der Zielgruppen – und darum 1:1 in die B-to-B-Kommunikation und, wer hätte das gedacht, zum Beispiel auch in die „seriöse“ Finanzkommunikation. Hier einen Unterschied zu konstruieren ist fatal. Das Gehirn der Enkel, der Omas, der Topp-Manager und vermutlich auch das der Karpfen funktioniert immer auf die gleiche Weise: Die rechte Gehirnhälfte scannt unablässig die sichtbare Welt unbewusst nach interessanten Informationen ab und wenn sie fündig geworden ist, übernimmt die linke Hälfte. Interesse erzeugt man nur, wenn man Reize kreiert. Keine Frau mag ein Kleid, das schon eine andere trägt – und deshalb scheitert auch jede Kommunikation, die schon ein anderes Unternehmen kleidet. Gilt eine Frau, die sich reizvoll kleidet, als unseriös? Niemand betrachtet IKEA als unseriös. Fazit: Mehr Mut zu Ecken und Kanten!

Sprache macht authentisch

Ähnlich wie das Farbklima, Formgebung und die Bildwelt eine Marke bestimmen, kann ein ungewöhnliches Sprachklima einer Marke außerordentliches Charisma verleihen. Gerade dann, wenn alle Wettbewerber sich der immer gleichen „seriösen“ Floskeln bedienen, kann sich die bewusste Abkehr davon deutlich von der Konkurrenz abheben und positiv in die Marke einzahlen. Gerade dann, wenn sich der Wettbewerb mit immer gleichen pseudointellektuellen Formulierungen zu übertreffen versucht, kann eine Marke mit bildhaften Worten die Fantasie anregen, das „Kino im Kopf“ einschalten, sich mit plakativen Vergleichen sympathisch und dennoch fein abgestimmt auf den individuellen Stil des Hauses vom drögen Wettbewerb abheben. So ahmt man andere Marktteilnehmer tunlichst nicht nach, sondern versucht sich von ihnen zu unterscheiden, indem man alle möglichen Potenziale nutzt, die auch die Sprache im Überfluss bietet. Das ist die hohe Kunst des Textens. Was für eine großartige Chance!

Systematisch sympathisch: Kommunikation auf jeder Ebene

Eine weitere Stärke von Corporate-Text entfaltet sich in Kommunikationsmedien, die von mittelständischen Firmen ebenfalls oft verkannt werden: Die tägliche Post und die interne Kommunikation. Beispielsweise in Angebotsschreiben, Bewerberabsagen, Mahnungen und im Beschwerdemanagement. Am besten, man betrachtet diese Briefe wie teure Mailings an neue Zielgruppen. Mit Ideen kann sich ein Unternehmen auch hier von seiner besten Seite zeigen. Quasi kostenlos! Interessenten, Bewerber, ja sogar Schuldner sind Meinungsbildner, Multiplikatoren, die ihre Erfahrungen mit dem Unternehmen zuverlässig weitergeben. Gute wie schlechte. Sogar Firmenschilder eignen sich dazu: Statt die Wände der Firma mit Verboten und Paragraphen zu tapezieren, kann man auch eine freundliches „Willkommen“ anbringen und auch sympathisch darauf hinweisen, dass dieser sensible Bereich leider verschlossen bleiben muss. Auch der Anrufbeantworter in der Warteschleife kann wie ein guter Radiospot funktionieren. Ebenfalls so gut wie kostenlos! Corporate-Text passt das Corporate Identity den verschiedenen Medien an. Klar: Der Hypertext in der E-Mail funktioniert anders als der lineare Text im Katalog.

Vereinheitlichte Kommunikation nach der Fusion

Doch Corporate-Text kann noch viel mehr! Fusionen und Firmenzukäufe führen oft zu Komplikationen in der internen Kommunikation. Unterschiedliche Leitbilder, Missionen Statements, Systembezeichnungen, Produktkategorien und Produktnamen prallen hier jäh aufeinander. Diese definieren sich immer über Sprache. Der unterschiedliche Sprachgebrauch wird oft sträflich ignoriert – und bestraft! Eine Vereinheitlichung der Begriffswelt schafft Klarheit durch Einheit. Doch Worthülsen sollte man tunlichst vermeiden.

Nicht die Agenturen, die Unternehmen sind gefordert

Werbeagenturen sind in Fragen von Corporate-Text nicht die besten Ansprechpartner. Es fehlt ihnen meist die Kompetenz dazu. Agenturen bieten kurzlebige Effekte und Design – aber kein Design für Text, der die Marke zusätzlich auflädt und langfristig wirkt. Selbst große, bekannte Agenturen halten es für unnötig, ihren vielen, ständig wechselnden Textern wenigstens eine simple Checkliste mit ein paar hilfreichen Fakten über die spezifische Tonalität ihrer Kunden an die Hand geben; man mag es kaum glauben, doch das ist die Regel. Mit Neid schielen Texter auf ihre Grafiker-Kollegen, mit denen sie oft ein Team bilden. Diese können bei offenen Fragen fast immer ihr CD-Manual zu Rate ziehen. Der Grund: Es gibt zwar massig Hochschulen, die Grafiker ausbilden, aber keine einzige, die (Werbe-)Texter ausbildet, obwohl die eigentlich meist den Job machen. Grafiker führen nur toll aus, was sich meist die Texter ausdenken. Es ist kein Bestandteil der Grafikerausbildung, wie man Marken universell aufbaut und führt. Daher ist die Sprache nicht in ähnlicher Weise wie das Design systematisiert. Ein weiterer Mangel in unserem Ausbildungssystem. Gefragt ist die Eigeninitiative. Ein Unternehmen, das eigeninitiativ seinen Agenturen ein „CT-Manual“ zur Verfügung stellt, bringt Ordnung ins Chaos, vereinheitlicht die Sprache, macht sie unverwechselbar und spart sich obendrein teure Abstimmungsprozesse. Corporate-Text liegt also in der Verantwortung der Unternehmen und nicht bei den Agenturen.
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“. Ludwig Wittgenstein erkannte als Erster, dass exakte Erkenntnis nur über den exakten Gebrauch der Sprache führt. Neue Erkenntnis aber führt zu neuen Möglichkeiten. Deshalb: „Entdecke die Möglichkeiten.“

Über den Autor:

Georg Halfar
Kommunikationswirt
Akademie für Marketing-Kommunikation Frankfurt am Main
Freier Werbetexter und Konzeptioner
Spezialisiert auf individuelle Unternehmenskommunikation
Kontakt: Georg.Halfar@texteffekt.de
www.texteffekt.de
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