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Das Jahrhundert des Gehirns: Wie wir unser Denken ans Internet anschließen

Technologie & Kreativität: Sie lieben sich. Sie brauchen sich. Und sie hassen sich dafür.
© Medientage München GmbH
 
„Ist unser Gehirn im Computer replizierbar?“ Mit dem Siegeszug der Künstlichen Intelligenz (KI) stellt sich diese Frage drängender denn je. Prof. Dr. Miriam Meckel, Herausgeberin der Wirtschaftswoche, vermittelte während der MEDIENTAGE MÜNCHEN eindrucksvolle Beispiele, wie tief heute bereits die Reise ins menschliche Gehirn gehen kann. Vom Telefon bis zum Kühlschrank sind viele unserer Gebrauchsgegenstände bereits an das Internet angeschlossen. Wieso also nicht auch unser Gehirn? „Die Eroberung unserer Geisteskraft durch Software, Maschinen und KI hat bereits begonnen,“ erklärte Meckel. Algorithmen können bereits mit großer Präzision Krankheiten diagnostizieren oder auch kreative Leistungen erbringen, wie das Schreiben eines Gedichtes auf Basis eines Fotos. Über Gehirnimplantate können wir unsere Gedanken auslesen und Roboterarme steuern oder Texte schreiben lassen. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg lässt hierfür ein Gerät entwickeln, das unsere Gedanken als neuronale Signale dann direkt als Textnachrichten auf dem Smartphone erscheinen lässt – mit einer Geschwindigkeit von hundert Wörtern pro Minute. „Diese Entwicklungen sind eine große Errungenschaft, bergen aber auch die Gefahr einer Schnittstelle, die auslesbar, manipulierbar und hackbar ist“, gab Miriam Meckel zu bedenken. „Hier stoßen wir an die Grenzen der Privatheit und der Freiheit der Gedanken.“

Wie sensibel das Organ Gehirn reagiert, konnte die Referentin im Selbstversuch feststellen, als sie
über eine App, die leichte Stromimpulse direkt ins Gehirn sendet, ihr Aktivitätslevel erhöhen wollte.
Die Folge waren 36 Stunden ohne Essen, Schlafen und konzentriertem Denken. „Solche Entwicklungen haben nichts in der Lifestyle-Ecke zu suchen, sondern müssen unter medizinischer Aufsicht entwickelt werden“, forderte Meckel. Der Phantasie sind anscheinend keine Grenzen gesetzt. So investiert Elon Musk in eine Neurolink-Company, die alle Menschen über Hirnimplantate zu einer einzigen großen Braincloud verbinden soll. „Heute ist das alles noch Science Fiction, aber für die Hirnforscher durchaus vorstellbar“, berichtete Meckel. Wenn Menschen schließlich über solche Technologien auch noch auf Basis ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit beurteilt werden, zeigt der Neurokapitalismus als Schnittstelle zwischen Neurowissenschaft und Computer seine extremsten Auswirkungen. Wollen wir das alles? Miriam Meckels abschließend er Appell: „Denken wir darüber nach – wir sind so frei!“

Auch wenn künstliche Intelligenz heute schon Gedichte „entwickeln“ kann, vermisst Jean-Rémy von Matt dabei die Kreativität. Der Gründer der vielfach ausgezeichneten Werbeagentur Jung von Matt sieht Technologie und Kreativität in einem schwierigen Beziehungsstatus. Beide könnten sich gegenseitig befruchten, aber auch blockieren. „Es ist ein bekanntes Phänomen, dass bei jedem technologischen Quantensprung die Kreativität ins Stocken kommt“, erklärte von Matt und belegte dies am Beispiel der Automobilindustrie. „Wo immer sich die Technologie in den Vordergrund drängt, fehlt die emotionale Kraft der Kreativität, die ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg ist“, argumentierte der Top-Kreative.

Von Matts Credo für das Marketing lautet Technologie schafft Vorsprung, aber keinen Unterschied. Für die entscheidende Differenzierung sorgen die Inhalte: „Kreativität schießt die entscheidenden Tore!“ Auch die viel beschworene Relevanz sei nicht alles, denn um beim Konsumenten Erfolg zu haben, müsse Werbung faszinierend, unterhaltsam und überraschend sein.

Jean-Rémy von Matt hat für die Aufmerksamkeitsökonomie das Gesetz der drei Türen aufgestellt. Demnach sollte erfolgreiche Werbung unterstützen durch relevante Informationen, unterhalten oder sie werde untergehen. In diesem Zusammenhang verwies der Agenturgründer auf die beliebtesten YouTube-Inhalte: Schminktipps (unterstützend) und Katzen-Videos (unterhaltend). Von Matt: „Für die ersten beiden Türen braucht man einen ganz besonderen Schlüssel – Menschen, die kreativ und regelkonform denken.“