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Aggressive Werbung der staatlichen Klassenlotterien

Experten kritisieren unseriöse Lockanrufe
marketing-BÖRSE | 15.11.2006
Hohenheim/Wels, www.ne-na.de - Ob es die Hoffnung auf das große Geld ist oder einfach der Reiz des Ungewissen, die Teilnehmerzahlen im deutschen Glücksspielmarkt steigen. „Rund die Hälfte der Bundesbürger nimmt regelmäßig an Glücksspielen teil", sagt Tilman Becker, Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim in Stuttgart http://www.uni-hohenheim.de. Das berichtet die Heidenheimer Zeitung http://www.hz-online.de. Rund 30 Milliarden Euro, die jährlich in Deutschland für Glücksspiel ausgegeben würden, entsprechen demnach der Finanzausstattung aller deutschen Hochschulen für Forschung und Lehre. Ganz oben auf der Liste der Spiele steht dabei der Spielautomat. „14 Milliarden Euro wurden in Spielautomaten geworfen, die in Spielhallen, Gaststätten oder Casinos stehen", zitiert die Zeitung den Wissenschaftler. „10 Milliarden Euro investierten Glücksritter in Lotto und andere Lotterien. Drei Milliarden Euro gingen über Casinotische.“ Schwer abzuschätzen sei das Geschäft mit Sportwetten. Die Lotteriegesellschaften gäben die Umsätze der Oddset-Wetten mit 420 Millionen Euro an. „Bis zu drei Milliarden Euro wurden auf Fußballer oder Pferde gesetzt", schätzt Becker und prognostiziert aufgrund der attraktiven Gewinnquoten einen Siegeszug der Sportwette.



Über die gewöhnlich im Zusammenhang mit Glücksspiel betrachteten Fragen von Spielsucht und Rechtslage untersucht die Hohenheimer Forschungsstelle auch andere Faktoren wie Statistik und Ökonometrie, Ordnungspolitik, Finanz und Kommunikationswissenschaften, Verbraucherverhalten, Spiel- und Wirtschaftstheorie und Marketing. Die aktuelle deutsche Diskussion um Sportwetten und das sportliche Monopol auf Wettangebote kritisiert Becker. Schließlich könne man einem gewerblichen Vermittler die Werbung kaum verbieten. „Bisher ist der Glücksspielsektor völlig inkonsistent geregelt". Und der Lotteriestaatsvertrag, den die Ministerpräsidentenkonferenz ausgearbeitet hat, schreibt die Bevorzugung staatlicher Anbieter bei Angebot, Vertrieb und Marketing erneut fest.



Insbesondere die mit der RTL-Wunderwaffe Günter Jauch werbende Süddeutsche Klassenlotterie http://www.skl.de und ihre norddeutsche Schwester NKL http://www.nkl.de profitieren von den vorliegenden Regelungen. Noch im August hatte ein Vertragsentwurf des Staatvertrages die Einschränkung von Werbung und Vertrieb für Lotterien allgemein vorgesehen. „Die allgemein formulierten Werbe- und Vertriebsverbote hätten jedoch auch das Aus für einige staatlichen Angebote in der bislang praktizierten Vertriebsform bedeutet. So wäre etwa die Übertragung der Ziehung der Lottozahlen im Fernsehen und die Werbung der Klassenlotterien per Postwurfsendung nicht mehr möglich gewesen“, schreiben die Münchener Rechtsanwälte Wulf Hambach und Konrad Miller in den Betting Law News http://www.ra-hambach.de. Johann Peter Boesche, Hamburger Lotterieeinnehmer, räumte gegenüber dem Magazin Call Center Profi http://www.callcenterprofi.de ein, dass die Klassenlotterien beispielsweise ohne den aggressiven telefonischen Vertrieb „nicht überlebensfähig“ seien. Das Suchtpotenzial bei Lotteriespielen verharmlost er unterdessen. Eine Suchtgefährdung besteht „so gut wie gar nicht“, zumal am Telefon auch ausführlich beraten werde. „Vor allem, wenn wir Ansätze zur Spielsucht erkennen, können wir im persönlichen Dialog auf die Menschen eingehen.“ Dem widersprechen allerdings Aussagen früherer Mitarbeiter der SKL-Call Center, die eine Gewinnchance von eins zu zwei gegenüber einer Gewinnwahrscheinlichkeit beim Lotto mit eins zu 40 Millionen anpreisen. „Das ist kompletter Unsinn“, sagt Reinfried Wiesmayr, Geschäftsführer des Sportwettenanbieters Wettcorner http://www.wettcorner.com im österreichischen Wels. „Durch die Teilung der Gewinnanteile liegt die Chance, 12,50 Euro zu gewinnen, bei eins zu zwei. Die Wahrscheinlichkeit, im Lotto einen Sechser einzufahren, liegt tatsächlich bei eins zu 40 Millionen. Die staatlichen Anbieter werben hier unseriös“, so Wiesmayr. Und weil die Call Center-Agenten auf Provisionsbasis tätig seien, machten diese das Spiel munter mit. Auch die Verbraucherzentralen in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland haben in einer nicht-repräsentativen Online-Befragung unter 3500 Personen herausgefunden, dass Telefonwerbung für Lotto- und Gewinnspielveranstalter zu den am häufigsten genannten Ärgernissen gehört.



Mit den absehbaren finanziellen Einbußen, die der erste Entwurf des Lotteriestaatsvertrages mit sich gebracht hätte, wollten sich die Länder aber keineswegs abfinden. Damit entgingen den Lotterien jährliche Abgaben in Höhe von 300 Millionen Euro. „Also hat man auch für diese Regel die sprichwörtliche Ausnahme geschaffen, um staatliche Einnahmen sicherzustellen“, so Wiesmayr. Diese sieht vor, für die staatlichen Angebote bestimmte Ausnahmen vom Werbe- und Vertriebsverbot via Fernsehen und Internet zuzulassen. „In der Erlaubnis kann für Veranstaltungen, die traditionell in Verbindung mit dem Fernsehen präsentiert werden und bei denen vorrangig die gemeinnützige Verwendung der Reinerträge dargestellt wird, eine Befreiung vom Verbot der Fernsehwerbung (§ 5 Abs. 3) zugelassen werden“, so der Entwurf im Wortlaut. Das ursprünglich geplante Verbot der unverlangten Übermittlung von Werbematerial oder von Angeboten zum Glücksspiel (§ 5 Abs. 3 S. 2 des ersten Entwurfs) hat die Ministerpräsidentenkonferenz dagegen wieder gestrichen. Fänden die entsprechenden Passagen des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom März allerdings auch hierauf Anwendung, wird dieser Staatsvertrag kaum lange Bestand haben. „Mit der Aufnahme dieser Änderungen in den Entwurf werden jedoch die europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben ad absurdum geführt. Offensichtlich sollen die privaten Anbieter rücksichtslos vom Markt gedrängt werden, ohne dass den staatlichen Anbietern die im Falle eines Monopols erforderlichen Grenzen gesetzt werden“, schreiben Hambach und Miller. Inzwischen hätten außerdem selbst absolute Verfechter des Staatsmonopols verstanden, dass dies jedenfalls langfristig fallen werde. „Dies wird aber erst dann möglich, wenn die Politik aufhört sich vor der Realität des EU-Rechts zu verstecken“, schreibt das Sportwetten-Magazin http://www.sportwetten-magazin.de.

Quelle:
Onlinemagazin NeueNachricht www.ne-na.de, Ettighoffer Str. 26A, 53123 Bonn oder per E-Mail. Für Rückfragen: Gunnar Sohn, Tel: 0228 620 44 74, Mobil: 0177 620 44 74
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