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Produktivitätsschub im Kundenservice durch Sprachautomatisierung

Call Center-Branche im Wandel
marketing-BÖRSE | 06.02.2006
Bonn/Berlin, www.ne-na.de - Das Thema Sprachautomatisierung im Call Center wird immer bedeutsamer: Nach Marktanalysen des Bad Homburger Beratungshauses Strateco verschärft sich der Wettbewerb im Telefonmarketing. "Die Automatisierung von Prozessabläufen im Call Center entwickelt sich zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor. Insbesondere der Einsatz von Sprachcomputern für stark standardisierte Services wird in Zukunft die Spreu vom Weizen trennen", erläutert Jens Klemann, Geschäftsführer des Beratungsunternehmen Strateco http://www.strateco.de/ im Vorfeld der Call Center World http://www.callcenterworld.de in Berlin.

Durch die hohen Lohnkosten am Standort Deutschland bekäme die Sprachautomatisierung zudem eine politische Dimension: "Nur wer sich durch Sprachautomatisierung von den sogenannten 'Stupid Calls' entlastet, ist künftig in der Lage, zu wettbewerbsfähigen Durchschnittskosten anzubieten und entgeht so der Verlagerung von Kapazitäten ins Ausland", prognostiziert Klemann. Neben Kostenvorteilen könnten die Dienstleister durch den Einsatz von sprachgesteuerten Vermittlungen, Infodiensten oder Anrufvorqualifizierung nachweislich die Mitarbeitermotivation steigern und die personelle Fluktuation senken, mehr hoch qualitative Services anbieten, die Beratungsqualität und Umsätze steigern. "Gerade beim Prozess-Outsourcing riskieren Call Center ohne Sprachdialogsysteme zudem, dass ihre Auftraggeber den Schritt in Richtung Automatisierung vor ihnen machen und 'Stupid Calls' nicht mehr an externe Dienstleister vergeben, sondern wieder ins eigene Unternehmen zurückholen", weiß Klemann, der zu den Initiatoren der Brancheninitiative Voice Business http://www.voiceday.de zählt.

Durch technologische Weiterentwicklungen könnten Voice Portale heute den Vertrieb selbst bei Outbound-Kampagnen unterstützen, weiß der Informatiker Peter Weierich, Leiter Marketing und Strategie bei Sikom http://www.sikom.de. Die typische Klassifikation von Sprachdialogsystemen konzentrierte sich vor allem auf die Kosteneinsparung und die Entlastung von Call Center-Agenten. "Als wichtige Kennzahl für den erfolgreichen Einsatz von Sprachtechnologien galt und gilt noch heute der Preis pro Transaktion: Eine Überweisung, die in der Bankfiliale persönlich abgegeben wird, schlägt mit mehr als einem Euro zu Buche, im Call Center etwa mit der Hälfte, per Internet- oder automatisiertem Telefonbanking nur noch mit 10 bis 30 Cent", führt Weierich aus.

Moderne Sprachsysteme eröffnen nach seiner Einschätzung nicht nur neue Möglichkeiten bei der Automatisierung von transaktionsgetriebenen Telefonaten, sondern auch zur Erhöhung von Umsätzen durch vertriebsgetriebene Aktivitäten. "Um Sprachportale als aktives Vertriebsinstrument einzusetzen, bieten sich zwei Möglichkeiten an: Die Erweiterung von Inbound-Telefonaten um vertriebsorientierte Gesprächsteile und Outbound-Kampagnen zur Erhöhung der Kundenbindung. Der erste Schritt, nämlich Inbound-Telefonate für Cross- und Up-Selling-Schritte zu nutzen, wird in allgemeiner Form schon länger praktiziert: Hinweise auf Sonderaktionen erfolgen am Beginn des Gesprächs oder während des Aufenthalts in der Wartschlange bei einer Weiterleitung ins Call Center", so Weierich.

Bei der Sikom-Lösung "Quellefon-Bestellanwendung" werde Cross-Selling über eine optionale Weiterleitung in das Call-Center realisiert: "Wenn es zu einem bestellten Artikel ein passendes Zusatzangebot gibt, wird dem Kunden eine Weiterführung des Gesprächs mit einem Mitarbeiter angeboten. Dieser erklärt dem Anrufer dann die passenden Zusatzangebote", betont Weierich,

Auch der Markt fordere nutzerfreundliche Self Service Angebote. "Kunden von Mobilfunk-Providern erteilen Call Centern eine klare Absage und favorisieren lieber die Selbstbedienung", so eine Untersuchung des E-Commerce-Spezialisten Netonomy unter 2.000 Mobilfunknutzern. Danach liege bei Verbrauchern mit Erfahrungen im telefonischen Self Service die Zufriedenheit mit den Diensten bei 94 Prozent. Manfred Stockmann, Präsident des Call Center Forums http://www.callcenterforum.de, bestätigt diesen Trend: "Die stetig verbesserte Qualität der Sprachdienste und die wachsende Erfahrung der Nutzer führen zu einer kontinuierlich steigenden Akzeptanz dieser Systeme."

Diese Kundenanforderungen werden auch von den Auftraggebern wahrgenommen. "Unsere Kunden, die auf Call und Contact Center mit multimedialen Anwendungen wie Voice Portale setzen, verlangen im Paket auch modular einsetzbare, automatisierte Sprachlösungen. Betreiber, die sich nicht auf die steigende Nachfrage ihrer Auftraggeber nach günstigen, automatisierten Diensten einstellen, vergeben zukünftig Umsatzpotentiale. Dabei können Call Center heute maßgeschneiderte Managed Services einkaufen, die sie ohne hohe Anfangsinvestitionen in die Lage versetzen, der Kundschaft einfache Geschäftsvorfälle per Sprachcomputer anzubieten", berichtet Helmut Reisinger, Geschäftsführer des Stuttgarter IT-Integrators Nextiraone http://www.nextiraone.de.

Auch Stockmann sieht die Branche in der Pflicht. "Viele Branchen, insbesondere die mit hohen Anruferzahlen werden sich mit der Sprachautomatisierung von Kundenkontaktprozessen befassen müssen. Entscheidend ist dabei, geeignete Dienste zu identifizieren und so zu realisieren, dass neben einem schnellen Return on Investment (ROI) vor allem eine Entlastung der Agenten erzielt wird, die dann etwa für das Handling von E-Mail-Anfragen oder andere qualifizierte Services eingesetzt werden können."

Für die Unternehmen gehe es nach Ansicht des Unternehmensberaters Klemann heute vor allem darum, den geeigneten Mix zwischen automatisierten Diensten und hochwertigen, von ausgezeichnet qualifizierten Agenten erbrachten Services zu finden. "Im Finanzwesen etwa ist es deutlich lukrativer, Standarddienste wie Auskünfte und einfache Transaktionen auf den Sprachcomputer zu verlagern, und die Agenten in der Beratung und im Verkauf zu schulen und einzusetzen. Nicht umsonst ist bei der Verleihung der Bankmarketingpreise 2005 die Sparda-Bank Nürnberg prämiert worden, weil sie nach der Einführung innerhalb von nur einem Jahr eine 80-prozentige Akzeptanz für ihren Sprachcomputer geschaffen hat. Und so 250.000 Euro Personalkosten einsparte, die jetzt in Outbound-Aktivitäten fließen."

Martin Giebel vom IT-Dienstleister Softlab http://www.softlab.de, der unter anderem an der Entwicklung und Einführung des Telefonbankings für die Postbank mitwirkte, bestätigt diese Erfahrung: "Die Postbank wickelt 28 Millionen Anrufe im Jahr mit einer Sprachanwendung ab – zu um den Faktor 20 niedrigeren Kosten als beim Einsatz von Agenten, die nun für wertige Service zur Verfügung stehen". Mit zunehmender Raffinesse und Leistungsfähigkeit erobern automatische Sprachsysteme in schneller Folge neue Anwendungen: "Die Zeiten sind längst vorbei, als Sprachcomputer wenig verstanden, mit ihrem Latein rasch am Ende waren und die Ohren mit scheppernder Sprachausgabe strapazierten", so die Marktanalyse von Reisinger.

Bei Ahrens und Sieberz, einem Versandhändler für Gartenpflanzen aus Siegburg bei Köln, können Kunden Rhododendron und Rosen. Beim Versandhändler Quelle ist es möglich, Hosen, Fernseher und Bratpfannen über eine automatisierte Hotline zu bestellen. Hessens Richter und Staatsanwälte werden künftig Klageschriften und Urteilsbegründungen ihrem Computer diktieren, statt sie einzutippen.

Die Lagerarbeiter des Darmstädter Logistikdienstleisters Logosys bekommen neuerdings über kleine Kopfhörer ins Ohr geflüstert, welche Arzneimittel und Dialyseflüssigkeiten sie verschicken sollen. Früher waren sie mit langen Auftragslisten zwischen den Regalen unterwegs. Heute wandeln Terminals des Willicher Systemhauses Zetesind die Bestelldaten in Sprachbotschaften um und senden sie per Funk an die Mitarbeiter. Sie bestätigen die Entnahme, indem sie eine Prüfnummer nennen, statt wie früher Barcodes einzuscannen. Bei den Kurierdiensten DHL und Direkt-Express informieren Sprachdienste Anrufer darüber, wo sich ihre Sendung befindet und wann die Lieferung ankommt. Computer-Fremdsprachenprogramme kontrollieren die Aussprache und korrigieren den Lernenden. "Die vielen Beispiele aus unterschiedlichen Branchen belegen, dass Sprachportale sich ausgezeichnet für standardisierbares Mengengeschäft eignen. Es sollte allerdings immer komplementär zu traditionellen Kanälen angeboten werden. Dies erhöht den Servicegrad des Anbieters, die Erreichbarkeit und spart zudem Kosten, nicht zuletzt für den Anrufer im Sinne von Zeit und zielgenauer Erledigung seiner Anliegen", so Reisinger.

Besonders im Kundenservice könne man in Deutschland noch gewaltige Produktivitätsfortschritte erzielen. Dabei gehe es nicht um die Freisetzung von Arbeitskräften, sondern um eine klügere Organisation der Arbeit. "Die große Mehrheit in den Serviceberufen plagt sich mit Tätigkeiten herum, die wenig oder nichts zur Wertschöpfung beitragen. Unternehmen, die in der Service-Automatisierung auf Sprachcomputer setzen, bewältigen ein signifikant höheres Anrufaufkommen und bieten daher auch einen besseren Kundenservice", sagt Reisinger.

Laut einer Studie des britischen Marktforschungsunternehmens Datamonitor werden mit Sprachportalen 2007 weltweit mehr als 4,3 Milliarden Dollar umgesetzt - mehr als doppelt so viel wie dieses Jahr. Nach Schätzungen von Professor Wolfgang Wahlster, Direktor des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI, sind bislang nur zehn Prozent der möglichen Anwendungen erschlossen. Seine Prognose: "Es ist abzusehen, dass Sprachdialogsysteme in den nächsten Jahren im Auto, bei der Bedienung intelligenter Haustechnik und beim mobilen Internet-Zugriff in den Massenmarkt vordringen."

Mussten sich Anrufer früher durch starre Frage-Antwort-Schemata hangeln, führen heute frei formulierte Fragen zum Ziel. "Mit der heutigen Qualität der natürlichen Sprachsynthese schwindet die Abneigung der Kunden, mit einer Maschine zu reden", sagt Reisinger. Die zunehmende Akzeptanz beim Kunden ermutige immer mehr Unternehmen, in moderne Sprachtechnik zu investieren und dabei einen schnellen Return on Investment zu erreichen. Nachdem beispielsweise British Airways sein Fluginformationssystem auf ein Sprachportal umgestellt hatte, sanken die Kosten je Anruf von drei Dollar auf 16 Cent. Ähnlich rechnet Karl-Heinz Land, Gründer von Voice Objects http://www.voiceobjects.com in Bergisch Gladbach. "Ein Call Center-Agent kostet pro Anruf zwischen zwei und drei Euro, ein sprachbasiertes System nur rund 30 Cent. Da ist die Investition schnell verdient."

Die Beraterunternehmen Mind Business und Strateco bestätigen diese Einschätzung. Danach zahle sich die Anschaffung eines Sprachdialogsystems im Durchschnitt nach neuneinhalb Monaten aus - bei Anschaffungskosten meist unter 100 000 Euro. Wahlsters DFKI will Deutschlands Kompetenz in der Sprachtechnologie den Besuchern der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 vorführen. Sofern sie über ein entsprechend ausgerüstetes Handy mit Spracherkennung verfügen, können sie Informationen über Spielstände, WM-Historie, Touristenattraktionen und Hotels abfragen. Eine Software sucht im Web und in Datenbanken nach Antworten und liest die richtige vor. Das erledigen neuartige intelligente Suchmaschinen. Sie bedienen sich neuer Computersprachen, um Art, Inhalt und Charakter von Dokumenten und Web-Seiten zu erkennen, statt nur nach Stichworten zu fahnden. So stoßen sie auf die wahrscheinlichste Antwort, statt hunderte oder gar tausende Treffer anzuzeigen. Experten sprechen bei der Weiterentwicklung vom semantischen Web: Das Internet lernt Fakten zu verknüpfen und zu sprechen.

Von Gunnar Sohn, www.ne-na.de