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Tarifdschungel in der Telekommunikation: Kunden sind überfordert

Experten bemängeln mangelnde Transparenz
marketing-BÖRSE | 28.09.2006
Bonn, www.ne-na.de - Albert Einstein hat ein berühmtes Zitat geprägt: „So einfach wie möglich. Aber nicht einfacher!“ Das ist heute graue Theorie. Stattdessen herrscht Komplexität und Übersichtlichkeit aller Orten: ein Steuersystem, das nicht reformierbar scheint, ein undurchschaubarer Tarifdschungel bei Bahntickets und mittlerweile auch bei Mietwagen, die nicht einmal zuständige Bahnmitarbeiter erläutern können, Entgeltmodelle bei Telefon- und Internetdiensten, deren Systematik sich auch nach intensivem Studium nicht erschließt.



„Der Mobilfunkanbieter O2 will noch in diesem Jahr die Preise senken und plant eine deutliche Vereinfachung seiner Tarifstruktur“, berichtet der Tagesspiegel. „Die Handytarife in Deutschland sind viel zu kompliziert. Kaum jemand hat im Tarifdschungel noch den Überblick“, bestätigt O2-Deutschland-Chef Rudolf Gröger im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Demnach will der Mobilfunkanbieter noch vor Weihnachten seine Tarifstruktur vereinfachen. Damit einher solle auch eine weitere Preissenkung gehen, so Gröger, der einen Umbruch am Mobilfunkmarkt erwartet. „Die Preise werden sich innerhalb der kommenden zwölf bis 18 Monate etwa halbieren.“ Dabei geht er davon aus, dass man die Kunden nicht nur mit dem augenscheinlich günstigsten Angebot gewinnen werde. „Es geht um klare, verständliche Tarife.“



„Typgerecht telefonieren“ schlägt auch die Stiftung Warentest den Lesern ihres aktuellen Testberichts vor. Immerhin suchen 15 bis 20 Millionen Kunden in den kommenden zwölf Monaten einen neuen Betreiber. Das geht aus dem aktuellen Mobilfunk-Report 2006 hervor, berichtet die Zeitschrift PC Welt. Dazu kommt, dass gerade die relativ neu auf dem Markt befindlichen Billiganbieter beinahe wöchentlich zu neuen Tarifattacken blasen und die Konkurrenz mit immer günstigeren Minutenpreisen veranlassen, die Stellschraube weiter zu drehen.



Aber inzwischen geht es bei Produkten und Tarifen nicht mehr alleine um die Frage von Billig oder Teuer. Es geht vielmehr darum, die Befähigung zu erlangen, das eine vom anderen unterscheiden und bewerten zu können. Dies aber wird den Endkunden immer schwerer gemacht. „Viele Kunden sind überfordert mit der Marktvielfalt und dem Tarifdschungel“, bestätigt Ralf G. Schäfer vom Wissenschaftlichen Institut für Kommunikationsdienste in Bad Honnef. „Die Maxime von Focus-Chef Helmut Markwort ‚Fakten, Fakten, Fakten und immer an den Leser denken’ muss auch in der Telekom-Industrie beachtet werden“, sagt Omar Khorshed, Vorstandsvorsitzender des Düsseldorfer Abrechnungsspezialisten acoreus AG.



So gebe es bei der Deutschen Telekom einen Tarif mit Namen XXL-Local. Der durchschnittliche deutsche Endkunde werde vor einem Rätsel stehen. Denn was sei Local, wenn er der englischen Sprache nicht mächtig sei? Und für was stehe die Größenordnung XXL? Und wenn er Englisch verstehe, könne er immer noch nicht einschätzen, wie weit local (lokal) reiche und ob man nur innerhalb des Ortsnetzes telefonieren könne, oder ob die englische Übersetzung für local auch regional bedeuten könne und daher über die lokalen Grenzen hinaus bis nach ganz Deutschland reiche. Dass es weitere und hockkomplizierte Tarifmodelle und keine Regel ohne Ausnahme gibt, belegt die Zahl der Fußnoten, hinter denen das wöchentliche T-Punkt Prospekt das Kleingedruckte darlegt. Im Extremfall ruft man sogar erst einmal eine Servicenummer an, um zu erfahren, ob für ein Gespräch zu einem bestimmten Anbieter ein Zuschlag pro Minute fällig wird.



Michael Bobrowski vom Bundesverband der Verbraucherzentralen bestätigt dies: „Die Discount-Tarife haben die Situation noch verschärft.“ Simyo, blau, simply und klarmobil sowie die Lebensmittelkonzerne mit ihren günstigen Angeboten seien mitverantwortlich. Hinzu kommen neue Paketangebote, die Mobilfunk, Festnetz und Internet-Zugang über DSL bündeln. Doch auch diese machen die Landschaft noch nicht übersichtlicher. „Einfache Preisstrukturen mit wenigen wichtigen Preispunkten wie Volumenpakete oder Entfernungszonen gibt es noch nicht“, so Khorshed im Gespräch mit pressetext. „Angesichts der großen Vielfalt versuchen die Anbieter, alle möglichen Differenzierungen zusätzlich einzuführen. Staffelungen gibt es nach Sekunden oder Minutentaktung, Entfernungszonen oder Zeiten. Das ist nicht zeitgemäß,“ so das Resümee des Experten für Abrechnungsdienstleistungen. Ab einem gewissen Punkt verstehe keiner mehr die Tarife.


Von Gunnar Sohn


Quelle:
Online-Nachrichtendienst, NeueNachricht, www.ne-na.de, medienbüro.sohn, Ettighoffer Str. 26 A, 53123 Bonn, oder Fax: 0228 - 620 44 75