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(Un)Wort des Jahres sagt mehr über uns aus, als uns wohl bewusst ist

Von Beziehungen und Widersprüchlichkeiten
Stefan Häseli | 31.01.2018
Das Wort des Jahres 2017 ist mit ‚Jamaika-Aus’ vor ‚#MeToo’ und ‚Ehe für alle’ ebenso gekürt wie das Unwort des Jahres, das ‚Alternative Fakten’ lautet. Was einerseits eine immer wieder spannende Kür neuer Wortschöpfungen darstellt, ist für Kommunikations-Junkies andererseits ein ultimativer Beweis dafür, dass „Sprache“ lebt.

Das Wort des Jahres: Jamaika-Aus
Tatsache ist: Was oft gesagt wurde, muss irgendwie beschäftigen. Erlauben solche Stichworte den wohl kürzesten Rückblick des Jahres, geben sie aber auch gar nicht so kurze Trends in gesellschaftlichen Fragen wieder. Doch schauen wir uns zunächst noch einmal die am häufigsten verwendeten Wörter des Jahres an: Ob ‚Jamaika-Aus’, ‚#MeToo’ oder ‚Ehe für alle’ – sie haben alle etwas gemeinsam, denn es geht um (unsere) Gemeinschaft. Um das zusammen Regieren (oder halt nicht), um „Ich auch“ und die ausgelöste Solidaritätswelle und schließlich mit der „Ehe für alle“ um einen Mikrokosmos von gelebter Gemeinschaft im kleinsten Rahmen.

Darüber nachdenken, was uns ausmacht
Vielleicht gibt uns das den Anstoß, wieder einmal darüber nachzudenken, was uns ausmacht. Das ist übrigens weder neu, noch revolutionär: Der Mensch ist ein Beziehungswesen. Die Frage, die sehr oft von Menschen gestellt wird „was habe ich davon“ kehre ich bewusst in Gesprächen schon einmal um „was kannst du denn zur Gemeinschaft beitragen?“. Anschließend gibt’s – testen Sie es aus – immer spannende Diskussionen. Doch halten wir noch einmal fest: Wir sind angelegt auf Beziehungen. Das heißt nicht, dass jeder von uns den gleich starken "Drang" für Beziehungen hat. Die einen leben davon, mit anderen zusammen zu sein und blühen erst dann richtig auf, wenn sie jeden Abend bis Mitternacht mit möglichst vielen Menschen in einer Gemeinschaft verbringen können. Andere wiederum tun sich eher schwer damit, ständig andere um sich herum zu haben, sie schätzen es ruhig und beschaulich. Dennoch sind wir alle als Menschen Beziehungswesen. Wir brauchen die Ergänzung und Korrektur durch andere, weil auch Lernen und Wachstum immer über Gemeinschaft erfolgt.

Das Unwort des Jahres: Alternative Fakten
Vom Wort zum Unwort des Jahres. Dabei handelt es sich im Grunde genommen sogar um zwei Worte: ‚Alternative Fakten’. Die Begründung dazu: "Es ist der verschleiernde Ausdruck für den Versuch, Falschbehauptungen als legitimes Mittel der öffentlichen Auseinandersetzung salonfähig zu machen“. Vordergründig ist klar, wem wir das zu „verdanken“ haben. Erfunden bzw. wirklich in geballter Masse in den Twitterkanal gepufft hat den Begriff Donald Trump. Seines Zeichens präsidialer Twitter-König der Welt und ganz nebenbei noch amerikanischer Präsident. Faktisch der wohl mächtigste Mann auf des Erden Runds schaut also am Morgen Fernsehen und zwanzig Minuten später twittert er um den Globus. Er bildet sich trotz einem milliardenschweren CIA keine fundierte Meinung, sondern glaubt das, was im TV kommt. Und obwohl sie kein öffentliches Amt haben und schon gar nicht demokratisch gewählt sind, werden besagte TV-Redakteure klammheimlich zu den mächtigsten Leuten der Welt.

Widersprüchlichkeiten rund um den Globus
Die im Alltag gesprochene Kommunikation ist immer auch ein Gradmesser dessen, was in der Gesellschaft gerade läuft. Die im Alltag benutzten Worte sind die feinen Fensterscheiben des globalen Zustandes. Denn Alternativ und Fakten passen so gut zusammen wie Kuh und Flugzeug. ‚Alternative Fakten’ macht so viel Sinn wie „fliegende Kuh“, nämlich keinen. Entweder ist etwas eine Alternative oder ein Faktum. Beides zusammen bringt allerdings auch die laufenden Widersprüchlichkeiten zum Ausdruck, die im Moment den Globus wie ein Burglind-Sturm (... wobei der Wortteil „Burg“ ja so überhaupt nicht auf etwas derart Dynamisches wie einen Sturm passt) umwinden. Dabei beginnt es ja bereits beim Begriff „UnWORT des Jahres“. Mit ‘Alternative Fakten’ werden erstmals zwei Worte zu einem Unwort gekürt. Ja, entweder küren wir ein Wort oder einen Begriff. Aber ein Wort ankündigen, und dann zwei küren, ist ein Widerspruch. Aber es geht ja noch weiter:
Die Globalisierung wächst. Google, Facebook und Co. machen die Landesgrenzen zur Nebensächlichkeit, die jedem Geographie-Lehrer den Job kosten könnte. Im gleichen Zeitraum legen sich nationalistische Bewegungen ein schickes Mäntelchen um und übernehmen subtil die Macht.
Unternehmen machen eine Werbekampagne „Lieber Kunde, so viel waren Sie uns noch nie wert“ und streichen gleichzeitig das kundennahe Filialnetz zusammen.
Eine Bildungsreform jagt die nächste, aber die schulischen Leistungen werden immer schlechter.

Es ist wohl schon so: Jede Gesellschaft hat das (Un)wort des Jahres, das es verdient. Aber – und das ist die gute Nachricht – jede Gesellschaft hat auch die Möglichkeit, sich selbst weiter zu entwickeln. Ich bin gespannt auf die nächsten Wörter, Unwörter und was ich sonst noch alles so in der S-Bahn und in Diskussionen höre ...
Stefan Häseli
Über den Autor: Stefan Häseli

Stefan Häseli regt als internationaler Speaker dazu an, wirkungsvolle Kommunikation im Alltag mit Spaß zu erleben.