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Spitzenleistung: Leicht oder schwer?

Kontra-intuitiv, aber wahr: Wir lernen und wachsen in schwierigen, herausfordernden Umgebungen viel besser, als in leichten, warmen, schönen!
Jörg Schneider | 03.05.2013
Tina Seelig ist die Executive Directorin des Standford Technology Ventures Program (nebenbei einer der vielen Gründe, warum im Silicon Valley immer noch mehr Technologie-Startups geboren werden als in ganz Deutschland zusammen). Sie ist damit auch eine der vielen außerordentlich erfolgreichen und kompetenten Frauen in sehr verantwortlicher Positionen (und damit äußere ich mich nicht weiter zu der leidigen Kindergarten-Debatte um Frauenquoten). Tina hat dazu natürlich ein sehr interessantes Buch geschrieben (für alle, die tiefer einsteigen möchten).

Wenn Studenten über den wunderschönen Campus der Stanford University im kalifornischen Palo Alto schlendern um zur ersten Klasse mit Tina zu gelangen, ahnen sie meist noch nicht, dass sie zuerst einmal eine Runde Scrabble spielen dürfen.
Genau wie wir das früher als Kinder mit Monopoly gemacht haben, variiert sie dabei die Regeln: Manchmal macht sie sie schwerer, manchmal leichter. Typischerweise atmen die Studenten auf und freuen sich, wenn die Regeln etwas gelockert werden (mehr Buchstaben, Eigennamen und internationale Wörter erlaubt, etc.) und jammern herum, wenn sie die Regeln sehr schwer macht. Wahrscheinlich würden die meisten von uns annehmen, dass die Studenten bessere Ergebnisse erreichen, wenn die Regeln nicht zu eng gezogen sind und sie damit mehr Freiheiten haben.

Weit gefehlt!
Interessanterweise scheint das Gegenteil der Fall zu sein: Je enger Tina die Grenzen zieht, desto bessere Leistungen (mehr Punkte, kreativere Worte) bringen die Probanden. Die engeren Regeln scheinen sie dazu zu treiben, tiefer in sich zu gehen und kreativer nach Lösungen zu suchen.

Tina Seelig’s Experiment ist äußerst interessant, widerspricht es doch den gängigen Annahmen zum Thema Kreativität: Dass wir Menschen umso kreativer (oder auch leistungsfähiger) werden, je mehr Freiheiten wir haben und je weniger Regeln existieren. Dieses Experiment scheint das Gegenteil zu zeigen: Dass wir Menschen gerade in schwierigen Situationen am kreativsten sind, zu den besten Lösungen gelangen.

Das gleiche Prinzip sehe ich auch beim Thema Spitzenleistung: Sind die Sportler am erfolgreichsten, denen man maximale Freiheiten gibt und beste Trainingsbedingungen? Wenn wir uns nur einen Bereich anschauen, mit dem ich mich etwas auskenne (Laufen): Offenbar nicht! Auch hier wird das Gegenteil gezeigt: Egal ob auf der Langstrecke oder beim Sprint – die besten Athleten kommen aus den schwierigsten Bedingungen. Auf der Langstrecke sind es regelmäßig die ostafrikanischen Läufer, die eingepfercht in einfache Hütten in Iten/Kenia zusammen mit hundert anderen hungrigen schnellen Läufern täglich drei Mal brutal hart an sich arbeiten. Im Sprintbereich sind es immer wieder die gleichen Jamaikaner, die alle im selben Club zusammen trainieren.

Hier wird ein weiteres Prinzip von Spitzenleistung sichtbar: Peer Pressure (Gruppendruck)! So gut wie nie werden Höchstleistungen von einsamen Wölfen erbracht, die für sich allein zurückgezogen trainieren. Fast immer bedarf es einer starken, ermutigenden, fordernden Gruppe, um das beste aus sich herauszuholen.

Wir halten fest: Nicht leichter müssen wir es uns (und vor allem unseren Kindern) machen, sondern schwerer!
http://www.joergschneidertraining.de/leicht-oder-schwer/