print logo

Gewohnheiten verändern

„Wir sind, was wir fortwährend tun“ sagt schon der Volksmund. Gute und nicht so gute Gewohnheiten machen uns als Menschen aus.
Jörg Schneider | 18.06.2013
Gewohnheiten machen uns als Menschen aus. „Wir sind, was wir fortwährend tun“, sagt denn auch der Volksmund.

Will ich immer genau der Gleiche bleiben, der ich jetzt schon bin? Oder will ich mich verändern, bin aber nur noch nicht ganz bereit, meine (vielleicht) sub-optimalen Gewohnheiten zu verändern? Vielleicht geht es mir ja, wie den meisten Menschen: Ich habe ein Bild eines besseren Selbst irgendwo in den tiefen Windungen meines Gehirns abgespeichert. Der Geist ist zwar willig, aber das Fleisch ist schwach…
Eigentlich würde ich gern ein richtig guter Musiker, Maler, Athlet, Ehemann, Ehefrau, Vater, Mutter, Chef, Autor, Designer, Programmierer, Reisender, Zimmermann, Gärtner oder Unternehmer sein. Ein Experte in irgend etwas. Oder einfach nur ein besserer Mensch?
Wie gelangen wir nun von A nach B – von dort wo wir momentan stehen zu unserem Traumziel? Schreiben Sie vielleicht Ihren Wunsch auf einen Zettel, packen ihn in eine Flasche und senden ihn um die Welt? Schreiben Sie ihn in Ihr Tagebuch mit der Hoffnung, dass er sich schon irgendwie von selbst erfüllt?
Dieser Wunschglaube scheint ein weit verbreitetes Phänomen zu sein. Wünsch‘ Dir einfach etwas „beim Universum“ und – knuff, puff, ding-dong – wird es erfüllt. Wenn Sie auch an den Osterhasen glauben, dann kann Ihnen auch dieses Buch nicht helfen. Streng genommen kann Ihnen dieses Buch ohnehin nicht helfen. Ich kann Ihnen nicht helfen. Sie können Sie sich nur selbst helfen. Allerdings gibt es ein paar Tipps und Tricks.
Wir sind uns also einig: „Wünsch Dir was“ wird nicht funktionieren! Der nächste Tipp selbsternannter Selbsthilfe-Gurus ist: „Schreiben Sie es auf!“ Sobald Sie es nur aufschreiben, wird sich sogleich alles ändern. Sicher sind Sie inzwischen alt genug und mit genügend Lebenserfahrung ausgestattet, dass Sie diese brillante Technik bereits erfolglos ausprobiert haben. Das ist zwar schon deutlich besser als „Wünsch Dir was“, aber löst die Probleme der meisten Menschen nicht nachhaltig. Was also tun?

Die Kurz-Variante:

1. Klein anfangen.
2. Auf eine Sache konzentrieren.
3. Achtsam sein und an den kleinsten Fortschritten erfreuen.
4. Dankbar sein und jede erfolgreiche Gewohnheitsänderung feiern.

„Eine Gewohnheit wirft man nicht einfach aus dem Fenster. Man muss sie die Treppe hinunter prügeln. Stufe für Stufe.“
Mark Twain


Die Lang-Variante:

1. Schritt für Schritt mit nur einer Sache, die Sie verändern wollen. Sie können diese Regel brechen – seien Sie nur nicht überrascht, wenn‘s schief geht. Gehen Sie (besonders zu Beginn) erst zur zweiten Gewohnheitsänderung über, wenn Sie die erste abgeschlossen haben!
2. Beginnen Sie zuerst ganz klein! Ganz klein! Ich schreibe mir zwar die Finger wund und rede mir den Mund fusslig, aber trotzdem hält sich keiner an diese simple Regel. Es ist zum Haare ausreissen (deshalb habe ich schon kaum mehr welche)!Wenn Sie beispielsweise Sport/Bewegung in Ihren Alltag integrieren wollen, dann fangen Sie in Gottes nahmen mit 20 Minuten an. Wenn das zu viel ist, beginnen Sie mit zehn, sonst mit fünf. Wenn Sie nicht einmal einen korrekten Liegestütz schaffen, machen Sie die Oma-Variante (es sieht ja niemand zu). Ziel muss es sein, es zu tun. Machen Sie es sich so einfach, dass Sie keine Ausreden mehr finden können, es nicht zu tun. Auch wenn Sie es für völlig lächerlich halten – wichtig ist, dass Sie es tun! Das ist viel wichtiger, als wie viel Sie tun. Nebenbei wären einige erstaunt, wie viel man mit nur 2 x 20 Minuten Sport pro Woche schon erreichen kann. Lebensverändernd!
3. Gewohnheiten lassen sich viel leichter durch die Macht der Rituale erreichen. Also nutzen Sie Rituale! Machen Sie beispielsweise was auch immer Sie verändern wollen zur gleichen Tageszeit in der gleichen Umgebung, vielleicht mit den gleichen Menschen. Das ist nebenbei eine der Ausnahmen, die ich auf der vorigen Seite ansprach: Wenn Sie sich mit einer Gruppe gleichgesinnter verabreden können (gleicher Ort, gleiche Zeit), dann flutscht das wie von selbst!
4. Achten Sie auf Ihre negativen Gedanken! Die meisten Menschen unterschätzen bei weitem, wie viele negative Gedanken sich üblicherweise täglich ein-schleichen. Besonders in zwei Situationen kann uns unser innerer Schweinehund einen üblen Streich spielen: (1) Wenn wir mit einer Sucht aufhören wollen (z.B. Rauchen) – „Ach komm‘ schon, nur eine einzige Zigarette.“ und (2) wenn wir eine neue positive Gewohnheit verankern wollen (z.B. Laufen) – „Ist es diese Schinderei wirklich wert?“, „Was willst Du Dir eigentlich beweisen?“ Seien Sie ehrlich zu sich selbst: Wie oft haben solcherlei Gedanken Sie von Besserem abgehalten? Lassen Sie sie ziehen wie die weißen Wolken am Himmel. Es sind nur Gedanken. Seien Sie wachsam und lassen Sie sich Ihr Leben nicht von ihnen kaputt machen!
5. Denken Sie nicht „Ich reisse mich jetzt zusammen und verweigere mich dieser einen Zigarette“ oder so etwas. Die neue, positive Gewohnheit, die Sie in Ihrem Leben verankern bringt Sie nicht am anderen Ende des Regenbogens ins gelobte Land. Ihre neuen positiven Gewohnheiten sind Ihr neues, besseres Leben! Ziel sollte es sein, so rasch wie möglich den Spaß, die Freude, ja den Genuss dieser neuen Gewohnheit auszukosten. Wie allgemein im Leben, sollte der Weg das Ziel sein, nicht irgendein fernes Ziel.
6. Was passiert, wenn Sie schwächeln? Für diesen Fall (der sich öfter zeigt, als den meisten lieb ist) sollten Sie einen Plan haben. Seien Sie darauf vorbereitet, dass es passieren kann und schmeißen Sie dann nicht die Flinte ins Korn, nur weil Sie einen schlechten Tag hatten oder Ihnen dieses eine Mal etwas dazwischen gekommen ist. Wir sind alles nur Menschen – seien Sie tolerant zu sich! Plan A sollte auf jeden Fall sein, sofort wieder zu starten.
7. Übernehmen Sie Verantwortung! Sie sind sich allein gegenüber Rechenschaft schuldig. Erfahrungsgemäß kann es aber sehr hilfreich sein, wenn Sie einen Wetteinsatz riskieren, der Ihnen wirklich weh tut. Die erste Stufe ist, es offen auszusprechen. Das reicht schon für viele als unterschwelliges Druckmittel sich selbst gegenüber: „Wenn alle Welt weiß, das ich xy machen will und es dann wieder nicht gebacken bekomme – wie stehe ich dann da?“ Die verschärfte Version ist, dass Sie tatsächlich Geld einsetzen. Entweder versprechen Sie einem Freund einen gewissen Betrag, den Sie an ihn auszahlen, sollte Sie schwach werden, oder gehen einen Schritt weiter und setzen öffentlich einen Betrag für eine Sache, die Ihnen sehr widerstrebt (z.B. als Grünen-Mitglied eine 2000 €-Spende an die NSU oder sowas). Mittlerweile gibt es diverse Internet-Portale, die Ihnen gern bei diesem Thema helfen (z.B. www.habitforge.com).

Aber was ist denn der größte Feind von Gewohnheitsveränderungen? Was hält uns tatsächlich davon ab, unsere als nicht förderlich erkannten Gewohnheiten radikal von jetzt auf eben umzukrempeln? Es ist einmal mehr unsere Einstellung. Daher ist sicher einer der besten Tipps, die ich zum Thema besseres Leben im Allgemeinen und einschränkende Gewohnheiten im Spezielle geben kann:

Hören Sie auf, die neue, bessere Gewohnheit als etwas zu betrachten, dass Sie tun müssen und beginnen Sie damit, sie als etwas zu begreifen, das Sie tun dürfen!

Die Betonung liegt hier deutlich auf müssen versus dürfen. In dem Moment, in dem Sie die Freiheit spüren, etwas verändern zu dürfen, sich zu einem besseren, effektiveren Menschen transformieren zu dürfen, sieht die Welt sofort ganz anders aus. „Super Idee,“ denken Sie jetzt vielleicht, „aber wenn es so einfach wäre…“. Das Geheimnis ist: Es ist einfach. Es wird nur dadurch schwer, dass wir es schwer machen.
Ein Beispiel soll dies illustrieren: Wie Sie zwischenzeitlich mitbekommen haben, treibe ich weit überdurchschnittlich viel Sport. Wie Sie sich denken können, spielt man in dieser Liga nicht, in dem man alle zwei Wochen eine halbe Stunde joggen geht. Wie machen es nun tausende „Verrückte“, die jährlich an so brutalen Rennen wie IRONMAN® oder Ultramarathons oder dem Race Across America (RAAM) teilnehmen. „Das kann doch gar keinen Spaß machen“, höre ich einige von Ihnen sagen. Doch – genau das tut es! Diese Menschen haben eine gänzlich andere Einstellung zum Thema Sport und Leistung als der Mainstream der Leute da draußen. Während die Masse der Menschen sich – getrieben von eigenen oder externen Erwartungen – genötigt fühlt, etwas zu verändern, entschließen sich diese Menschen freiwillig und sehen sich privilegiert, Sport treiben zu dürfen. Wenn Sie damit beginnen, zu sich selbst zu sagen: „Ich muss endlich mit dem Laufen anfangen“ oder „Ich muss jetzt endlich die überflüssigen 15 Kilo abnehmen“ legen Sie das Ganze automatisch in der Schublade Zwang ab. Und das sollten Sie nicht! Alles, was wir tun, sollte uns (in großer Linie) Spaß machen. Wenn wir die Dinge nur aus Zwang oder Pflichtgefühl heraus machen, hören wir damit auf, sobald unser Wille aufgebraucht ist oder wir einen schwachen Moment haben. Dies ist nebenbei einer der Hauptgründe, warum Diäten nicht funktionieren. Sie sollten meine Laufgruppe beim „Langen Lauf“ am Sonntag morgen sehen! Da sehen Sie niemanden, der sich mühevoll, müde und mit hängenden Schultern zu dieser brutal harten Trainingseinheit schleppt. Es gibt dort keinen Zwang. Jeder Einzelne ist da, weil er selbst sich freiwillig dafür entschieden hat. Lauter glückliche Gesichter. Und das Beste: Über die nächsten drei Stunden ändert sich das Bild nicht. Sowohl während des Laufs, als auch danach fühle sich alle gut und haben Spaß an der Sache. Natürlich gibt es den einen oder anderen harten Moment. Aber alle haben gelernt, dass diese harten Momente a) vorübergehender Natur sind, b) man sich hinterher besser fühlt, wenn man die Schwierigkeiten überwunden hat und c) dass gerade dieser Stress einen besser und härter macht (was bei diesen ambitionierten Athleten der Sinn des Trainings ist).
Meine These ist also: Wir können aus praktisch allem ein „ich darf das“ machen, statt uns mit einem „ich muss das“ selbst unnötig zu quälen.