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Wie Sie einen Blackout überwinden und für sich nutzen können

Ein Blackout ist der Albtraum vieler Redner. Dabei ist es vor allem diese Bewertung, die ihn bedrohlich wirken lässt.
René Borbonus | 26.02.2014
„Hat jemand Notizen gemacht?“
Wie Sie einen Blackout überwinden und für sich nutzen können


Sie finden, ein Blackout ist unangenehm? Da kann ich Ihnen nicht widersprechen; es gibt schönere Momente im Leben eines Redners. Manche behaupten sogar, es gebe nichts Schlimmeres. Ihnen möchte ich dann doch widersprechen: Ein Blackout ist halb so wild. Erstens kann das Publikum sich nach einer guten Rede in aller Regel nicht einmal mehr daran erinnern. Und zweitens kann man aus einem Blackout sogar einen Vorteil ziehen, wenn man sich nicht aus der Ruhe bringen lässt.
Es gibt viele Gründe, warum einem Redner der rote Faden reißen kann. Lampenfieber kann dazu führen. Manchmal werden wir abgelenkt – von einer schwierigen privaten Situation oder auch von einem Zwischenruf aus dem Publikum. Stress kommt als Grund in Frage, und Müdigkeit ebenso. Jeder dieser Gründe kann jeden treffen, der vor Menschen spricht. Tatsächlich passiert das früher oder später auch vielen Star-Rednern einmal. Trotzdem ist mir kein Fall bekannt, wo ein Blackout eine Rednerkarriere beendet hätte.
Bevor ich Ihnen also einige Tipps gebe, wie man einen Texthänger überwinden oder sogar nutzen kann, um zu glänzen, möchte ich Sie bitten: Machen Sie sich locker. Der sicherste Weg in den Blackout ist nämlich die Angst vor dem Blackout. Belastet auf die Bühne zu gehen ist generell die ungünstigste Voraussetzung für eine gute Rede. Sparen Sie sich also diese zusätzliche Belastung – sie ist unnötig. Denn wenn es doch einmal passiert, gibt es einfache Notfall-Strategien, die nicht nur die Situation retten, sondern Sie dabei auch noch gut aussehen lassen.

Notfall-Strategie 1: Den Blackout als Pause inszenieren
Ob Sie es glauben oder nicht: Sie haben viel Zeit, um auf einen Blackout zu reagieren. Ein Texthänger fühlt sich für den Redner schlimmer an, als er ist, weil er für ihn eine gefühlte Ewigkeit dauert. Als Redner spüren Sie den Druck abzuliefern. Der Stressfaktor Ihres Publikums hingegen liegt zum gleichen Zeitpunkt irgendwo auf der Skala zwischen konzentriertem und unaufmerksamem Zuhören (in Ihrem Fall selbstverständlich Ersteres). Mit anderen Worten: Das Publikum ist entspannt. Es ist nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen – schon gar nicht durch eine kleine Pause. Eine Unterbrechung von bis zu drei Sekunden wird von den Zuhörern gar nicht als Ausfall wahrgenommen, sondern als wirkungsvoller Akzent innerhalb der Rede. Kleine Pausen sind nicht böse. Kleine Pausen sind der Freund des Redners.
Wenn Sie also einmal nach der richtigen Formulierung suchen oder den Faden verloren haben, gehen Sie ruhig erst einmal drei Sekunden in sich – Ihr Publikum hat gerade nichts anderes vor. In dieser Zeit können Sie entscheiden, wie Sie weitermachen. Entweder fällt Ihnen wieder ein, was als nächstes kommt; das ist der Regelfall, denn Sie sind ja gut vorbereitet. In diesem Fall schauen Sie ins Publikum und machen Sie ungerührt weiter. Dann wird der Blackout als inszenierte Pause wahrgenommen, und tut der Aufmerksamkeit sogar gut.
Wenn die Gedächtnislücke auch nach drei Sekunden noch so hartnäckig ist, dass Sie sich fragen, warum es auf Rednerbühnen nie einen Souffleurkasten gibt, müssen Sie allerdings handeln. Ein Drama ist dann jedoch immer noch nicht passiert: Schalten Sie einfach um auf eine der folgenden Notfall-Strategien.

Notfall-Strategie 2: Aufs Kurzzeitgedächtnis zurückgreifen
Wenn der rote Faden auch nach einer kurzen Pause nicht wiederkommen will, sollten Sie Ihr Gedächtnis nicht gleich verfluchen. Geben Sie Ihrem Gehirn eine Chance – es hat schließlich nie Urlaub. Und genau diesen Umstand können Sie sich nun zunutze machen, indem Sie auf Ihr Kurzzeitgedächtnis zurückgreifen. Das Kurzzeitgedächtnis speichert seine Informationen im rein elektrischen Teil unseres Gehirns, in dem keine chemischen Veränderungen stattfinden; es bleibt daher von Emotionen wie Angst oder Sorge weitgehend unbeeinflusst.
Dafür, dass wir bei einer Rede im Normalfall sinnvolle Sätze formulieren können, ist unser Ultra-Kurzzeitgedächtnis zuständig. Es sorgt dafür, dass wir kontinuierliche Handlungen ausführen können. Ohne das Ultra-Kurzzeitgedächtnis könnten wir praktisch keine alltägliche Handlung ausführen. Wir würden zum Beispiel zum Telefon greifen um jemanden anzurufen und wüssten im nächsten Moment schon nicht mehr, wen wir eigentlich sprechen wollten und was der Hörer an unserem Ohr zu suchen hat. Das Ultra-Kurzzeitgedächtnis speichert Informationen nur für etwa zwei Sekunden. Wenn Sie also eine Pause von drei Sekunden eingelegt haben, um sich in Ihrer Rede zu orientieren, ist hier nichts mehr zu holen.
Allerdings hat das Ultra-Kurzzeitgedächtnis, bevor es sich mit der nächsten Information beschäftigt, noch ein Signal an das Kurzzeitgedächtnis gesendet, dass die anstehende Aufgabe weiterer Bearbeitung bedarf. Auf diesen Teil des Gedächtnisses können Sie nun zurückgreifen, um wieder ins Spiel zu kommen. Das Kurzzeitgedächtnis weiß nämlich noch, was Sie Ihren Zuhörern bisher erzählt haben. Und weil Wiederholung auch gut für das Gedächtnis Ihres Publikums ist, spricht nichts dagegen, eine kurze Schleife einzulegen.
Leiten Sie zunächst über mit einem Satz wie: „Ich fasse kurz zusammen, was wir bislang erfahren haben“ oder „Noch einmal die drei wichtigsten Punkte bisher“. Dann wiederholen Sie die vorangegangenen Aspekte. Zum einen hat diese Methode, wie auch Strategie 1, den Vorteil, dass der Blackout im besten Fall gar nicht als solcher wahrgenommen wird. Zum anderen führt die Wiederholung oft dazu, dass Sie Ihren roten Faden wiederfinden, wenn Sie sich den Gesamtzusammenhang Ihrer Rede auf diese Weise noch einmal vergegenwärtigen.
Bei der Wiederholungsschleife können Sie, je nach Redeanlass, auch Ihr Publikum involvieren. Bauen Sie spontan eine kleine Übung ein, wenn Sie mehr Zeit brauchen oder die Zuhörer beschäftigen wollen, während Sie einen Blick in Ihre Notizen werfen. Etwa so: „Tauschen Sie mit Ihrem Sitznachbarn darüber aus, welche Erfahrung zu unserem Thema aus den letzten Wochen Ihnen die wichtigste war. Anschließend bitte ich Sie, mir ihre Punkte aufzuzählen. Fangen Sie sofort an miteinander zu reden, denn Sie haben nur fünf Minuten.“
Sollten Sie nach dieser Schleife immer noch nicht weiter wissen oder Ihnen eine Wiederholung gerade nicht angebracht erscheinen, kann Strategie 3 greifen.

Notfall-Strategie 3: Mit Humor Sympathie-Punkte sammeln
Humor ist ein rhetorisches Mittel, das fast immer funktioniert und die meisten Reden aufwerten kann. Beim Blackout kann er zum Retter in der Not werden: Mit Humor können Sie die vermeintlich peinliche Situation tatsächlich zu Ihren Gunsten drehen.
Wenn Sie auf witzige Weise indirekt eingestehen, dass Ihnen gerade die Worte fehlen, ist das ein sehr menschlicher Zug. Das lässt Sie viel sympathischer wirken, als wenn Sie verbissen um den nächsten Satz kämpfen, damit Ihre Gedächtnislücke bloß nicht auffällt. Lächeln Sie und nehmen Sie es selbstironisch, wenn Ihnen im Moment einfach nicht mehr einfallen will, wie es weitergeht. Nutzen Sie die Gelegenheit, um Ihre Souveränität als Redner zu demonstrieren, indem Sie das Publikum trotz rhetorischer Unterbrechung weiter unterhalten.
Die Voraussetzung dafür ist, dass Sie sich auf den Fall eines „Blackout“ vorbereiten. Die kleine Investition an Zeit lohnt sich: Wenn Sie sich einmal Gedanken darüber gemacht haben, wie Sie mit dieser Situation umgehen können, verlieren Aussetzer ihren Schrecken – und kommen allein deshalb seltener vor, weil Sie keine Angst mehr davor haben werden.
Viele Top-Speaker haben für den Fall der Fälle ein vorbereitetes As im Ärmel. Phil Cass beispielsweise sagte einmal nach einigen Sekunden Stille, weil er nicht weiter wusste: „Pst! Gott spricht zu mir!“ Alan Pease spielte mit seiner Vergesslichkeit: „Meine Gedanken gehen gerade auf Wanderschaft, und meine Zunge folgt ihnen!“ Terry Paulson gab sich äußerst humorvoll geschlagen: „Manchmal bedeutet Schweigen sehr viel … aber nicht dieses Mal.“ Ein anderes Mal sagte er: „Wenn jemand von Ihnen mich schon einmal reden gehört hat, kann er zum nächsten Gedanken springen oder mir aus der Patsche helfen.“
Tony King fand ebenfalls einen witzigen Ansatz, um sein Publikum zum Lachen zu bringen und gleichzeitig einzubeziehen. Als er den Faden verloren hatte, fragte er die Zuhörer: „Hat jemand Notizen gemacht?“
Manche Redner legen sich auch eine witzige Erklärung dafür zurecht, warum sie ihre Notizen konsultieren müssen. Natürlich wird den Zuhörern klar sein, was das bedeutet, doch übel nehmen wird es Ihnen niemand. John Nisbet jedenfalls hatte die Lacher auf seiner Seite, als er seinem Publikum erklärte: „Mein Güte! Wie seltsam. Ich bin gerade in eine Zeitkrümmung geraten. Sicher haben Sie es nicht bemerkt, aber das letzte Mal, dass ich zu Ihnen sprach, war vor vier Tagen. Lassen Sie mich einen Blick in meine Notizen werfen …“
Auch ein Harald Schmidt kann einmal seinen nächsten Programmpunkt vergessen. So geschehen in einer Folge von „Schmidteinander“: Gemeinsam mit seinem Co-Moderator Herbert Feuerstein hatte Schmidt gerade die Preise für ein Gewinnspiel vorgestellt, während vor ihm in gespielter Zeitlupe eine Polonaise aus Volksmusikanten durchs Bild paradierte. Vorgesehen war, dass die beiden Moderatoren diese groteske Truppe ignorierten. Das gelang Schmidt, doch er war zu sehr darauf konzentriert und verlor darüber den Faden. Ablenkung ist ein häufiger Grund für einen Blackout, und ein solcher ereilte Schmidt nun. Doch der war souverän genug, die Gelegenheit zu nutzen, und ging in die Offensive.
Zunächst sah er zu Herbert Feuerstein, und fragte in aller Seelenruhe: „Was kommt jetzt?“ Doch Feuerstein hatte keine Antwort. Also dreht Schmidt sich grinsend zum Publikum, blickte an der Kamera vorbei in Richtung Aufnahmeleitung und wiederholte die Frage – dieses Mal gerichtet an die Aufnahmeleiterin, die das Storyboard in Händen hielt: „Nadine, was kommt jetzt? Nadine, komm mal her! Das ist unsere Aufnahmeleiterin Nadine, meine Damen und Herren!“ Feuerstein zog die zögernde Kollegin vor die Kamera. Schmidt nahm ihr das Storyboard aus der Hand, las darin und kommentierte: „Das wusste ich doch, natürlich!“ Das Publikum honorierte es mit Gelächter und Applaus. Schmidt rettete die Situation, indem er die Aufmerksamkeit geschickt von sich ab- und auf die Kollegin lenkte. Dabei verschaffte er sich die Gelegenheit, die Notizen zu konsultieren.
Jeder der Genannten ist ein Top-Redner, und bei keinem von ihnen hat sich daran wegen eines Blackouts etwas geändert. Im Gegenteil: Sie alle haben es geschafft, mit ihrer Gedächtnislücke sogar noch Sympathie-Punkte einzusammeln.

Zusammenfassung: Den Blackout nutzen
Sparen Sie sich die Angst: Ein Blackout ist halb so wild – wenn man darauf zu reagieren weiß. Nehmen Sie sich bei der Vorbereitung Ihrer nächsten Rede ein wenig Zeit dafür, sich einen Notfall-Plan zurechtzulegen. Folgende Tipps helfen Ihnen dabei, aus einem peinlichen Moment eine Gelegenheit zum Glänzen zu machen:
- Bleiben Sie ruhig – im doppelten Sinne: Eine Pause von bis zu drei Sekunden wird als Akzent in Ihrer Rede wahrgenommen. Sie haben Zeit!
- Vertrauen Sie Ihrem Kurzzeitgedächtnis: - Wiederholen Sie die bisherigen Kernaussagen oder leiten Sie eine Diskussion bzw. Übung ein.
- Nehmen Sie es mit Humor: Legen Sie sich eine witzige Bemerkung zurecht, die den Blackout selbstironisch thematisiert und Sie sympathisch wirken lässt.

Kommen Sie gut an!

Ihr
René Borbonus