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Es geht auch einfach - Fehler von großen Phrasendrescher vermeiden

Wenn Konzernchefs Reden halten, wünschen sich viele Zuhörer einen Dolmetscher.
René Borbonus | 14.08.2014
Es gibt Reden, die hätte man lieber nicht gehört. Damit meine ich nicht solche Entertainment-Feuerwerke wie Edmund Stoibers berühmte Transrapid-Rede. Die sollte man unbedingt gehört haben – allein schon, weil man daraus lernen kann, wie Rhetorik nicht funktioniert. Ich meine vielmehr wichtige Reden von Menschen in öffentlichkeitswirksamen Positionen, die ihr Publikum regelmäßig unwissender zurücklassen, als es vorher war.

Wenn die Präsentation eines Fachexperten ohne Redeerfahrung seine Kollegen animiert, mal wieder ihre Büroklammern durchzuzählen, kann man ihm das verzeihen. Doch für Konzernchefs gehört Reden zum Job. Von Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, darf man Verständlichkeit erwarten. Und man darf ihnen auch unterstellen, dass sie das wissen. Doch viele von ihnen ignorieren dieses Wissen beharrlich. Die Ansprachen von Konzernchefs zum Beispiel auf Jahreshauptversammlungen geraten regelmäßig zu Ratestunden. Wo es darauf ankäme, vor ihren Mitarbeitern ein leuchtendes Beispiel abzugeben, liefern sie stattdessen Linguistik-Forschern Beispiele für schlechten Stil. Und lassen eine gute Gelegenheit aus, sich öffentlichkeitswirksam zu positionieren.

Doch was macht die Reden der großen Bosse eigentlich so unverständlich? Welche Nebelbomben sorgen in ihren Vorträgen dafür, dass wir sie im Zweifel überhaupt nicht verstehen – und schon gar nicht richtig? Und wie können Sie als Redner vermeiden, die gleichen Fehler zu begehen und Ihrem Publikum nichts als Fragezeichen mit auf den Weg zu geben?

Nebelbombe 1: Schachtelsätze
Reto Francioni, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Börse AG, kann den Titel als König der Phrasendrescher für sich beanspruchen. Jedenfalls wenn man nach den Ergebnissen einer aktuellen Studie der Universität Hohenheim in Kooperation mit dem Handelsblatt geht. Er brachte es bei seiner Rede zur Hauptversammlung 2013 auf unfassbare 52 Wörter in einem einzigen Satz:
„Seit Einberufung der Hauptversammlung im Bundesanzeiger waren der festgestellte Jahresabschluss und der gebilligte Konzernabschluss, der zusammengefasste Lagebericht für die Deutsche Börse AG und den Konzern zum 31. Dezember 2012 sowie unser Vorstandsbericht nach Paragraph 289 Absatz 4 und 5 sowie Paragraph 315 Absatz 2 Nr. 5 und Absatz 4 des Handelsgesetzbuches zugänglich.“

Auf seine Botschaft reduziert bedeutet dieser Satz lediglich: „Unsere Zahlen waren pünktlich verfügbar.“ Ich unterstelle einmal, dass die Aktionäre das auch schon vorher wussten. Viele Worte helfen in der freien Rede eben nicht viel, sondern sorgen nur für Verwirrung.
Aus gutem Grund legten die Hohenheimer Forscher in ihrer Studie als Kriterium für maximale Verständlichkeit den Maßstab von Hörfunk-Texten an: Dort müssen den Redakteuren im Schnitt etwa sieben bis acht Wörter pro Satz reichen, damit die Hörer noch folgen können.
Warum also überfordert Francioni seine Zuhörer derart? Verschiedene Gründe sind denkbar. Einer ist, dass er gar nicht von jedem verstanden werden will. Ein anderer – weniger bedenklich, aber auch nicht erfreulich – ist das Dogma der Vollständigkeit. Das Redeskript eines Konzernchefs bei einem solchen Anlass ist im Zweifel ein juristisch relevantes Dokument. Es könnte später gegen ihn verwendet werden. Deshalb will er sichergehen, dass seine Argumentation lückenlos ist. Und zählt deshalb sicherheitshalber alle relevanten Paragrafen gleich mit auf. Verständlich, auf der einen Seite. Leider aber genau deshalb auch völlig unverständlich.
Auch wenn Sie sich absichern und viele Informationen unterbringen müssen: Mehrere kurze Sätze sind immer besser als ein langer. Und wenn es sich um unwichtige Informationen handelt wie in diesem Fall – lassen Sie sie lieber ganz weg, als wertvolle Redezeit darauf zu verschwenden. In der gleichen Zeit könnten Sie den Zuhörern nämlich etwas sagen, dass sie noch nicht wissen oder überall nachlesen können.

Faustregel Nr. 1 für Klartexter: In der freien Rede ist weniger mehr. Wer viel zu sagen hat, kann das dennoch in wenigen Worten pro Satz tun.

Nebelbombe Nr. 2: Zahlenwüsten
Im Gegensatz zu vielen anderen Vorstandschefs kann man Dieter Zetsche von der Daimler AG nicht vorwerfen, dass er zu übermäßig langen Sätzen neigt. In eine andere typische Falle tappt jedoch auch er: Seine Rede bei der Hauptversammlung über das Geschäftsjahr 2011 strotzte nur so vor Zahlen. Natürlich kommt eine solche Rede vor Aktionären nicht ohne Zahlen aus. Nur könnte sie gleichzeitig für ein breites Publikum interessant sein, wenn die Zahlen nicht für sich stünden. Ein Auszug aus Zetsches Rede:
„Unser Konzern-Umsatz stieg um 9 Prozent auf 106,5 Milliarden Euro. Unser EBIT lag bei 8,8 Milliarden Euro, aus dem laufenden Geschäft sogar bei 9 Milliarden. Das ist ein Plus von 20 bzw. 24 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Unser Konzern-Ergebnis fiel mit 6 Milliarden Euro um 29 Prozent höher aus als 2010. (…) Auch unsere Kapitalkosten haben wir 2011 klar übertroffen und damit deutlich Wert geschaffen: 3,7 Milliarden Euro Value Added – das ist fast eine komplette Milliarde mehr als im Vorjahr. Unsere Kapitalrendite lag bei knapp 20 Prozent, also signifikant über unserem Verzinsungsanspruch von 8 Prozent.“

Für einen Aktionär, der die Zahlen aus den Vorjahren vorliegen oder gar im Kopf hat, mögen das brauchbare Informationen sein. Für alle anderen ist dieses Zitat eine Zahlenwüste. Das Problem: Das Publikum schaltet ab, wenn sich in einer Rede Zahlen aneinanderreihen. Zahlen sind abstrakt, sie fesseln niemanden. Kunden, ja selbst Aktionäre begeistern Sie nicht allein mit Nullen und Einsen. Sondern damit, dass Sie den Erfolg auf greifbare Einheiten herunterbrechen und daraus eine Geschichte machen.
Ein Mann wie Dieter Zetsche hätte bei einer Hauptversammlung die Möglichkeit, sich auch an die Kunden und die Mitarbeiter des Unternehmens zu wenden. Er könnte dem Image der Marke Vorschub leisten, wenn er die Erfolge des Unternehmens und die Ziele für die Zukunft in verständliche Bilder fassen würde. Er könnte zum Beispiel erzählen, wie oft die bisher von seiner Firma gebauten Autos um den Erdball reichen würden. Er könnte die Geschichte eines bestimmten Kunden erzählen und an ihm zeigen, wie die Marke auf die Bedürfnisse neuer Käuferschichten eingeht – weil sich das demografisch rechnet. Oder er könnte zum Beispiel Wachstumsziele so veranschaulichen:
„Stellen Sie sich vor, Sie und ich fahren heute im neuen Mercedes-Roadster durch den schicken Vorort XY. Die Sonne scheint. Das Verdeck ist offen. Der Blick auf die idyllische Gegend wird durch nichts getrübt. Ganz entspannt lassen Sie den Blick schweifen. Und stellen fest, dass hier in jeder vierten Einfahrt ein Mercedes steht. Nun stellen Sie sich vor, wir machen den gleichen Ausflug durch dieselbe Nachbarschaft im Sommer 2015 noch einmal. Dann wird in dieser Nachbarschaft vor jeder zweiten Garage ein Mercedes stehen. Das ist unser Ziel.“
So würden abstrakte Zahlen wie die geplanten Absatzzahlen in bestimmten Sparten eines Unternehmens nicht nur greifbar, sondern wären im Gedächtnis der Zuhörer verankert. Was natürlich voraussetzt, dass der Redner das auch möchte…

Faustregel Nr. 2 für Klartexter: Zahlen können die Botschaft nur verstärken, wenn sie auf verständliche Einheiten heruntergebrochen und in lebensnahe Analogien oder Storys eingebettet sind.

Nebelbombe Nr. 3: Wortungetüme
Auch die Wortwahl vieler Chefs scheint nicht auf maximale Verständlichkeit, sondern auf eine Erweiterung des Duden-Wortschatzes abzuzielen. Die Hohenheimer Forscher zitierten die Konzernchefs in ihrer Studie mit Wortungetümen wie „Business-to-Business-to-Consumer-Wirtschaft“ oder auch „Nicht-Leben-Rückversicherungsgeschäft“.
Leider nehmen sich viele Manager auch weit unterhalb der Vorstandsebene ein Beispiel an derartigen Wortkreationen. Fachbegriffe und Kettenwörter gelten weithin als Kompetenzanzeiger. Deshalb sind Reden und auch Präsentationen oft nur so damit gespickt. Die Botschaft: Ich kenne mich aus, ich weiß, wovon ich rede, also zweifelt ja nicht an meinen Worten.
Ärgerlich ist daran, dass Redner sich auf diese Weise selbst eines größeren Wirkungskreises berauben. Ein breites Publikum wird von Fachchinesisch eher abgestoßen als beeindruckt sein. Denn was die Zuhörer nicht verstehen, das kann sie auch nicht begeistern. Genau darum jedoch geht es in der freien Rede: Was zählt, ist die Wirkung. Und eine maximal wirksame Rede ist vor allem verständlich, emotional und unterhaltsam. Fachbegriffe erfüllen keines dieser Kriterien. Auch in die Medien kommt man nicht mit Fremdworten, sondern indem man sich auffallend verständlich ausdrückt.
Und selbst, wenn Sie vor Kollegen sprechen: Die Fachbegriffe stehen Ihnen nur dabei im Weg, klare Botschaften auszusenden. Denn die leben von einer verständlichen Ausdrucksweise. Wenn Sie etwas zu sagen haben, stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel. Bringen Sie den Mut auf, verstanden werden zu wollen.

Faustregel Nr. 3 für Klartexter: Wirkungsvolle Botschaften sind grundsätzlich in einfache Worte gekleidet. Fachbegriffe aneinanderzureihen und Wortungetüme zu erfinden ist der Wirkung eines Redners auch in Fachkreisen abträglich.


Auf einen Blick:
Wie Sie sich verständlich ausdrücken
Der Autor der Hohenheimer Studie wurde von Spiegel online mit der Feststellung zitiert: „Viele Vorstandsvorsitzende denken vor allem an Analysten und Wirtschaftsjournalisten, wenn sie auf der Hauptversammlung sprechen. Sie vergessen, dass sie auch in die breite Öffentlichkeit wirken können.“
Diesen Hinweis an die Konzernbosse kann sich jeder Redner zu Herzen nehmen. Oder wollen Sie etwa freiwillig Ihre Zielgruppe auf Menschen einschränken, die brav auch noch für das größte Kauderwelsch applaudieren, ergo: Ihnen sowieso nicht richtig zuhören?

Wer seine Botschaften in einen Nebel von Endlossätzen, Zahlenwüsten und Wortungetümen kleidet, erweckt im schlimmsten Fall den Eindruck, dass er etwas zu verschleiern hat. Zumindest signalisiert er, dass es ihm egal ist, ob er verstanden wird.
Verständlich zu reden ist kein Zeichen für mangelnde Kompetenz, sondern die Basis für echte Wirkung. Beweisen Sie Ihren Mut, verstanden zu werden, indem Sie diese Faustregeln für Klartexter beherzigen:

• In der freien Rede ist weniger mehr. Brechen Sie kompliziertere Zusammenhänge in mehrere kurze Sätze auf und beschränken Sie sich möglichst auf circa acht bis zwölf Wörter pro Satz.

• Vermeiden Sie, dass sich Zahlen in Ihrer Rede häufen. Brechen Sie hohe Zahlenwerte in verständliche Analogien herunter, damit die Zuhörer sich etwas darunter vorstellen können.

• Fassen Sie Ihre Botschaften in möglichst einfache Worte. Fachbegriffe und Wortkonstruktionen schaden Ihrer Wirkung als Redner. Wenn sich etwas nicht einfach sagen lässt, ist es oft der Erwähnung nicht wert.

Kommen Sie gut an!

Ihr
René Borbonus





Quellen:
Dax-Chefs: Die schlimmsten Phrasendrescher, Spiegel online, 11. Juni 2013
Mehr über die Studie der Universität Hohenheim können Sie hier nachlesen:
www.uni-hohenheim.de/news/manager-im-verstaendlichkeits-check-sieger-ist-basf-chef-kurt-bock-schlusslicht-ist-reto-francioni-von-der-deutschen-boerse-ag-1