print logo

Politisch korrekt ist nicht automatisch ethisch korrekt

Politisch korrekt Argumente verschleiern nicht selten miese Absichten. Es sind nur semantische Verbrechen, die in der Sache keinen Deut helfen.
Ulf D. Posé | 02.04.2015
Vor kurzem wurden russische Aussiedler in ein stillgelegtes Seniorenheim einquartiert. Hermann Q. wohnt gleich nebenan. Vor 15 Jahren hat er dort sein Haus gebaut. Nun bemüht er sich darum, den Immigranten eine schnelle Integration in der Gemeinde zu ermöglichen. In der Bürgerversammlung ergreift er das Wort: „Wir müssen dafür sorgen, dass unsere neuen Mitbürger so schnell wie möglich Arbeit und eine Wohnung finden. Die Situation im Seniorenheim ist auf Dauer unzumutbar.“ Herr Q. erhält einigen Applaus für sein Statement. Er erreicht, dass der Bürgermeister verspricht, seinen politischen Einfluss geltend zu machen. Hermann Q. reicht das nicht. Er drängt auf eine Verbesserung der Wohnungssituation für die russischen Aussiedler. „Sie können doch nicht zulassen, dass unsere russischen Mitbürger auf Dauer im Seniorenheim bleiben. Sie müssen dafür sorgen, dass sie auf die Stadt verteilt werden. Sonst schaffen wir hier ein Getto, das der Integration nur schaden wird.“

Recht hat Hermann Q. Allerdings hat niemand nach seinem Motiv gefragt. Das kam erst im Gespräch mit einem Nachbarn heraus. „Wir müssen die Aussiedler unterstützen, sonst sitzen die Kinder alle in unserer Grundschule. Und bedenken Sie, welchen Einfluss das Aussiedlerheim auf die Grundstückspreise hat. Hier will doch niemand mehr wohnen.“

Sieh mal an, hier hat jemand seine wahre Gesinnung hinter politischer Korrektheit verborgen.
Nach ethischen Gesichtspunkten handelt es sich hier um Verlogenheit. Das kommt nicht selten vor. Man gibt sich uneigennützig, jedoch verbirgt sich hinter der politischen Korrektheit ein mieses Motiv.
Es ist sicher politisch korrekt, wenn jemand Handlungen und Ausdrucksweisen ablehnt, die Personen aufgrund ihrer Rasse, ihres Geschlechts, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht, ihrer körperlichen und geistigen Verfassung oder sexuellen Neigung diskriminieren könnten. Das erscheint nicht nur politisch, sondern auch ethisch korrekt zu sein. Nur, was haben wir daraus gemacht? Der „Krüppel“ wurde zum „Behinderten“ oder „Gehandicapten“, der „Schwarze“ zum „Farbigen“.

Die entscheidende Frage ist nur, ob diese semantischen Bedeutungsverschiebungen auch zu einem anderen Verhalten führen. Die neuen Bezeichnungen legen dies nahe – oft ist dies aber leider nur eine Art semantischer Täuschung. Oder Betrug. Der liegt immer genau dann vor, wenn nicht mehr danach gefragt wird, was in einer bestimmten Situation richtig ist, sondern nur noch festgelegt wird, wie eine Handlung sein muss, damit sie politisch korrekt ist. Das führt zu einer unethischen Verlogenheit, die man sehr gut hinter dem politisch korrekten Verhalten verstecken kann.

Doch dabei wird ein wichtiges ethisches Prinzip verletzt, nämlich: „Handle stets so, dass das Vertrauen in deine Handlungen eher gemehrt denn gemindert wird.“ Wie kann ich einem Menschen vertrauen, der unter dem Deckmantel ethisch und politisch korrekten Handelns die größten Schweinereien begeht?

Sie meinen, das sei offensichtlich? So einfach ist es nicht. Denken Sie nur daran, dass nicht wenige Bundesbürger es für ethisch verwerflich halten, wenn Unternehmer Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. „Arbeitnehmer werden abgezockt. Die Unternehmer zahlen Löhne, die eine Familie nicht mehr ernähren können“, sagt Andreas K. Er ist Betriebsrat in einem Großkonzern der Metall verarbeitenden Industrie. Seine Kollegen stimmen ihm zu. Ihre Haltung ist weit verbreitet. Über Unternehmer und deren politisch unkorrektes Verhalten zu schimpfen ist momentan politisch korrekt. Unternehmer bei Arbeitsplatzverlagerung unethischen Verhaltens zu bezichtigen ist derzeit politisch richtig. Was die Kollegen von Andreas K. dabei vergessen, ist, dass Ethik vor Staatsgrenzen nicht haltmacht. Es mag unpatriotisch sein, Arbeitsplätze zu verlagern, unethisch ist es deshalb noch lange nicht.

Ein Unternehmer, der für zwei in Deutschland entlassene Mitarbeiter im nahen Ausland vier oder gar sechs Arbeitskräfte einstellt, handelt möglicherweise viel ethischer, als man gemeinhin annimmt. Denn mit der Schaffung dieser Arbeitsplätze ermöglicht er mehr Menschen als hierzulande, ihre Existenz zu sichern. Somit ist es durchaus eine Frage der Ethik, wie man beispielsweise einem mexikanischen Arbeitnehmer erklären kann, dass in Mexiko keine neuen Arbeitsplätze entstehen, weil die ungleich teureren
Arbeitsplätze in Deutschland erhalten werden müssen – obwohl die mexikanischen Mitarbeiter vielleicht noch mehr zur Wertschöpfung beitragen als ihre deutschen Kollegen.

Gleichzeitig schauen Andreas K. und seine Kollegen aber sehr darauf, wo sie ein Schnäppchen machen können. Den Slogans „Geiz ist geil“ und „Ich bin doch nicht blöd“ können sie durchaus etwas abgewinnen. Kaufen sie eine neue Hi-Fi-Anlage, dann lassen sie sich gern vom Fachhändler beraten, bedanken sich auch artig für die gute Beratung – und kaufen das Gerät im Elektronikmarkt. Sie sind nicht bereit, mehr zu bezahlen als unbedingt notwendig. Für Beratung und Service wollen sie kein Geld ausgeben. Doch dass sie durch dieses Verhalten die Herstellerunternehmen zwingen, ihre Produktionskosten zu senken, bedenken sie nicht. Sondern schimpfen gleichzeitig über deren „Ausbeutermentalität“. Doch wenn ein Kunde nicht bereit ist, einen angemessenen Preis für ein gutes Produkt zu bezahlen, wie soll dann der Hersteller anständige Löhne zahlen?

Wir regen uns auf über Korruption, Arbeitsplatzverlagerung und Steuerhinterziehung,
beschäftigen aber gleichzeitig unsere Putzfrau, ohne Steuern zu bezahlen, und verhandeln mit dem Handwerker, ob die Reparatur unserer Wasserleitung nicht ohne Mehrwertsteuer und Rechnung bezahlt werden kann. Das ethische Prinzip „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ gilt scheinbar nur für andere, nicht für uns.

Elvira M. regt sich regelmäßig auf über die Teenies, die ihrer Meinung nach viel zu kurze Röcke tragen. Richtig in Rage kann sie dabei geraten. Als Unternehmerin regt sie sich allerdings nie darüber auf, wenn sie reichlich kurze Löhne zahlt: „Mindestlöhne sind Quatsch“, meint sie. „Ich zahle nur so viel, wie ich muss“, ist ihre feste Überzeugung. Dabei geht ihr nicht auf, dass zu kurze Röcke und zu kurze Löhne durchaus eine ethische Verbindung besitzen. Unmoral endet nicht bei ästhetischen Fragen, auch wenn es politisch korrekt sein mag, sich über zu kurze Röcke aufzuregen.

Es lohnt sich also zu fragen, ob das politisch Korrekte auch durch Handlungen gedeckt wird. Handlungen, die beim persönlichen Nutzen oder der eigenen Ideologie nicht haltmachen. Die auch an Staatsgrenzen nicht haltmachen. Und die nicht mit zweierlei Maß messen, wenn das gleiche Maß gefragt ist. Prüfen Sie selbst. Viel Spaß dabei.

www.posetraining.de