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Hirnforschung bestätigt Erfolg des Storytelling

Storytelling ist ein modernes Marketinginstrument und ein altes Rezept aus der griechischen Antike. Welche Rolle spielt dabei unser Gehirn?
Harald Kopeter | 16.07.2018
© iStock / Lorado
 

Die Informationsflut hat es mit sich gebracht, dass wir uns mit Filtern behelfen, damit wir uns nicht schon vor dem Frühstück die Decke wieder über den Kopf ziehen, um einem Burn-out zu entgehen. Wir vertrauen aber dem begeistert nacherzählten Kinotipp von Freunden auf Facebook, scannen Nutzerbewertungen, bevor wir ein teures Produkt kaufen, und glauben eher „echten“ Menschen, die uns etwas erzählen (nicht zufällig hat die Stammtisch-Meinung eine so hohe Wirkkraft). Werbe- und Marketing-Blabla wird demnach zunehmend ausgeblendet, denn was uns inhaltlich nicht nützt und uns im Leben nicht weiterhilft, bekommt keinen Platz in unserem Gehirn. Deshalb ist es für Unternehmen unumgänglich, Geschichten zu erzählen, wobei Authentizität das Zauberwort der Stunde ist. Echte Menschen erzählen echte Geschichten, das erhöht die Glaubwürdigkeit, Identifikation und Anteilnahme. Wir könnten uns nun auf die griechische Tragödie berufen und sagen: Die ist mehr als 2.000 Jahre alt und wirkt auch heute noch – warum auch immer, wir machen das jetzt auch. Oder wir schwenken in die moderne Wissenschaft, die nachweisen kann, wie unser Hirn tickt und warum sich Geschichten so gnadenlos schön in unseren Kopf und in unser Herz schmeicheln.

Eine Katastrophe!

Wir schlüpfen rein in die Sandalen und beginnen kurz und prägnant in der griechischen Antike, in der Aischylos, Sophokles und Aristoteles schon ziemlich den Durchblick hatten. Ihre Kerngeschichte funktionierte immer und zündete verlässlich bei den Zuschauerinnen und Zuschauern in den Sitzreihen: Die Hauptperson auf der Bühne gerät in einen Konflikt und steht Hindernissen gegenüber, eine Katastrophe lässt sich nicht abwenden. Die Zuschauer sollen Jammer und Rührung sowie Schrecken und Schauder durchleben – und das Ziel der Tragödie ist die Reinigung, die Katharsis von diesen Gefühlen beziehungsweise Erregungszuständen. Die alten Griechen schlurften in ihren Sandalen also geläutert und erleichtert nach Hause. Soweit so gut bekannt, denn nichts anderes erleben wir in jeder Hollywoodstory, die uns anrührt, und in jeder Youtube-Geschichte, die „hängenbleibt“ und vielfach in den sozialen Netzwerken geteilt wird. Worin nun liegt die Begeisterung für diesen Aufbau, warum fesselt uns eine Geschichte, die diese Merkmale aufweist, auch heute noch garantiert? Die Antwort fanden Hirnforscher. Sie stellten fest, dass beim Geschichtenhören unser ganzes Gehirn aktiv ist, sogar jene Regionen, die eigentlich nur dann arbeiten, wenn wir Ereignisse selbst erleben. In einer guten Geschichte sind wir also tatsächlich „mittendrin“. Kein Wunder, dass sich bei so vielen Kinobesuchern alle Schleusen öffnen, wenn das Traumpaar nicht zueinander findet. Ist man doch ein Teil dieser schicksalhaft-tragischen Liebesbeziehung! Was passiert dabei außerdem in unserem „Oberstübchen“? Menschen suchen in dem, was sie sehen, hören, erleben, einen roten Faden, einen Zusammenhang. Das heißt, unser Gehirn konstruiert sehr fleißig selbst Geschichten und fügt einzelne Teile zusammen. Es sucht sozusagen das sinnvolle Ganze. Ein Beispiel: 1. Hans sitzt vor dem Computer. 2. Auf dem Tisch ist Kaffee verschüttet, Teile einer Tastatur liegen herum. 3. Maria hebt alarmiert den Kopf. Drei zusammenhanglose Hinweise. Welche Geschichte konstruiert Ihr Gehirn damit? Sehen auch Sie vor Ihrem inneren Auge den erfolglosen, verzweifelten Schriftsteller, der seine Schreibblockade nicht mehr erträgt und seinen Zorn entlädt? Der die auf dem Schreibtisch stehende Kaffeetasse „wegwischt“, wie besinnungslos mit der Faust auf die Tastatur einhämmert und mit dem Lärm (ja, wir hören auch seinen mühsam erstickten Schrei) seine Lebensgefährtin Maria alarmiert, die – sie genießt bereits ihren Feierabend – im Wohnzimmer sitzt und den Kopf hebt. Sie denkt besorgt: „Oh mein Gott, er erträgt es nicht mehr. Diese Zweifel, diese Unsicherheit, es musste ja irgendwann einmal raus.“ Langsam steht sie auf, wagt es aber nicht, in Hans' Arbeitszimmer zu gehen, würde ihn aber gerne trösten, ihm wie immer Mut zusprechen. Ja, diese Blockade belastet auch schon seit langer Zeit die Beziehung … Spüren Sie, was passiert ist? Selbst wenn wir die drei Sätze in ihrer Reihenfolge vertauschen, bauen wir diese oder eine ähnliche Story zusammen. Wir können gar nicht anders! Wie sehr muss also ein Geschichte wirken, deren Verknüpfungen von vorneherein Sinn ergeben, einen Spannungsaufbau ermöglichen und dadurch zum Weiterlesen animiert? Der israelisch-amerikanische Psychologe Daniel Kahneman hat unser Gehirn in zwei Systeme unterteilt. System 1 ist für schnelle Eindrücke zuständig, spontane Gefühle, wir schätzen intuitiv Situationen ein. Es hilft uns zu überleben. System 2 geht weiter: Es ordnet ein, hier finden längerfristige Problemlösungen statt. „Es“ denkt weiter. Nun ticken wir aber so, dass System 1 dominiert, weil es ganz einfach schneller ist. Das heißt, wir beurteilen eine überraschende Situation mit System 1 (rasch, intuitiv, „aus dem Bauch heraus“) und unser System 2 erklärt dann mitunter dieses Urteil „vernunftbetont“ – manchmal selbst dann, wenn wir das Urteil Nummer 1 nach reiflicher Überlegung eigentlich revidieren müssten … Eine gute Story spricht in erster Linie System 1 an. Es liebt das Eingängige, gut Dargebotene, aber auch sinnvoll Geordnete (Carsten Rossi in: Storytelling, Verlag Hanser). Eine gute Story rührt uns emotional. Wir fühlen mit dem verzweifelten Hans und der besorgten Maria. Eine gute Story ist aber auch rational verknüpft. Emotion und Kausalität gehören zusammen (Baetzgen/Tropp: Brand Content, Verlag Schäffer/Poeschel).

Die Reise des Helden

Eine gute Story ist auch immer eine „Heldenreise“ – und hier sind wir wieder bei der griechischen Tragödie, die sehr früh und ohne wissenschaftliche Forschung erkannt hat, worauf es dem Menschen ankommt. Eine Held oder eine Heldin schafft auf gut marketingdeutsch „Touchpoints“, Berührungspunkte, weil er oder sie eine Identifikationsfigur für uns darstellt. Er oder sie begibt sich auf Abenteuerreise. Zurück zu Hans: Er schreibt wahrscheinlich an einem neuen Buch. Ein Hindernis, ein Konflikt taucht auf und muss überwunden werden. Schreibblockade! Identifikation: Wir alle kennen Motivationstiefs und Blockaden, die sogar unsere Beziehungen gefährden können. Eine Veränderung muss in die Wege geleitet werden, wer hilft dabei, die Hindernisse zu überwinden? Maria? Eine Gesprächstherapie? Ein Selbstmordversuch, der vom Verlag gnadenlos in der Öffentlichkeit breitgetreten wird und schließlich das Leserinteresse weckt? Das Ergebnis der Bemühungen ist im Idealfall ein Happy End. Auf alle Fälle entlässt uns die Geschichte „gereinigt“ (Katharsis). Die Erregungs- und Gefühlswogen sind wieder geglättet, wir verlassen aufatmend das Schlachtfeld/das Theater/den Kinosaal oder klappen das Buch zu, klicken das Video weg (bzw. teilen es zuvor). Hans hat einen Weg aus seinem Tief gefunden und stellt seinen neuen Roman der Öffentlichkeit vor. Alle klatschen, Vorhang, Standing Ovations, Hans überglücklich, Maria stolz und so weiter und so fort. Da Geschichten nicht nur unser Gehirn anregen und kreativ arbeiten lassen, sondern auch unser Verhalten beeinflussen, ist Storytelling eines der wirkungsvollsten Marketinginstrumente. Wir alle wissen, gute Storys werden nicht ausgeblendet – wir erinnern uns ein Leben lang an die Märchen unserer Kindheit –, sondern weiter verbreitet und tausendfach geteilt. Menschen wollen eine gute Story kennen. Sorgen wir dafür, dass die Menschen sie bekommen.