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Vom Purpose-Marketing zum Krisen-Gegenmittel

Jede Krise hat Gewinner: Drei To-dos, wie Unternehmen und Marken ihr Gegenmittel für Krisenzeiten entdecken, einsetzen und effektiv ausbauen.
Marle Janßen | 10.08.2020
Vom Purpose-Marketing zum Krisen-Gegenmittel © Mutabor
 

Viele ausgerufene Unternehmensvisionen der letzten Jahre schmückten sich mit der verheißungsvollen Dekaden-Zahl 2020. In 2020 sollten die visionsgetriebenen, zukunftsorientierten Pläne erlebbar, die Zielgruppen begeistert und neue Wachstumsmärkte erobert werden. In 2020 wollte man so aufgestellt sein, um die nächste Dekade erfolgreich zu meistern – am besten noch mit einer führenden Position.

Und dann kam alles ganz anders. Covid19 zieht durch die Welt. Kein Land, kein Ort, keine Branche, kein Unternehmen bleibt verschont. Es trifft alle. Alle werden durchgerüttelt. Auch die Welt der Marken.

 

Jede Krise hat Gewinner

Covid19 hat den Raum von Marken in kürzester Zeit verändert. Und zwar drastisch. Manchen Marken wurde der gesamte Vertriebskanal über Wochen genommen, anderen fehlten die Waren und Produktionsmöglichkeiten, um überhaupt vertreiben zu können.

Die digitalen Geschäftsfelder und solche Unternehmen, die eine digitale Fallback-Option integriert haben, waren klar im Vorteil – und sind es auch immer noch. Was nicht heißen soll, dass digitale Unternehmen und ihre Marken es leicht hatten.

Als Best Practices wurden schnell die Marken nach vorne gespült, die in kürzester Zeit reagierten. Die genau so schnell wie Covid19 sich verbreitete, ihren Kunden bedürfnisorientierte Lösungen anboten, die sie in ihrem neuen, beschränkten Alltag erreichten. Wie beispielsweise Lieferando, die die Option „kontaktlose Lieferung“ in ihrer Plattform integrierten. Audible, die kostenfrei unterhaltende und lehrende Inhalte für Kinder bereitstellten. Tesco, die exklusive Supermarkt-Öffnungszeiten für Risikogruppen anboten. Oder Telekom, die das publikumslose James Blunt Konzert in der Elbphilharmonie gratis live gestreamt haben.

 

Was machte diese Unternehmen und Marken so reaktionsschnell? Wie konnten sie so agil auf die plötzlichen, nicht vorhersehbaren Veränderungen reagieren?

Es wäre zu einfach zu sagen, dass eine digitale Geschäftsstrategie oder digitale Fallback-Option und eine agile Unternehmenskultur die ausschlaggebenden, treibenden Faktoren waren. Denn diese allein sind noch lange kein Garant für relevante Lösungen, die auch wirklich Bedürfnisse bedienen. Beide Faktoren geben lediglich, ohne sie schmälern zu wollen, Antwort auf das „Wie“ – wie erreichen wir unsere Stakeholder.

Wo findet man also den entscheidenden Hebel, um auf Krisen zu reagieren? Und um sich nicht vom Wandel treiben zu lassen, sondern ihn selbst zu treiben.

 

Beständiges als Treiber von Wandel

Immer wenn es um Veränderung geht und vor allem dann, wenn der Wandel wie in dieser Pandemie alles bestimmt, lohnt sich der vertiefende Blick auf das, was sich nicht ändert. Auf das, was beständig und immun ist. Im Markenkontext ist das die Essenz eines Unternehmens. Sie beschreibt den Existenzgrund, die Daseinsberechtigung, die übergeordnete Aufgabe. Sie ist die Quelle für Wandel, Innovation und Disruption. Denn sie ist unabhängig von Kanälen, Produkten und Kontaktpunkten. Und somit krisensicher.

Jedes Unternehmen hat eine solche Essenz. Zu finden als Visions-, Missions-, Why- oder, wenn man marketingtrendgetrieben ist, als Purpose-Formulierung. Selbst wenn die Essenz noch nicht formuliert ist – sie existiert. Versprochen.

 

Echte Essenz vs. Marketingblabla

Aktuell lässt sich beobachten, dass viele Unternehmen und Konzerne in die Entwicklung einer solchen Purpose-Formulierung gehen. Teilweise, um die im Raum stehende und durch die Unternehmensflure geisternde Essenz final zu manifestieren. Oder um die bestehenden Formulierungen auf wenige Worte und einen wohlklingenden Satz, auf den sich alle einigen können, zu komprimieren.

Die Deutsche Telekom möchte beispielsweise alle Menschen in die digitale Gesellschaft mitnehmen und formuliert es kommunikativ aktuell so: „Wir geben uns erst zufrieden, wenn alle dabei sind.“.

Purpose ist gerade Trend. Selbst wenn man das Wort im Markenkontext gerade ein bisschen zu viel gehört und gelesen hat, dieser Trend hat absolute Berechtigung und sollte gerade zur jetzigen Zeit viel Aufmerksamkeit in Unternehmen bekommen. Man muss ihn allerdings richtig anzuwenden wissen. Sonst bleibt er eine unnütze Floskel. Böse gesprochen: Marketingblabla.

 

Drei To-Do’s für Krisensicherheit

Hier drei To-Do’s,, damit Ihr Purpose nicht nur mehr als eine wohlklingende Floskel, sondern Ihre krisensichere Quelle für erfolgreiche Transformation ist.

 

To-do #1: Service Design.

Haben Sie eine Purpose-Formulierung?
Ja? Dann ist Ihr erstes To-do „Service Design“: Die Formulierung in konkret erlebbaren Mehrwert übersetzen. So lässt sich auch leicht verproben wie gut Ihre Formulierung wirklich ist. Klingt sie nur gut oder kann die Belegschaft auch wirklich Handlungen ableiten. Denn das sollte immer die Aufgabe eines Purpose sein.
Sie haben noch keinen Purpose formuliert? Nicht dramatisch. Entscheidend ist nur, dass Sie in wenigen Worten beantworten können, warum es Ihr Unternehmen gibt. Das Aufschreiben hilft, um die Essenz zu manifestieren und beispielsweise neue Mitarbeiter schnell als Markenbotschafter einsetzen zu können. Wie Sie die Formulierung dann nennen ist völlig irrelevant.

 

To-do #2: Culture Design

Ihre Mitarbeiter und Kollegen sind das wichtigste Gut, was Sie haben. Ein Purpose beziehungsweise die Formulierung Ihrer Essenz hat immer „nur“ die Aufgabe Verhalten anzuleiten. Und zwar so, dass die Essenz durch Markenaktivitäten bei den entsprechenden Zielgruppen erlebbar wird. Deshalb ist entscheidend, dass der Purpose als Verhalten anleitendes Tool in der Belegschaft verankert ist. Dafür muss er natürlich auch als solcher akzeptiert sein. Und dafür muss ein Purpose immer ganz natürlich aus dem Unternehmen und der Belegschaft selbst kommen. Er muss die Sprache der Unternehmenskultur treffen. Jede Abteilung, jeder Mitarbeiter muss sich in der Formulierung wiederfinden können.

Idealerweise ist die Belegschaft beispielsweise durch gemeinsame Workshops oder Befragungen in die Erarbeitung eines Purpose involviert.

 

To-do #3: Agiles Brand Design

Sie haben nun eine Formulierung, die Ihre Essenz manifestiert und die Ihnen in Zeiten des Wandels Orientierung bietet. Sie haben die Formulierung in relevante Lösungen übersetzt und in der Belegschaft verankert. Jetzt wird es Zeit für agile Gestaltung und agiles Management der Marke. Denn Marke muss als nie endender Prozess verstanden werden.

Auch wenn die Essenz etwas Beständiges ist – die Übersetzung in Lösungen muss kontextgetrieben sein. Marke ist immer die Schnittmenge aus der Unternehmensidentität und der Zielgruppenwelt. Wie sehen die Lebenswelten der Zielgruppen aus? Welche Micro-Trends sind gerade relevant? Welche technologischen Entwicklungen werden Einfluss nehmen? Im Kontext finden sich die Impulse für die Markenführung, im Unternehmen steckt die Energie dafür. Bringt man beides zusammen und etabliert Markenführung, -gestaltung und -management als „inside-out-outside-in“ Prozess, ist die nachhaltige Relevanz und Langlebigkeit der Marke gesichert. Dieses Prozessprinzip ist nicht nur mit „Unternehmen oder Marketingabteilung = inside“ und „Außenwelt = outside“ zu übersetzen, sondern bricht ebenfalls vorhandene Silostrukturen und Markenhoheiten in einem Unternehmen auf. Impulse, die die Marke weiterbringen, können aus jeder Abteilung eines Unternehmens kommen. Sie müssen nur Gehör finden.

 

Dass man aus einer Krise stärker hervorgehen kann, gilt auch für Marken. Nutzen Sie Ihre krisensichere Essenz und bringen Sie diese mit dem Kontext zusammen. Immer wieder neu. Und Ihre Marke wird auch in der nächsten Dekade sicher unterwegs zu der Unternehmensvision sein – vielleicht sogar in einer führenden Position.

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Über Marle Janßen

Marle-Maria Janßen leitet die Strategie Unit bei Mutabor. Bevor sie 2016 zu der Designcompany wechselte, war sie bei Ogilvy und MetaDesign tätig.