print logo

Influencer sind die neuen etablierten Marken

Der Kampf um Aufmerksamkeit – wie Influencer den etablierten Marken immer mehr Konkurrenz machen. Wie Unternehmen jetzt reagieren sollten.
Rüdiger Frankenberger | 19.07.2021
Influencer sind die neuen den etablierten Marken © Freepik
 

Als ich den Begriff „Influencer“ vor 20 Jahren zum ersten Mal in einem Buch von Robert B. Cialdini entdeckte, ahnte ich nicht im Geringsten, welche Rolle dieses Wort und vor allem das beschriebene Prinzip in Zukunft für mich und uns alle im Marketing einnehmen würde. Bereits 2007 wusste Mark Zuckerberg, worauf es zukünftig ankommt, um die Mechanismen sozialer Netzwerke erfolgreich für Marketing und Werbung gezielt zu nutzen:

“People influence people, nothing influences people more than a recommendation from a trusted friend. A trusted referral influences people more than the best broadcast message. A trusted referral is the Holy Grail of advertising.”

Es geht also um Menschen und deren Beziehungen. Und um eine tragende Säule des Sozialen und Zwischenmenschlichen: Vertrauen. Als soziale Wesen sind wir von Geburt an darauf angewiesen, anderen Menschen – mehr oder weniger – Vertrauen zu müssen. Überlebenswichtig ist für uns zunächst die Mutter, dann der Vater und die Familie, später folgen Freunde, Bekannte, Kollegen und das Umfeld, usw., die auf uns Einfluss nehmen. Wir alle erleben und erlernen diesen Prozess immer wieder aufs Neue. Mal zu unserem Guten, mal weniger...

Was hinzugekommen ist, dass seit ca. 2007 dieser Prozess auf Basis von technologischen Entwicklungen in völlig neue, bis dato unbekannte Dimensionen in unser Leben und dessen Beziehungen, die Gesellschaft und Wirtschaft, vorgestoßen ist. WYSIWYG bekommt in diesem Kontext eine neue Dimensionen und wird immer mehr zur Normalität. Täglich sehen und hören wir Menschen in den verschiedensten Apps und auf Plattformen, die uns an ihrem Leben teilhaben lassen. Oder die wir gar auf die ein oder andere Art und Weise in unser Leben lassen. Vor Kaufentscheidungen studieren und analysieren wir Online- Bewertungen, um die bestmögliche Entscheidung zu treffen. Beides geschieht und stellt uns durchaus zufrieden, obwohl wir wissen, dass die Realität oftmals eine andere ist.

Die heutige globale Nutzung sozialer Netzwerke, allen voran Instagram, TikTok und YouTube, hat deshalb einen wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung - und das wird noch lange so bleiben. Was genau bedeutet das für die Zukunft von Marken und Unternehmen? Drei Thesen und mögliche Lösungsansätze:


Das knappe Gut „Aufmerksamkeit“ wird noch kostbarer, je mehr der Medienkonsum, die Informationsgeschwindigkeit und das Leistungsangebot zunehmen. Um zukünftig im intensiven, globalen Wettbewerb bestehen zu können, sind ein unverkennbares, klares Profil und eine einzigartige Positionierung entscheidend. Genauso wichtig ist dann die stringente und effektive Kommunikation der beiden Botschaften. Zudem müssen die Menschen in den Unternehmen ihre digitale und emotionale Kompetenz auf- und ausbauen, um die Beziehungen zu den unterschiedlichsten Interessensgruppen effizient managen zu können.

Influencer stehen oftmals zwischen Marken und deren bisherigen Kunden – sei es als Makler, Verkäufer oder in anderen Rollen. Gleichzeitig verfolgen alle beteiligten Partner in diesem Spiel eigene Interessen. Das Gebot der Stunde lautet daher Kooperation! Eine hohe Kunst, vor allem in Deutschland, die viele Unternehmen und Beeinflusser erst noch richtig lernen werden. Da der Kuchen nicht unendlich wächst, muss dieser eben neu und anders verteilt werden. Ein Schritt in die für Marken überlebenswichtige Richtung ist dazu ein Wandel in der Betrachtung ihrer Stakeholder: weg von „Zielgruppen“ und hin zu „Beziehungsgruppen“. Menschen haben Beziehungen zu Marken und Unternehmen, selbst wenn diese zunächst unbewusster oder latenter Natur sind. Selbst ein nicht aktiver Interessent kann schnell zu einem treuen oder ablehnenden Marktteilnehmer werden, der wiederum Einfluss auf Familie, Freunde und Kollegen hat.

„Freund oder Feind?“, das ist hier die Frage! Was vielleicht nach Shakespeare klingt, ist jedoch vielmehr die Erkenntnis, dass Influencer sich zu Creators entwickeln. Sie erschaffen sich ihre eigene Markenwelt im Wettbewerb der Beziehungen gegen die etablierten Marken. Mit eigenen Produkten, Labels oder zunächst Produktlinien mit Markenartiklern, bei denen ihr Name als Markierung deutlich erkennbar ist. Dennoch gilt wie in der Tragödie, der eine kann (noch) nicht ohne den anderen existieren. Profitierten bisher die großen Brands als Auftraggeber von der Verbindung zwischen Influencer und Follower, beobachten wir seit einiger Zeit, dass Marken immer mehr dem Risiko der Austauschbarkeit unterliegen, wenn die reichweitenstarken Prominenten ihr Urteil treffen. Dass Rennen ist also noch längst nicht entschieden und es bleibt abzuwarten, welche Beziehung das Publikum in Form von Konsumenten präferieren wird.

Alle über einen Kamm scheren?

Erwähnt man 2021 das Wort „Influencer“ in Gesprächen, haben die Meisten sehr schnell ein konkretes Bild vor Augen, nicht immer ein positives. Hierbei reden wir jedoch defacto nur über eine sehr kleine Gruppe, die oftmals einer größeren medialen Aufmerksamkeit unterliegt. Wir sollen daher nicht den Fehler begehen, von dieser kleinen Gruppe auf uns alle (potentiellen) Influencer zu schließen! In Zukunft müssen wir im Marketing und Management lernen, besser zu verstehen, dass und wie jeder Mensch, in den unterschiedlichsten Rollen und Situationen zu den verschiedensten Anlässen, ein Beeinflusser ist oder sein kann. Und wie jeder von uns als Influencer, ohne dass uns das in der Vergangenheit immer so bewusst oder von uns derart beabsichtigt war, auf sein Umfeld wirkt. Ob in der realen oder digitalen Welt, ob als Kunde, Mitarbeiter oder Berater. Genau das ist der Kern dessen, was Cialdini bereits 2001 in seinem Buch als Erster beobachtet und beschrieben hat. Es ist an der Zeit, den Blick über den Tellerrand zu hinaus zu richten und sich die Menschen, ihr Verhalten sowie ihre Beziehungen genauer unter die Lupe zu nehmen.