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Vertrauen und Selbstbestimmung: Das neue Dreamteam für effektivere Werbung

Die Online-Marketingbranche sollte das Aus der Third-Party-Cookies nicht bedauern, sondern die Ressourcen dazu nutzen, Alternativen zu finden.
Philipp Dommers | 18.11.2021
Vertrauen und Selbstbestimmung: Das neue Dreamteam für effektivere Werbung © freepik / freepik
 

Es sind eindrucksvolle Marktzahlen, die OVK und BVDW Anfang September veröffentlichten. Der digitale Display-Werbemarkt legt um 23,4 Prozent zu und überschreitet die Schwelle von 5 Milliarden Euro. Im Online-Advertising wird für 2021 erwartet, dass etwa 3,5 Milliarden Euro programmatisch generiert werden.

Das sind Werte, die die hohe Relevanz von zielgruppenspezifischer Online-Werbung belegen. Und das auch vor dem Hintergrund der vielen Rückgänge im Tagesgeschäft, die coronabedingt in vielen Branchen zu verzeichnen waren.

Zugleich „schwebt“ aber auch das bekannte Damoklesschwert des Third-Party-Cookie-Endes über der Branche – mit allen Implikationen von Adressierbarkeit, Programmatik bis hin zur Erreichung der relevanten KPIs. Hinzu kommt der Erfolg von Abonnement-basierten Streamingdiensten wie Netflix und Co.

Zusätzlich gibt es aber auch die Datenschutzissues: Aufgrund fortwährender Berichte über Datenlecks und Datenmissbrauch haben die Verbraucher das Vertrauen verloren und sind trotz großer Anstrengungen der Regulierungsbehörden - in Form der Einführung der Datenschutz-Grundverordnung oder des neuen Teledienst-Datenschutzgesetzes - nicht bereit, es wiederaufzubauen. Einer aktuellen, repräsentativen Umfrage des Allensbach-Instituts zufolge, fordern zwei Drittel der Deutschen die künftige Regierung dazu auf, noch mehr gegen Datenmissbrauch zu unternehmen.

All dies sind „Baustellen“, über die die Branche ehrlich und offen diskutieren muss. Vor allem muss sie meiner Ansicht nach die richtigen Lehren aus den Entwicklungen ziehen, die dazu geführt haben, dass Regulierung und stark veränderte User-Erwartung zu einem Systemwechsel geführt haben.

User wollen selbst entscheiden

Zentral scheint mir zu sein, dass das „alte“ auf Hidden Tracking basierte System, das im Grunde von passiven Usern ausgeht, vom Kopf auf den Fuß gestellt wird: Warum lässt man User nicht selbst entscheiden, welche Werbung sie sehen wollen?

Dieser Ansatz steht im Gegensatz zur aktuell weit verbreiteten und auf persönliche Daten basierenden Online-Werbeaussteuerung, die für User weder akzeptabel noch nachvollziehbar ist. Welche Wege ihre Daten nehmen, können User oftmals nicht oder nur ungenügend bzw. mit erheblichen Hürden erfahren. Banales Produkt-Retargeting ist der einzige direkt erkennbare Zusammenhang und diese User Experience ist in vielen Fällen alles andere als eine Gute.


Vertrauen zurückgewinnen

Das führt zur zentralen Frage: Wie kann Vertrauen (erneut) geschaffen werden? Vertrauen einerseits in Fragen des Datenschutzes, Vertrauen aber auch in Aspekte wie Relevanz von Inhalten. Denn im Sinne der Aufmerksamkeitsökonomie ist auch  die Aufmerksamkeit der User eine kostbare Ressource, die man sparsam einsetzen sollte, damit sie sich nicht abnutzt.

Deshalb muss meiner Ansicht nach die Branche einen echten Wechsel vornehmen. Statt „Cookies“, sollten wir Mut zu „Cookieless“ mit Impact haben. Man kann dies Selbstbestimmung „by design“ im Bereich des Werbekonsums nennen. Was damit konkret gemeint ist, ist Folgendes: In jeder Werbeinteraktion (z. B. beim Preroll-Video) ermöglicht man dem User Selbstbestimmung.

Dies hat noch einen Nebeneffekt: Nicht nur steigert das die Werbewirkung, zeitgleich verhindert man AdFraud und zahlt auf die Brand Safety ein. Und außerdem zeigt eine aktuelle Studie von [m]SCIENCE, dass Nutzer vor allem aufgrund ihres Interesses am Produkt/Inhalt eine Kampagne auswählen. Ich erreiche also eine interessierte Zielgruppe. Bitteschön: Cookieless Targeting!

Für User ist an dieser Stelle die Botschaft zentral, dass nicht nur personenbezogene Daten respektiert werden, sondern eben auch die Aufmerksamkeit und Lebenszeit: Wer hat schon Interesse daran, 30 Sekunden einer langweilen Werbung (nicht überspringbar) zu sehen?

Wir müssen also ganz von vorne anfangen - und jetzt sollten wir das Momentum nutzen. Wir müssen die User selbst zum „Steuermann“/Steuerfrau“ der digitalen Werbung machen. Sie sollen entscheiden, welchem Unternehmen (nicht welchem Netzwerk) sie Daten geben und sie sollen entscheiden, welche Werbung sie wann sehen möchten.


Nur relevante Werbung ist erfolgreich

Native Advertising funktioniert so. Influencer-Marketing basiert auf einer freiwilligen Entscheidung der Nutzer:innen. Anzeigen in der Google-Suche auch. Und auch im Bereich der Video-Werbung lässt sich dieser Ansatz realisieren. Den Usern werden mehrere Werbemittel angezeigt und sie selbst entscheiden, welches sie sehen möchten. Das führt zu einem Wettbewerb der Werbemittel um die höchste Relevanz und das wiederum resultiert in einer Ausspielung an eine interessierte Zielgruppe mit wenig Streuverlusten.

Das führt aber auch dazu, dass Menschen auf Werbevideos klicken und nicht Bots. Das Problem des AdFraud wird von Thomas Koch noch deutlich größer eingeschätzt als das Brand Safety-Problem bei Breitbart und Co.

Und letztlich steigt natürlich auch die Werbewirkung. Das hat nicht nur damit zu tun, dass der User immer nur Werbevideos findet, die ihm wirklich gefallen. Das liegt auch daran, dass er mit seinem Klick eine „lean forward“ Aktion machen muss und dadurch Aufmerksamkeit aufbaut. Ein natürlicher Schutz gegen Bannerblindheit und Werbeignoranz bei gleichzeitig maximaler User Centricity.

Es wird Zeit für ein Umdenken in der gesamten Branche. Wir müssen das Vertrauen in Werbung wieder ganz neu aufbauen. Denn Vertrauen in das Werbesystem stärkt auch das Vertrauen in Marken. Und das ist – wie zahlreiche Studien zeigen – vor allem für die Generationen Y und Z ein ganz wichtiger Relevanz- und letztlich Kauffaktor. Nicht umsonst ist so viel Werbegeld in das Influencer Marketing abgeflossen.