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Ethno-Marketing online

Ethno-Marketing ist eine Spezialdisziplin, die kulturelle Besonderheiten der Immigranten und ihren Folgegenerationen berücksichtigt. (Buchbeitrag)
Jens von Rauchhaupt | 07.11.2007
Dieser Fachartikel erschien im Leitfaden Online-Marketing
http://buchblog.marketing-boerse.de
http://www.marketing-boerse.de/Info/details/LeitfadenOM


Lebte Nathan der Weise in der Neuzeit, was finge er mit Ethno-Marketing und dem World Wide Web an? Als sprachgewandter Kaufmann, der möglichst viele Waren oder Dienstleistungen vertreiben will, würde er wahrscheinlich erst einmal scharf nachdenken und schauen, wer eigentlich seine Kunden sind, wo sie herkommen, welche Sprache sie sprechen und auf welchen belebten Plätzen sie sich aufhalten.


Ethno-Marketing, was soll das?

Ethno-Marketing ist eine Spezialdisziplin, die bei der Zielgruppenansprache die kulturellen Besonderheiten der Immigranten und ihren Folgegenerationen berücksichtigt. Sprachschwierigkeiten der spanisch sprechenden Neuankömmlinge in den USA ließ den Begriff „Ethnic Marketing“ erstmalig in den 1970er-Jahren aufkommen. Wer im ständigen Konkurrenzkampf eine Auto- oder Lebensver-sicherung erfolgreich an die neuen Mitbürger bringen wollte, der musste ihre kulturellen Eigenarten kennen. Ethno-Marketing beschränkt sich nicht zwangs-läufig nur auf die Sprachbarriere, sondern will auch den Mentalitätsunterschieden und abweichenden Wertevorstellungen der Migranten Rechnung tragen. Inzwischen haben in Deutschland einige große Unternehmen ihre Werbe- und Marketing-strategien entsprechend dem pluralistischen Aufbau unserer Gesellschaft angepasst. Jüngstes Beispiel ist die Deutsche Bank, die mit „bankamiz.de“ ihren türkischen Kunden ein eigenes On- und Offlinepaket geschnürt hat, fünf kostenlose Über-weisungen in die alte Heimat inklusive. Die Postbank und die deutsche Telekom, einige Mobilfunkanbieter sowie Mercedes Benz setzen schon länger auf Ethno-Marketing. Dennoch zählen alle diese Firmen noch immer zu den Ethno-Marketing Avantgardisten.

Ethno-Marketing dient vornehmlich der Neuakquisition und der Verbesserung der Kommunikation mit Kunden, die einen sogenannten Migrationshintergrund aufweisen. Charmanter Nebeneffekt: Unternehmen, die in der Kundenansprache diese kulturellen Besonderheiten berücksichtigen, bezeugen damit nicht nur ihre Weltoffenheit, sie erzielen zudem bei den Migrationsgruppen auch eine nachhaltigere Wirkung. Ethno-Marketing fördert also das Image einer Marke. So manche Migrationsgruppe gilt zudem als markenbewusster und konsumfreudiger als ihre alteingesessenen Mitbürger. Ein Marketingexperte, der unsere türkisch stämmigen Mitbürger noch mit einer Aldi-Tüte assoziiert, macht daher einen folgenschweren Fehler. Allein der Migrationsgruppe aus der Türkei wird in Deutschland eine jährliche Kaufkraft von 17 Milliarden Euro nachgesagt (Zentrum für Türkeistudien).


Es geht um fünfzehn Millionen Menschen

Wie Pilze sprießen derzeit vor allem Agenturen mit türkischem Kultur Know-how aus dem Boden und bieten ihre interkulturellen Kompetenzen deutschen Unternehmen an. Das ist kein Zufall, sondern die logische Konsequenz aus der Bevölkerungsentwicklung Deutschlands. Deutschland ist längst ein Zuwanderungsland, seine gesellschaftliche Struktur verändert sich signifikant. Das Statistische Bundesamt, kurz DeStatis, belegt dies mit gesammelten Daten aus dem Mikrozensus 2005, dessen Ergebnisse seit Mai 2007 in aktualisierter Form vorliegen.

Demnach leben hierzulande 15,3 Millionen Menschen mit einem Migrations-hintergrund. Mit diesem Begriff umschreibt das Bundesamt für Statistik solche Menschen, die entweder keine deutsche Staatsangehörigkeit haben, das sind 7,3 Millionen, oder Deutsche, die entweder selbst oder deren Eltern beziehungsweise Großeltern Migrationserfahrung aufweisen. Zu dieser Gruppe gehören 8 Millionen Menschen. Zusammen sind das 18,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. Diese Zahl wird in den nächsten Jahren stark ansteigen, da einige dieser Migrationsgruppen - und das ist kein Geheimnis - eine weit höhere Geburtenrate aufweisen als die Menschen, die schon über viele Generationen in Deutschland heimisch sind. Laut DeStatis stammen schon jetzt knapp ein Drittel aller Kinder unter fünf Jahren aus Zuwanderungsfamilien. Ein türkischer Haushalt hat, statistisch dem Umfeld der gesehen, 4,5 Personen, ein deutscher Haushalt dagegen nur 1,8. Spätestens jetzt würde das Interesse von Nathan dem Weisen geweckt sein.


Türkisch, russisch, serbokroatisch und polnisch

Die Türken stellen mit 14,2 Prozent den größten Anteil der Migranten; Mitbürger aus der ehemaligen russischen Föderation bilden mit 9,4 Prozent die zweitgrößte Zuwanderungsgruppe. Der ehemalige Vielvölkerstaat Jugoslawien ist das Herkunfts-gebiet von gut 8 Prozent der Zugewanderten. Selbst aus unserem östlichen Nachbarn Polen stammen noch 6,9 Prozent aller nach Deutschland Immigrierten.

Unterm Strich fallen in absoluten Zahlen knapp 3 Millionen Deutschtürken und türkischen Ausländer, 2,1 Millionen Russlanddeutsche und 1,2 Millionen Immigranten aus Ex-Jugoslawien besonders in Gewicht. Insbesondere bei den Migranten aus dem früheren Jugoslawien, aber auch bei jenen aus der russischen Förderation, ist ihre ethnische Zuordnung problematisch. Meist ist nur noch die Sprache ihr Integrationsfähigkeit in die gemeinsamer Nenner. Das erhöht vielleicht ihre deutsche Gesellschaft, macht den Umgang mit ihnen in Bezug auf das Ethno-Marketing aber recht kompliziert, bei den Bosniern, Kasachen, Kosovo-Albanern, Kroaten und Serben auf dem Papier nahezu unmöglich. Genau hier kann das Internet und die Messbarkeit des Verhaltens des Nutzers eine unschätzbare Hilfestellung bieten.


Migration ist keine Einbahnstraße

Selbst wer in der dritten Generation in Deutschland lebt, pflegt in seinem persönlichen und familiären Umfeld doch auch die Sprache seiner Ahnen. Es liegt in der Natur des Menschen, seine eigene Herkunft zu hinterfragen, die kulturellen Schätze der alten Heimat zu ehren und natürlich den Dialog mit den „Daheimgebliebenen“ aufrecht zu erhalten. Nicht umsonst hat E-Plus den Mobilfunktarif „Ay Yildiz“ für Türkeitelefonierer kreiert. Noch leichter und günstiger gelingt dem Verbraucher die Informationsbeschaffung mit Hilfe des Internets. Das Internet verstärkt diese transnationale Orientierung. Der digitale Gang zu den Medienangeboten aus Istanbul, Moskau oder Mostar ist bereits mit einem Mausklick vollzogen. Hier kann sich ein Migrant mit Sitz in Deutschland die neuesten Informationen aus der alten Heimat auf den Bildschirm holen. Genau dieses Verhalten der Migrationsgruppen ist im Internet messbar.


Browser-Targeting und Cross Border-Traffic

Mit dem sogenannten Browser-Targeting und dem bewährten Geo-Targeting sind Grenzgänger im Internet sehr leicht ausfindig zu machen. So kann ein Ad-Server die Spracheinstellungen des Browsers feststellen. Zusammen mit der IP-Nummer wissen Vermarkter von Websites ganz genau, wo der Nutzer herkommt und ob der Anwender serbokroatisch, russisch, türkisch oder deutsch bevorzugt. Entsprechend dieses Datensatzes kann man ihm dann das passende Werbemittel auch auf einer ausländischen Webseite ausliefern. Ein solches Vorgehen praktizieren etwa die Unternehmen Oridian und Advertising.com. Sie gelten als Experten des sogenannten „Cross Border-Traffics“. „Wir kaufen den aus Deutschland stammenden Traffic von den ausländischen Webseiten ein und bieten die Werbeflächen deutschen Werbetreibenden an“, erläutert Sascha Berlik, Managing Director bei der Oridian GmbH in Köln, die Tätigkeit seines Unternehmens. Dieses Modell ist hinsichtlich englisch sprachiger Websites ein geübtes und erfolgreiches Marketinginstrument, um die Reichweite der Werbekampagnen oder die Lead Generierung im Performance-Marketing zu erhöhen. So würde sich Nathan der Weise auf der Website der Jerusalem Post, www.Jpost.com, davon überzeugen können, dass Werbebanner heimischer Anbieter in einem ausländischen Websiteumfeld die Aufmerksamkeit steigert. Da kaum ein Werbetreibender und dessen Mediaagentur sich mit einem ausländischen Vermarkter herumschlagen will, wäre hier das Können eines deutschen Vermarktungsnetzwerkes gefragt. Leider adressiert bisher niemand in Deutschland das Thema Cross Border-Traffic hinsichtlich der türkischen und russischen Webseiten. Somit bekommt der Deutsch-Türke etwa bei zaman.com.tr oder Russlanddeutsche auf novayagazeta.ru dieselben Werbebanner zu Gesicht, wie ein Türke oder Russe in seiner Heimat. Das macht leider wenig Sinn, soweit die feilgebotenen Produkte oder Dienstleistungen in Deutschland gar nicht zu erwerben sind. Der Traffic aus Deutschland wird auf diese Weise schlichtweg vergeudet, bisher jedenfalls.


Immer das passende Werbebanner

Auch der Verleger Dogan Media International hat erkannt, dass immer mehr türkisch stämmige Deutsche vermehrt auf das Internet setzen. Im Jahr 2005 verfügten immerhin 27 Prozent der deutsch-türkischen Haushalte über einen Internetanschluss. Seit gut einem Jahr bietet Dogan Media mit hurriyet.de auch eine Onlineausgabe dieser türkisch sprachigen Tageszeitung für Deutschland an. Mit Stand Mai 2007 hat diese Internetzeitung nach eigenen Angaben 540.000 Besucher im Monat und beliefert den User mit tagesaktuellen Informationen aus Deutschland in türkischer Sprache. „Wir befinden uns noch immer in der Aufbauphase. Wir planen aber langfristig, dass unsere anderen Printmedien „Milliyet“ und „Fanatic“ ebenfalls als Internetausgaben in Deutschland erscheinen“, sagt Ebru Domac, Sales & Marketing von Dogan Media International GmbH. In den Internetablegern der Printmedien wie hurriyet.de könnten deutsche Unternehmen endlich bedenkenlos fremdsprachige Werbung einsetzen. Während sich alle Werbefachleute darin einig sind, dass die gezielte Ansprache der Migrationsgruppen in ihrer Muttersprache vorteilhaft für den Werbeerfolg ist, sind sich die meisten Experten ebenso einig, dass fremdsprachige Werbebotschaften den deutschen Verbraucher eher abschrecken würden. Kabel Deutschland und die Postbank arbeiten bereits mit türkischsprachigen Werbemitteln. Sehr konsequent erscheint hier das Beispiel der Postbank, welches man auf der kleinen Nachrichtenseite merhaba.info findet. Nach dem Klick auf das türkischsprachige Werbebanner gelangt der Nutzer zu einer Postbankseite mit Telefonnummer eines türkisch stämmigen Kundenberaters. Das ist Online Ethno-Marketing par exellance! Freilich ist dies nur auf solchen Internetumfeldern ratsam, bei denen die Muttersprache der Migrationsgruppen vorherrscht oder das gesamte Internetangebot bilingual aufgebaut ist.


Ethno-Portale aus Köln und Hamburg

Zweisprachigkeit ist auch der Erfolgsfaktor dreier Ethno-Portale, die als Parade-beispiele für ein erfolgreiches Online Ethno-Marketing gelten. Die Rede ist von den deutschen Portalen vaybee.de, turkdunya.de und dem russischen Portal germany.ru. Ihr Vorteil: ihre Zweisprachigkeit strahlt Transparenz gegenüber den deutschen Werbetreibenden aus. Vaybee! aus Köln ging im Jahr 2000 zunächst als Community an das mediale Netz. Inzwischen ist Vaybee ein vollwertiges Portal und bietet dem registrierten Nutzer auch einen eigenen E-Mail-Account. Vaybee! bedeutet auf Türkisch etwa soviel wie das amerikanische „Whow“. Erstaunt ist auch der objektive Betrachter von vaybee! Dieses Portal ist mit 1,5 Millionen Besuchern im Monat (eigene Angaben mit Stand Oktober 2006) die am besten frequentierte Kommunikationsplattform der Deutsch-Türken. „Wir wollen die jungen türkischen Menschen ansprechen“, so Marketingchef Tamer Kulmac und liegt damit im Trend des Online-Marketings. Das Unternehmen glänzt mit einem weiblichen Nutzeranteil von vierzig Prozent. Das Portal adressiert neben Lifestyle, Reise und Unterhaltung vor allem Chat und Singletreff. Mitbewerber Turkdünya, übersetzt „türkische Welt“, aus Hamburg, bietet mit 620.000 registrierten Nutzern ein ähnliches Info- und Entertainmentangebot wie vaybee! an. Einziger Unterschied: Während bei vaybee! das deutsche Unternehmen Orangemedia die Vermarktung innehat, setzt der Geschäftsführer von Turkdünya, Bekir Eyienging, mit TurkNetmedia auf eine eigene Vermarktung der Werbeflächen.

Das deutsch-russische Portal germany.ru ist eines der wenigen Internetangebote, das sich an die russischen Migranten in Deutschland richtet. „Wir sind eine Community und ein Internetportal. 75 Prozent unserer Mitglieder wohnen in Deutschland und seit unserem Start im Jahr 1999 gab es noch keinen Monat ohne Wachstum hinsichtlich der Mitglieder- und Besucherzahlen“ erläutert der aus St. Petersburg stämmige Russlanddeutsche Andreas Brückmann. Der Wahlkölner und Geschäftsführer der für das Portal verantwortlichen Xanthos GmbH konnte im November gar den russischen RUnet Award in der Kategorie „RUnet außerhalb der Russischen Union“ gewinnen. Dieser Preis wird jährlich für besondere Verdienste an der Entwicklung des russischen Internets vom russischen Ministerium für Presse und Medien verliehen. Hier liegt auch ein Schwerpunkt von germany.ru. Brückmann nutzt das Portal germany.ru, um Tourneen russischer Künstler in Deutschland publik zu machen. Obwohl germany.ru inzwischen laut eigenen Angaben über 400.000 registrierte Nutzer vorweisen kann, scheinen deutsche Marken das Portal überhaupt noch nicht für sich entdeckt zu haben.


Fazit

Die Deutsch-Türken sind in der hiesigen Internetlandschaft noch am besten versorgt. Die Werbeindustrie hat zumindest bei den Portalen gute Möglichkeiten die junge konsumhungrige Zielgruppe anzuvisieren. Das Thema Cross Border-Traffic und findet trotz der guten Messbarkeit in Bezug auf die größten Migrationsgruppen Deutschlands überhaupt nicht statt. Nathan der Weise setzt dennoch auf Online Ethno-Marketing. Dies hat zwei Gründe: erstens kann er damit seine Zielgruppe differenzierter und genauer ansprechen und er hat die Gewissheit, dass Online Ethno-Marketing gerade erst am Anfang steht.


Literatur

Folker Kraus-Weysser und B. N. Ugurdemir-Brincks: Ethno-Marketing. - 247 Seiten, ISBN: 978-34782526072, Moderne Industrie, 2002.

Matthias Wilken: Ethno-Marketing. Erfolgreiches Marketing für eine multikulturelle Gesellschaft. - 90 S., ISBN: 978-3865500618, Vdm Verlag Dr. Müller, 2004.

Claudia Valiente und Tanja Yetgin: Ethno-Marketing für die deutschtürkische Zielgruppe. - 151 Seiten, ISBN: 978-3865502360, Vdm Verlag Dr. Müller, 2006.