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Synchrone Konsumforschung im Überallmarkt

Gegenwärtig stechen zwei Strategien hervor, die die Struktur von Konsumgütermärkten optimieren: Konsumentenprofile und Open Source.
Andreas Schelske | 29.05.2007
Die Informationen regieren die Märkte. Sie beeinflussen sowohl das Angebot als auch die Nachfrage von Konsumgütern. Nichtsdestoweniger sind nicht alle Informationen gleich. Die besten Informationen sind diejenigen, die Marktteilnehmer zu einer Entscheidung führen, die einen wie immer gearteten Vorteil gegenüber anderen Marktteilnehmern erbringt. Wer beispielsweise die Nachfrage der Konsumenten kennt, weiß welche Güter er zu welchem Preis, an welchem Ort und in welchem Design anbieten sollte, um Erfolg zu haben. Im Ideal würde derjenige am erfolgreichsten Handel treiben, dem Angebot und Nachfrage von Konsumgütern vollständig transparent sind. Um diese Markttransparenz bemüht sich die Konsumforschung. Konsumforschung evaluiert Informationen von und über Konsumenten, um Produzenten darüber aufzuklären, welcher Art von Zielgruppe die konsumierenden Individuen sind. Im Grunde möchte Konsumforschung idealerweise zu jeder Zeit wissen, warum Konsumenten etwas wünschen, kaufen und konsumieren. Sie möchte synchron mit dem Markt und den Konsumenten verbunden sein. Dieses Ideal war bisher für die Konsumforschung sehr fern, doch neue und zukünftige computerunterstützte Informationstechniken kommen dem Ideal einer vollständigen Markttransparenz auf Konsumgütermärkten etwas näher.

Gegenwärtig stechen zwei Strategien hervor, die die Struktur von Konsumgütermärkten optimieren. Die erstere Strategie setzt auf genauere Konsumentenprofile und die zweite Strategie möchte Konsumenten stärker an der Konsumgüterproduktion beteiligen. Beide Strategien haben eines gemeinsam, sie sollen die Markttransparenz mittels vernetzter, interaktiver Medien zeitnah erhöhen.

Schaut man zunächst auf die Strategie der Konsumentenprofile, so lässt sie es erwarten, dass personenbezogene und anonymisierte Daten die Transparenz auf Konsumentenmärkten steigern. Kundenkarten, Transaktionsdaten, Tracking Cookies, Adware, Logfile-Analysen, Location Based Services, Verbindungsdaten, Scanningdaten, und Warenkorbanalysen bieten erheblichen Aufschluss über Konsuminteressen und tatsächliche getätigte Einkäufe. Zudem erlauben Strategien des Data Mining eine weit reichende Personalisierung des getätigten Konsums und der flüchtigeren Konsuminteressen. In den angebotsorientierten Produktionsstrukturen fungieren Konsumenten quasi als eine Datenwolke, deren Merkmale auf die zukünftige Konsumpräferenz des Individuums in Raum und Zeit verweist. Kundendaten sowie raum- und verkehrbezogene Informationen werden verfügbar und Bestandteil individualisierter Angebote, die gleichermaßen auf virtuellen und lokalen Märkten präsentiert werden. Die Steuerung des Warenstroms unterstützen Data Mining-, Modellierungs- und Simulationstechnologien, um auf Grundlage einer weit reichenden Markttransparenz anstehende Investitions- und Produktionsentscheidungen zu fällen. Infolge der Datenströme verändern sich Märkte zu einem Überallmarkt, der im Ideal synchron mit der Konsumgüterproduktion verbunden und global sowie computerunterstützt vernetzt ist.

Für eine verbesserte Markttransparenz stehen in zweiter Strategie die Konzepte des „Open Innovation“. Alle Projekte des „Open Innovation“ lassen Konsumenten in der Produktion mitarbeiten. So sollen im gegenwärtigen Internet des „Open Innovation“ bzw. der „User Innovations“ die kreativen Potentiale der Kunden genutzt werden. Der Open-Source-Software von MySQL.de, der Produktentwicklung bei Thredless.com sowie der Marktbewertung durch Konsumenten bei Zagat.com basieren beispielsweise auf Geschäftsmodellen, die die Entwicklung von Produkten soweit wie möglich den Konsumenten überlässt. Das Prinzip „Open Innovation“ zeigt eine Richtung auf, wie Konsumenten an der Marktforschung vorbei die Produkte ihrer Konsumpräferenzen selbst entwickelt. In dem zukünftigen Semantik Web werden Konsumenten mittels Mass Customisation, CAD-Files und 3D-Druckern ihre Produkte vor Ort einzeln und nach individualisierten Wünschen herstellen lassen können.

Trotz aller Markttransparenz des Data Mining, des Prinzips „Open Innovation“ und der semantisch vernetzten Konsumgüterproduktion verliert die Konsumforschung nicht ihre Relevanz. Denn die Daten über das Marktgeschehen sowie der innovativen Produktionsbeteiligungen sagen nur wenig über Wünsche, Ängste, Emotionen, strategische Überlegungen und andere qualitativ zu erhebende Daten aus. Am Markt ist das Bewusstsein der Konsumenten sowie die gesellschaftliche Entwicklung beteiligt. Insofern ist das Bewusstsein der Konsumenten sowie die Gesellschaft selbst quasi der blinde Fleck des hoch vernetzten Marktes. Tracking, Datenspuren im Internet usw. ermöglichen im Zusammenhang mit Strategien des Data Mining eine weitgehend zurechenbare Individualisierung des getätigten Konsums. Der Konsumforschung bleiben daher die tieferen Beweggründe, infolgedessen Konsumenten etwas tun oder lassen. Aus den quantitativen Daten der Konsumforschung lassen sich zwar sehr zeitnah Warenströme und Konsum-Präferenzen ablesen, aber was Konsumenten während des Gebrauchs von Produkten individuell erfahren und welche Schlüsse sie für zukünftige Handlungsweisen daraus ziehen, bleibt im Bewusstsein der Konsumenten so lange verborgen, wie sie nicht von der Konsumforschung gefragt und analysiert werden. Wie die Gesellschaft sich als Ganzes bzw. in Teilsystemen entwickelt und wie individuelle Konsumpräferenzen in jenem gesellschaftlichen Wandel absehbar werden, bleibt für die Konsumforschung weiterhin eine anspruchsvolle Herausforderung.




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