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Ver-rückte Alte brauchen ver-rückte Banken

Am wichtisten ist, sich mit der Zielgruppe intensiver als bisher zu beschäftigen, um ihre Lebenssituationen überhaupt verstehen zu können
Helmut Muthers | 09.03.2007
Banken und Sparkassen die glauben, mit Kaffee-Nachmittagen, Vorträgen zu Erben und Vererben, klassischen Prospekten, Anzeigen, Plakaten und Marketing-Schlagzeilen die Zielgruppe „ältere“ Menschen (50Plus, Best Ager usw.) beeindrucken zu können, werden ebenso Schwierigkeiten bekommen wie diejenigen, die immer noch Bankprodukte oder Produktbündel in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen. Kein Mensch und erst recht kein „älterer“ Mensch will Produkte. Bankprodukte sind ein austauschbares Vehikel zur Bedürfnisbefriedigung oder zur Problemlösung. Nur – aus Kundensicht - bedarfsgerechte Leistungen und ehrliche emotionale Beziehungen, die die „älteren“ Menschen bei anderen Anbietern nicht erhalten, schaffen Nachfrage, nachhaltige Kundenbindung, reduzieren die wachsende Zinsempfindlichkeit und ermöglichen neue Erträge mit neuen Leis-tungen.

Kaum eine andere Zielgruppe rückt erst jetzt so richtig in den Brennpunkt des Interesses wie die über 50Jährigen, und das, obwohl ihre Wichtigkeit schon seit Jahrzehnten absehbar ist. Geburtenrückgänge - die Geburtenrate in Deutschland gehört zu den geringsten der Welt - und gestiegene Lebenserwartung bescheren Deutschland einen dramatischen demografischen Wandel. Dabei spricht die Wirtschaftskraft eindeutig für die Generation 50Plus: Mehr als ein Drittel der Deutschen ist über 50 und ihre Zahl nimmt rasant zu. Ihre Kaufkraft von 280 Milliarden € ist höher als die der 19- bis 49Jährigen, nahezu 50 Prozent des verfügbaren Einkommens und 75 Prozent aller Vermögenswerte halten die über 50Jährigen.

Der demografische Wandel zeigt sich in der Kundenstruktur der meisten Banken und Sparkassen noch deutlicher. Schon heute ist bei vielen Instituten fast die Hälfte der Kunden über 50. Sie unterhalten oft bis zu 80 Prozent der gesamten Einlagen. Aber der Segen dieser Chance ist gleichzeitig auch ihr Fluch. Denn die Attraktivität der Generation 50Plus zieht in großem Ausmaß nicht nur die traditionellen Wettbewerber sondern in immer stärkerem Maße auch die freien Finanzdienstleister und Strukturvertriebe an, die in den letzten Jahren deutliche Zugewinne zu Lasten der Banken und Sparkassen verzeichnen. Wenn die traditionellen Anbieter die Zielgruppe der über 50Jährigen nicht verlieren wollen – wie in der Vergangen-heit schon die Autokäufer oder zunehmend die Bauherren – dann brauchen sie neue Strategien. Die alten Marketing-Rezepte helfen dann nicht mehr weiter.

Erster Schritt ist die Notwendigkeit, sich mit der Zielgruppe intensiver als bisher zu beschäftigen, um ihre Lebenssituationen überhaupt verstehen zu können und ihre Lebenseinstellungen zu begreifen. Wer sind diese „Alten“ überhaupt:

•65Jährige gründen ihre erste Firma.
•55Jährige erfüllen sich ihren Traum von einer Harley Davidson.
•52Jährige heiraten die dritte Frau und wollen Kinder.
•58Jähige laufen ihren ersten Marathon.
•60Jährige besuchen Finanz-Seminare und surfen im Internet.
•80Jährige kaufen sich ihren ersten 3er von BMW und
•sie haben Ansprüche, beschweren sich über unzureichenden Service, picken Rosinen und machen immer mehr das, wozu sie Lust haben.

Es gibt nicht den Senioren. Nichts macht die Menschen so verschieden, wie der Alterungs-prozess. 50Jährige gehen zum Rockkonzert, 60Jährige entdecken Designermode, 70Jährige besuchen Fitness-Kurse. Die „Alten“ sind heute gesund und fit, fühlen sich jünger als sie sind, sind aktiv und selbstbewusst. Derartige Veränderungen brauchen veränderte Denk- und Verhaltensweisen.

Nehmen Sie „ältere“ Menschen ernst

Professor Dr. Horst Opaschowski vom BAT Freizeitforschungsinstitut schreibt: „Die neuen Senioren sind nicht einfach nur eine Sparversion des Jugendmarktes, sondern etwas völlig anderes. Sie wollen keine Inline-Skates mit Stützrädern, sondern Sinn- und Serviceangebote rund um die Uhr. Sie wollen dabei ihre persönliche Lebensqualität verbessern und nicht nur ihren materiellen Lebensstandard erhöhen.“ Dieses Zitat beschreibt treffend, warum Banken scheitern müssen, wenn sie den Kunden der 50Plus-Generation als klassischen Produkt-Konsumenten betrachten und ihre Kundenberater mit Zielvorgaben ausstatten. Wer bei die-sen Kunden punkten will, braucht eine Unternehmens- und Verkaufskultur, die den älteren Menschen ernst nimmt, und ihn nicht nur als „dummen“ Kunden, der sowieso treu ist, miss-achtet. Zu oft werden „Ältere“ gedemütigt und gekränkt, ausgestoßen und rumgeschubst: Wenn eine „ältere“ Frau nach dem Tode ihres Mannes das gemeinsame Sparbuch umge-schrieben haben will und der Mitarbeiter am Schalter stattdessen mit einem schwarzen Stift den Namen des Mannes durchstreicht, verletzt das die Gefühle der Frau und beweist wenig Fingerspitzengefühl. Es ist ein grundsätzliches Problem. Die Gesellschaft behandelt die Alten, als könnten Sie nicht bis zwei zählen. Dabei sind Best-Ager Profis – denken Sie daran. „Älte-re“ Menschen haben mehr Erfahrung als jüngere – beim Umgang mit Kundenberatern, Wer-bung, Produkten und Verkaufssituationen. Sie können ihnen nichts vormachen. Es ist wie im Sport: „Wer (bei den „Älteren“) auf die Prämie (den Produktverkauf) schielt, hat schon verlo-ren.“

Achten Sie auf die „Kleinigkeiten“

Weil sich die Gesellschaft 50Plus gegenüber eher in abwertender Art und Weise verhält und dem Jugendwahn frönt, ist es so leicht, durch andere Vorgehensweisen positive Aufmerk-samkeit bei der Zielgruppe zu finden. Entwickeln Sie eine Strategie, die sich von den Mitbe-werbern deutlich unterscheidet. Das fängt bei den Kleinigkeiten an: Für die „ältere“ Genera-tion stehen Bequemlichkeit, gute Erreichbarkeit des Geschäftes, persönliche und freundliche Ansprache an oberster Stelle auf der Wunschliste. Vor dem Hintergrund einer rasant zuneh-menden Zielgruppe 50Plus sollten Sie Ihre Geschäftsstellen z.B. zu Kommunikationszentren ausbauen und Außendienste einrichten, statt nach Filialschließungen die Kunden den Struk-turvertrieben zu überlassen. Sorgen Sie für diskrete Gesprächsatmosphäre. Richten Sie in Kooperation einen Geld- und Taxi-Service ein. Schicken Sie Ihre „älteren“ Mitarbeiter nicht in Vorruhestand sondern als Dienstleister – z.B. als Behörden-Manager oder Einkaufsberater - zu den „älteren“ Kunden. Lassen Sie die Geschäftsräume von 50Plus begutachten und besei-tigen Sie alle Hindernisse, wie z.B. Stolpereffekte, Drehtüren, nicht lesbare Orientierungshil-fen (auch Anglizismen). Gestalten Sie lesbare Kontoauszüge, größere Tastfelder an den SB-Geräten und füllen Sie – kostenfrei – Belege aus. Lassen Sie Ihre Mitarbeiter Namensschilder tragen und schaffen Sie ein Kunden-WC im Eingangsbereich. Richten Sie ein „Spinner-Team“ ein, das sich dauerhaft um Serviceverbesserungen für 50Plus kümmert. Und helfen Sie im-mer wieder den „jüngeren“ Mitarbeitern zu lernen, wie sie sich in die Situation der „älteren“ Menschen versetzen und auf deren Bedürfnisse angemessen eingehen können. Die Bezie-hungsebene ist wichtiger als der Deckungsbeitrag, der kommt, wenn die Chemie und die Leistungen stimmen, von selbst.

Heraus aus der Austauschbarkeit

Die genannten „Kleinigkeiten“ bringen Sie an die Startlinie; nachhaltig erfolgreich werden Sie, wenn Sie auf die Bedürfnisse und Probleme der „Älteren“ horchen und Experten für die Befriedigung der Wünsche und die Lösung der Probleme einsetzen. 50Plus haben ein ausge-prägtes Informationsbedürfnis, das die Bank vor Ort befriedigen kann. Geben Sie einem ge-eigneten Mitarbeiter die Chance, sich z.B. auf eine Aufgabe als „Informations-Broker für 50Plus“ zu konzentrieren. Gestalten Sie mit ihm eine virtuelle „Regionale Finanz-Akademie“ innerhalb derer er – mit Kollegen und Kooperationspartnern – in Seminaren, Vorträgen und Workshops – natürlich gegen Bezahlung - Finanzwissen vermittelt. Gründen Sie Wertpapier-clubs und Geld-Stammtische, richten Sie Finanz-Bibliotheken ein und bilden Sie Internet-Communities. Schaffen Sie Ihren Kunden Wissens-Vorsprung. Rechnen Sie mit 1 bis 3 Jahren Aufbauarbeit, die Ihrer Bank geistigen Vorsprung verschafft, der vom Wettbewerb nicht ko-pierbar ist. In ähnlicher Weise könnten andere, bedürfnisgeprägte Geschäftsfelder – speziell für 50Plus - gestaltet werden: Geregelte Hinterlassenschaft, Frühpensionierungs-Beratung, Unternehmens-Übergabe oder Passiv-Einkommens-Beratung usw. Oder denken Sie daran, dass der heutige Erbe im Durchschnitt selbst schon 55 Jahre alt ist und bieten Sie einen Ex-perten für Erbangelegenheiten an. Entscheidend ist die Konzentration eines Mitarbeiters auf eine entsprechende Aufgabe.

Das Alter ist weiblich

50Plus ist bei allen Banken und Sparkassen eine zu große Zielgruppe, um umfassend und bedürfnisorientiert attraktive Leistungen entwickeln zu können; der aktive, erlebnisorientierte 53Jährige Single hat sicher andere Bedürfnisse als der 62Jährige passive Genießer. Bilden Sie deshalb Teil-Zielgruppen. 94 Prozent der Frauen geben als wichtigstes Ziel ihrer Lebenspla-nung finanzielle Freiheit an und selbst innerhalb einer Partnerschaft wollen 80 Prozent der Frauen finanziell auf eigenen Beinen stehen. Geben Sie in diesem Bereich einer geeigneten Mitarbeiterin die Gelegenheit ein eigenes Leistungsprofil zu entwickeln und zu positionieren. Z.B. mit der Bereitstellung von Informationen, mit Karriereplanung und psychologischer Un-terstützung. Führen Sie Frauen-Finanz-Kongresse durch und bauen Sie Frauen-Netzwerke auf. Denken Sie daran: Wenn Sie heute eine 50Jährige Frau als Kundin gewinnen, können Sie mit einer Geschäftsbeziehung rechnen, die im Durchschnitt 30 Jahre dauert.

Prinzip der vollständigen Problemlösung

Es ist die Komplett-Leistung, die vollständige Problemlösung, die den Unterschied macht und die den Vorsprung schafft. Ein Kundenberater, der – mit Beratungsleitfaden und Zielvorga-ben ausgestattet – auf den Absatz austauschbarer Produkte fokussiert ist, ist ein Produktver-käufer, der es im Wettbewerb zunehmend schwerer haben wird, seine Vorgaben zu erfüllen. Ein Mitarbeiter, der zum Coach ausgebildet ist und der es sich zur Aufgabe macht, „ältere“ Menschen bei ihrer Lebensplanung zu unterstützen und ihrem Leben auch nach der Pensio-nierung einen Sinn zu geben, ist umfassender Problemlöser, schafft honorarfähige Leistun-gen und Kundenzufriedenheit. Dass seine Kunden bei ihm auch Finanzangebote nachfragen ist eine schlüssige Folge seiner Tätigkeit.

Dialogpartner
Helmut Muthers
Speaker & Business-Motivator
Experte für strategisches Chancen-Management
E-Mail helmut@muthers.at
Fon +43 (0) 664-4236366

Helmut Muthers ist als Professional Member anerkannt bei der GSA "German Speakers Association" und der IFFPS "International Federation For Professional Speakers".

2003 wurde Helmut Muthers vom Club 55 - exklusive 55-köpfige Gemeinschaft europäischer Marketing- und Verkaufsexperten - zum Expert-Member gewählt.