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Web 2.0-Plattformen für das Marketing nutzen

Grundsätzlich können zwei Arten von Web 2.0-Plattformen unterschieden werden: „Communities“ und „Consumer - generated - Conte Portale“. (Buchbeitrag)
Rainer Wiedmann | 20.11.2007
Dieser Fachartikel erschien im Leitfaden Online-Marketing
http://buchblog.marketing-boerse.de
http://www.marketing-boerse.de/Info/details/LeitfadenOM


100 Millionen Videos werden jeden Tag auf YouTube abgerufen, MySpace hat sich innerhalb von zwei Jahren unter die Top Ten der reichweitenstärksten Internetseiten der Welt katapultiert.

Beide sind sogenannte „Web 2.0-Plattformen“. Diese Web 2.0-Portale lassen sich vor allem durch zwei Dimensionen charakterisieren:

Zum einen wird der Nutzer vom passiven Inhalte-Empfänger zum aktiven Inhalte-Produzenten. Nutzer laden ihre selbst gemachten Texte, Fotos, Videos, Produkte oder Profile auf die Web 2.0-Portale. Diese sollen von anderen Nutzern abgerufen, kommentiert und bewertet werden – Konsumenten möchten über Web 2.0-Plattformen miteinander interagieren.

Zum anderen übernehmen Nutzer zunehmend die Funktion des Reichweitenaufbaus und „werben“ neue Besucher für die Portale – ursprünglich eine Aufgabe, die allein den Medien in Verbindung mit Mediaagenturen vorbehalten war.


Gründe für die Entstehung von Web 2.0-Plattformen

Doch warum bringen sich Nutzer plötzlich aktiv ins Netz ein, erstellen und distribuieren eigene Inhalte? Im Prinzip wäre das bereits seit den Anfängen des Internets möglich gewesen, einige Rahmenbedingungen haben sich allerdings stark verändert, so dass die beschriebene „Demokratisierung“ des Netzes erst im Web 2.0 erfolgte:

• Steigende Bandbreite und schnellere Verbindungen
• Sinkende Kosten und Internet-Flatrates
• Zunehmende Gewöhnung an und Vertrauen in das Medium Internet
• Standards bezüglich Browser und Usability der Internetseiten
• Software-Module, die die Redaktion und Einstellung von Inhalten ins
Internet in hohem Maße erleichtern


Reichweitenaufbau für Web 2.0-Plattformen

Die wenigsten Web 2.0-Portale betreiben klassisches Marketing. Die Reichweite wird zum Großteil durch den Nutzer generiert. Virtuelle Mund-zu-Mund-Propaganda, der „virale Effekt“, sorgt für eine Schneeballeffekt-artige Verbreitung der Inhalte. Inhalte werden von Nutzern weitergeleitet oder Nutzer laden andere Nutzer zum Besuch der Plattformen ein.

Hat eine Plattform einmal eine kritische Größe erreicht, sorgt die Presse meist für einen weiteren Schub an neuen Besuchern. Des Weiteren nimmt der „Verlinkungsgrad“ zum Portal zu, was wiederum einen Gewinn an Reichweite bedeutet.


Arten von Web 2.0-Plattformen

Grundsätzlich können zwei Arten von Web 2.0-Plattformen unterschieden werden: „Communities“ und „Consumer-generated-Content Portale“.

In Communities müssen sich Nutzer in der Regel registrieren. Sie legen ein Profil von sich selbst an und führen ein Adressbuch mit „Kontakten“ anderer Nutzer. Kern einer Community sind weniger die Inhalte, sondern mehr die Kommunikation und Interaktion zwischen den Nutzern.

Dagegen stehen auf Portalen mit „Consumer-generated-Content“ vor allem die von Nutzern generierten Inhalte im Mittelpunkt. Eine Registrierung ist zum Abruf der Angebote meist nicht erforderlich.

Deshalb besitzen Communities meist sehr gute Informationen über ihre Kunden, bei Content-Portalen trifft dies meist nur auf einen kleinen Kundenkreis zu.

Schnell wird klar, dass es ebenfalls Unterschiede in der „Währung“ gibt, mit der die zwei Plattformarten bewertet werden. Zählen bei den Communities vor allem die registrierten Nutzer in Kombination mit den Seitenaufrufen, den sogenannten Page Impressions, ist für die Content-Portale lediglich die Reichweite in Form von Visits, also Besuchern, und Page Impressions relevant.


Massenmarkt versus Nischenthemen

Inzwischen sind viele der allgemeinen „Massenthemen“ besetzt: Für das Thema Video haben sich in Deutschland beispielsweise die „Schwergewichte“ YouTube, myvideo und Clipfish etabliert. Große Communities sind myspace, Stayfriends oder die Lokalisten.

In der nächsten Zeit wird sich der Markt deshalb ausdifferenzieren. Das kann einerseits bedeuten, dass Zielgruppen-spezifische Plattformen entstehen. So gibt es mit „StudiVZ“ die erste Community in Deutschland, die sich explizit an die Zielgruppe der noch Studierenden richtet. Daneben ist mit „SchülerVZ“ das Schwesterprodukt für Schüler kreiert worden.

Andererseits sind neben der zunehmenden Fokussierung von Plattformen auf bestimmte Zielgruppen auch Themen-spezifische Portale im Kommen. Der Wettbewerb im Bereich der Reisecommunities beispielsweise hat in der letzten Zeit stark zugenommen, erste Spezialangebote für die Bereiche Fashion, Banking, Bücher und viele andere Themen mehr gewinnen gerade an Bedeutung und Reichweite. So konkurriert innerhalb der Top 5 der Web 2.0-Reiseportale in Deutschland der heimische Betreiber holidaycheck mit den angloamerikanischen Angeboten Tripadvisor, WAYN, Wikitravel und Virtualtourist. Auch zwischen diesen Portalen gibt es große Unterschiede: Während holidaycheck und Tripadvisor sich auf die Bewertungen von Hotels und anderen reiserelevanten Objekten fokussieren, ist WAYN im Kern eine Reisecommunity, auf der Reisende die Daheimgebliebenen auf dem Laufenden halten können. Wikitravel ist ein virtueller Reiseführer, Virtualtourist eine Community für Reiseinteressierte.

Durch die Spezialisierung der Communities und Content-Portale werden immer spitzere Zielgruppen mit einem ähnlichen Interessenprofil angesprochen.


Einsatz von Marketing-Tools auf Web 2.0-Plattformen

Im Prinzip gibt es auf Web 2.0-Plattformen alle gängigen Online-Werbemöglichkeiten wie Banner, Pop-Ups oder Interstitials, darunter versteht man eine „Unterbrecher“-Seite, um Werbung anzuzeigen, bevor die eigentliche Homepage erscheint.

Allerdings ist das Angebot an „klassischen“ Online-Werbeformen noch stark vom Betreiber abhängig. Nahezu alle Portale haben die kontextsensitiven Werbeblöcke von Google integriert.

Aufgrund der teilweise hohen Reichweiten und der interessanten Zielgruppen-strukturen sind Web 2.0-Portale inzwischen zu einem relevanten Werbeumfeld geworden:

Knapp zwei Drittel der Besucher von YouTube liegen in der Kernzielgruppe der Werbewelt und sind zwischen 18 und 49 Jahren alt. Bei myspace sind drei Viertel der registrierten Nutzer älter als 18 und noch nicht 55 Jahre alt. Folglich sind es also nicht nur Teenager mit viel Zeit, die die Web 2.0-Plattformen bevölkern.

Prinzipiell noch spannender als die klassischen Online-Werbeansätze sind virale Kampagnen, die über Web 2.0-Plattformen verbreitet werden können. Virale Botschaften zeichnen sich dadurch aus, dass Nutzer sich dazu verleitet fühlen, die (Werbe-) Nachricht an andere Nutzer des eigenen sozialen Netzwerks weiterzuleiten. So können in kürzester Zeit sehr hohe Reichweiten entstehen. Virale Mechanismen funktionieren über zwei verschiedene Hebel: Entweder sind die Inhalte derart unterhaltsam, „heiß“, provokativ oder in anderer Weise relevant, dass die Nutzer sie ohne besondere Incentivierung weiterleiten, oder es werden bestimmte Anreize für die Weiterleitung der virtuellen (Werbe-) Nachricht gesetzt. Prominentestes Beispiel der jüngsten Vergangenheit für Variante 1, bezüglich besonders überzeugender Inhalte, sind die Fahrstunden von Horst Schlämmer alias Hape Kerkeling, die er in einem viel zitierten und vom Hersteller gesponsorten VW Golf verbrachte. Die Clips erreichten schnell Kultstatus und wurden millionenfach angesehen.

Werbebotschaften kommen jedoch oftmals nicht ohne spezielle Anreize aus. Die Distribution der Werbeinhalte kann „belohnt“ werden – durch die Steigerung von Gewinnchancen, den Erhalt von Gutscheinanteilen oder ähnlichen Mechanismen.

Eine besondere Form von viralen Kampagnen stellen von Nutzern generierte Werbebotschaften dar. BMW oder Mastercard arbeiten schon mit beachtlichem Erfolg mit von Nutzern erstellten Kampagneninhalten.

Noch einen Schritt weiter kann man vor allem im Community-Marketing gehen. Die klar definierten, gut zu erreichenden Zielgruppen können mit speziellen Kooperationsangeboten angegangen werden, die exklusiv auf der Plattform platziert werden. So hat zum Beispiel XING unter dem Reiter „Premium World“ eine ganze Reihe von Partnerangeboten integriert, die auf die Mitglieder der Business Community zugeschnitten sind.


Marktforschung auf Web 2.0-Plattformen

Nutzer auf Web 2.0-Plattformen sind aktiv. Gerade in Communities sind die Profile der Nutzer im Detail bekannt, generell sind auf vielen Plattformen spezifische Themenumfelder relativ einfach zu identifizieren. Keine schlechten Bedingungen für die Durchführung von Marktforschungsuntersuchungen.

Einige Unternehmen haben einen Shop in Second Life installiert, um dort neue Produkte zu testen. Der US-amerikanische Snack-Hersteller Kettle lässt neue Geschmacksrichtungen von Kunden vorschlagen und anschließend testen. Andere Unternehmen lassen Produkte oder Werbekampagnen auf Web 2.0-Plattformen diskutieren, um die Sicht der Endkonsumenten besser zu verstehen.


Web 2.0-Plattformen als Vertriebskanal

eBay ist der Klassiker unter den Web 2.0-Vertriebsplattformen. Konzipiert für Auktionen von privaten Konsumenten an private Konsumenten, haben viele gewerbliche Anbieter den Weg auf dieses Portal gefunden. Das Herzstück vieler Web 2.0-Reiseportale bilden Nutzer-generierte Empfehlungen und Bewertungen von Reisedestinationen oder der Austausch mit anderen Reisenden. Über nahezu alle Web 2.0-Reiseplattformen kann man inzwischen jedoch auch Hotels, Flüge oder Mietwagen buchen. Transaktionsbasierte Erlöse können demnach zum festen Bestandteil von Web 2.0-Angeboten werden.


Vorteile von Web 2.0-Plattformen für Marketingzwecke

Viele der Vorteile sind bereits in den vorangegangenen Abschnitten erwähnt worden:

• hohe Reichweiten: Viele der Web 2.0-Plattformen können es in punkto Reichweite längst mit den etablierten Internetseiten wie Spiegel Online, Yahoo oder MSN aufnehmen
• virale Strukturen: Web 2.0-Portale profitieren in einem viel höheren Maße als „klassische“ Internetangebote von der Lust des Nutzers, Inhalte viral zu verbreiten – so können auch Werbepartner von den hohen Nutzerzahlen der Portale profitieren und viral Reichweite aufbauen
• „spitze“ Zielgruppen: Vor allem in Communities und auf spezialisierten Plattformen können relativ klar definierte Zielgruppen erreicht werden
• Nutzerprofile: In Communities können oftmals sehr genaue Informationen über den einzelnen Nutzer abgerufen werden
• relativ geringe Kosten: Hohe Reichweiten und virale Strukturen reduzieren die nötigen Investitionskosten in Web 2.0-Plattform- Kampagnen erheblich


Auswahl der richtigen Web 2.0-Plattform

Bevor Unternehmen in den „Kern“ des Web 2.0-Marketings vordringen und Kampagnen auf Web 2.0-Portalen schalten, sollten einige Parameter der Plattform-Auswahl überdacht werden.


Communities versus „Consumer-generated-Content-Portale“

Zunächst ist es wichtig, die zu Beginn genannte Unterscheidung zwischen Commu-nities und Content-Portalen zu beachten.

Content-Portale zeichnen sich durch relativ hohe Nutzerzahlen und eine „offene“ Plattform aus, die keine Registrierung erfordert. Dort sind Marketing-Kampagnen gut platziert, die vor allem auf die Generierung von Reichweite ausgerichtet sind. Einige allgemeine Content-Portale arbeiten inzwischen mit Themen-Channels, so dass eine kontext-sensitive Platzierung dort möglich ist. Inzwischen sehr ausgefeilte „Tagging“-Mechanismen erlauben auch eine sehr gute Identifikation von einzelnen Beiträgen zu bestimmten Themen. Dort können die Werbemaßnahmen zukünftig - kontext-sensitiv - platziert werden. Innerhalb der Foto-Community Flickr zum Beispiel werden alle hoch geladenen Fotos mit bestimmten Stichwörtern – den so genannten „Tags“ – versehen. So können Bilder, die einem bestimmten Thema zugeordnet sind, mit korrespondierenden Werbebotschaften angereichert werden.

Communities dagegen verlangen meist eine Registrierung von ihren Nutzern. Diese legen ein Profil an, so dass detaillierte Informationen über sie vorliegen. Eine Platzierung von Werbeinhalten im Umfeld einer adäquaten Zielgruppe ist einerseits über den Fokus der Community möglich, zusätzlich besteht die Möglichkeit, bestimmte Kundengruppen, nach gewissen Attributen selektiert, gezielt anzusprechen.


Massenmarkt versus Nischenthemen

Die zweite wichtige Dimension ist die Frage der Positionierung der Plattform. Will man eine relativ breite Zielgruppe ansprechen, so sind undifferenzierte „Massen“-Portale die richtige Wahl.

Geht es um einen eher speziellen Kampagneninhalt, so sind Portale mit einem bestimmten Zielgruppen- oder Themenfokus sinnvoll.

Unabhängig davon, ob die Marketingmaßnahme im Umfeld eines Content-Portals oder einer Community platziert werden soll, oder ob das Portal eher Massen- oder Nischenthemen fokussiert, die Zielgruppe ist entscheidend. So ist zum Beispiel die Plattform „StudiVZ“, die sich an Studenten richtet, vor allem für Unternehmen interessant, die Zielgruppen in dieser Lebensphase angehen, wie zum Beispiel MLP oder VW.


Fazit

Der Einbezug von Web 2.0-Plattformen in den Marketing-Mix kann in vielerlei Hinsicht interessant sein. Sind Kampagnen intelligent und überzeugend gemacht, können virale Effekte für hohe Reichweiten sorgen. Selbst die Produktion der Kampagneninhalte lässt sich genauso wie die Bereiche Marktforschung und Produkttests an den Nutzer „auslagern“.

Werbeinhalte können darüber hinaus auf Web 2.0-Plattformen in einem Umfeld platziert werden, das von der Zielgruppe her gut auf die Angebote abgestimmt werden kann.

Auf die Auswahl der Plattformen und die Abstimmung der Kampagneninhalte auf die selektierten Portale sollte einiges Augenmerk gelegt werden. Der Zielgruppen-analyse sollte zudem einiges Gewicht zufallen. Eine kurze Marktforschungs- und Testingphase hilft, die Kampagneninhalte auf Portal, Zielgruppe und „virale Tauglichkeit“ hin zu optimieren. Agenturen, die bereits einige Erfahrungen im Web 2.0 gesammelt haben, können hier unterstützen.

Web 2.0-Plattformbetreiber haben gerade erst damit angefangen, die hohen Reichweiten zu vermarkten und zu monetarisieren. Schon bald werden mannigfaltige Werbe- und Kooperationsmöglichkeiten im Umfeld von Web 2.0-Plattformen entstehen.


Literatur

[1] alexa.com
[2] Nielsen / Netrarings, comScore Networks, FoNK
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Erik Möller: Die heimliche Medienrevolution. Wie Weblogs, Wikis und freie Software die Welt verändern. – 231 Seiten, ISBN: 978-3936931365, Heise Verlag, Februar 2006
Frank Mühlenbeck: Community Marketing Management. Wie man Online-Communities im Internet-Zeitalter des Web 2.0 zum Erfolg führt. – 216 Seiten, ISBN: 978-3833492624, Books on Demand GmbH, März 2007.
Thorsten Riedl: Das Mitmach-Internet. - Süddeutsche Zeitung, 12./13. August 2006.
Rainer Wiedmann: Geschäftsmodelle für die Web 2.0 Ära. - aquarius consulting, Januar 2007.
Ansgar Zerfass: Die neuen Meinungsmacher. Weblogs als Herausforderung für Kampagnen, Marketing, PR und Medien. – 191 Seiten, ISBN: 978-3901402456, Nausner & Nausner, September 2005.