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Lebendige Landschaften in den neuen Bundesländern

30 Jahre nach dem Mauerfall: Familienunternehmen leisten maßgeblichen Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung in Ostdeutschland.
30 Jahre nach dem Mauerfall: Familienunternehmen leisten maßgeblichen Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung in Ostdeutschland © Pixabay / rawpixel
 
Die Stiftung Familienunternehmen zieht anlässlich des 30. Jahrestags des Mauerfalls am 9. November eine positive Bilanz der wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen Bundesländern. „In den vergangenen drei Jahrzehnten ist es gelungen, eine lebendige Landschaft an Familienunternehmen in den neuen Bundesländern aufzubauen“, sagt Stefan Heidbreder, Geschäftsführer der Stiftung Familienunternehmen anlässlich der Präsentation der Studie „Industrielle Familienunternehmen in Ostdeutschland“. „40 Jahre Sozialismus haben ihre Spuren hinterlassen. Doch dass heute wieder 92 Prozent aller Unternehmen in den neuen Bundesländern Familienunternehmen sind, zeugt von einer enormen Schaffenskraft. Familienunternehmen sind Teil unserer gesellschaftlichen und kulturellen DNA – und zwar in allen Teilen Deutschlands.“

Die Stiftung Familienunternehmen hat nun die erste wirschaftshistorische Studie vorgelegt, die die Bedeutung der Familienunternehmen in Ostdeutschland untersucht. Die von den Historikern Dr. Rainer Karlsch (IfZ – Institut für Zeitgeschichte München-Berlin) und Dr. Michael Schäfer (TU Dresden) verfasste Studie zeigt auf, wie eine einst reiche Landschaft an starken Familienunternehmen durch Krieg, Besatzung und Sozialismus Schaden nahm, nach der Wende aber wieder zum Motor für Wachstum und Beschäftigung wurde. „Die allmähliche Reindustrialisierung in den ostdeutschen Bundesländern wird heute wieder überwiegend von mittelständischen Familienunternehmen getragen und wirkt positiv auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes“, schreiben die Autoren zusammenfassend.

Vor der deutschen Teilung gehörten insbesondere Berlin, Sachsen, Thüringen und Anhalt zu den stärksten Wirtschaftsregionen Deutschlands. Das änderte sich nach dem zweiten Weltkrieg. „Die zuvor überragende Bedeutung von Familienunternehmen wurde durch Enteignungen und Demontagen erschüttert“, schreiben die Autoren. „Zehntausende Familienunternehmen gaben auf oder wanderten notgedrungen in den Westen ab.“ Sie befeuerten damit auch das Wirtschaftswunder in Westdeutschland.

Die Studie zeigt auch, wie eng Unternehmerfamilien mit ihren Betrieben und ihrer Heimat verbunden sind. Nach der Wende knüpften viele Unternehmerfamilien aus Ost und West an ihre Traditionen an. Gesellschafterfamilien übernahmen wieder ihre einst verstaatlichten Betriebe. Einst in den Westen abgewanderte Familienunternehmen investierten in ihre früheren Standorte, einige verlagerten ihre Firmensitze. „Die Motive waren selten nur rein wirtschaftlicher Natur“, heißt es in der Studie. „Ebenso wichtig waren emotionale Gründe und der Wille, einen Beitrag für den ‚Aufbau Ost‘ zu leisten.“ Hinzu kamen zahlreiche Neugründungen sowie viele Fälle, in denen frühere Manager und Ingenieure Volkseigener Betriebe, oft zusammen mit Kapitalgebern aus den alten Bundesländern, eine neue Generation von Familienunternehmen begründeten. Insgesamt identifiziert die Studie acht solcher Entwicklungspfade von Familienunternehmen in Ostdeutschland.

Eine Auswertung von mehr als 4.500 Unternehmen zeigt, dass ostdeutsche Familienunternehmen in vielen Branchen wieder starke Positionen einnehmen. In der Produktion von Glas, Papier, Folien und Süßwaren zählen sie zur Spitze in Europa. Eine Wiederbelebung gelang auch in der Herstellung von Musikinstrumenten, Uhren, Spielzeug und Brillen. Auch die ostdeutsche Bauwirtschaft hat sich positiv entwickelt. Große Teile des Maschinenbaus, der Konsumgüterindustrie und der Elektrotechnik/Elektronik mussten hingegen Einschnitte hinnehmen.

Die Studie zeigt auch die unheilvolle Dynamik des Sozialismus in der DDR auf. Die Eingriffe in das Privateigentum wurden immer schwerwiegender. Unternehmer wurden zunächst systematisch schlechtergestellt, etwa durch hohe Steuern („Kapitalistentarife“), die höhere Leistung unrentabel machten. In der Studie ist von einem „Steuerkrieg“ gegen Familienbetriebe die Rede. Die Anzahl der Privatunternehmen ging zwischen 1948 und 1950 von mehr als 36.000 auf rund 17.500 zurück. Es folgten bald weitere Maßnahmen, wie der Entzug von Lebensmittelkarten und der Ausschluss aus der Kranken- und Sozialversicherung. Außerdem wurde der Rohstoffbezug stark reglementiert. Das Resultat: Der Anteil der Privatwirtschaft an der Produktionsleistung sank bis 1953 auf nur noch 15 Prozent.

1972 folgte der finale Schlag gegen den verbliebenen Mittelstand mit der Verstaatlichung von mehr als 11.800 Unternehmen. Unternehmertum konnte sich danach nur noch im Handwerk, Einzelhandel und in der Gastronomie halten. Zwischen 1971 und 1989 sank der Anteil der Privatwirtschaft am Nettoprodukt der DDR von 15 auf vier Prozent. Mit der Verstaatlichung der Privatunternehmen ging eine Verknappung von Produkten einher. „Ein Eingriff in das Privateigentum hat zwangsläufig den nächsten nach sich gezogen. Das hatte fatale Folgen für den Lebensstandard in Ostdeutschland und trug letztlich mit zum Zusammenbruch der DDR bei“, sagt Heidbreder. „Wer heute leichtfertig über Enteignungen spricht, ignoriert – in Kenntnis unserer Geschichte – bewusst den Schaden, der den Bürgern und der Wirtschaft am Ende entsteht.“