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TV bietet Ablenkung vom Corona-Alltag

Corona-Report 2021: Die Bewegtbildnutzung ist auch im zweiten Pandemie-Jahr auf hohem Niveau. Fernsehen hilft, das „Nichts-Tun-Können“ zu kompensieren
TV bietet Ablenkung vom Corona-Alltag © freepik / user15145147
 

Die Corona-Pandemie geht ins zweite Jahr und sorgt weiterhin für einen Ausnahmezustand im öffentlichen und privaten Leben. Die Beeinträchtigungen des Alltags, die Corona mit sich gebracht hat, haben auch Auswirkungen auf den TV- und Streaming-Konsum. Mit dem „Corona Report 2021“ legt die AGF ein Update ihres im April 2020 veröffentlichten Berichts vor und analysiert erneut in Zusammenarbeit mit dem Institut rheingold salon das ‚Wie?, Was?, Wie viel? und Warum?‘, also die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Bewegtbildnutzung aus quantitativer und qualitativer Perspektive. „Wir sehen weiterhin deutliche Corona-Effekte: Die TV-Nutzung liegt im Gesamtpublikum erneut über dem Vor-Corona-Jahr 2019 und auch Streaming steigt deutlich an“, sagt Kerstin Niederauer-Kopf, Vorsitzende der Geschäftsführung der AGF Videoforschung in Frankfurt.

Die ergänzende tiefenpsychologische Untersuchung, die rheingold salon im Auftrag der AGF durchgeführt hat, zeigt, dass Bewegtbild und insbesondere TV in der aktuellen Situation die wichtige Funktion zukommt, das „Nichts-Tun-Können“ zu kompensieren und weiterhin an den Geschichten des Lebens teilzuhaben. Die Analysen zeigen allerdings auch, dass sich die coronabedingte hohe TV- und Videonutzung in 2021 gegenüber den starken Vorjahreswerten verändert hat und eine erwartbare „Corona-Müdigkeit“ einsetzt. Wenngleich die Corona-Pandemie weltweit einschneidende Wirkung auf Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft nimmt, so haben digitale Prozesse vielfältig verstärkend gewirkt. So auch in den Medien.

Corona-Effekte im Fernsehen: Nettoreichweite und Sehdauern auf hohem Niveau

Im 1. Quartal 2021 lag die Nettoreichweite von Fernsehen (0/1-Kontakt) bei den Erwachsenen ab 14 Jahren bei 76,4 Prozent pro Tag und damit über dem Niveau der Jahre 2020 und 2019. Das bedeutet, der Anteil der Menschen, die in den ersten drei Monaten des Jahres mindestens einmal Kontakt mit dem Medium TV hatten, ist weiter gestiegen.

Dabei haben nicht nur mehr Menschen ferngesehen, sie haben auch länger eingeschaltet: So beläuft sich die durchschnittliche Sehdauer bei den Zuschauern gesamt (ab 3 Jahren) im 1. Quartal 2021 auf 243 Minuten – 8 Minuten oder 3,2 Prozent mehr als im 1. Quartal 2020 (235 Minuten). Die Sehdauer liegt damit nicht nur über dem Vorjahresniveau, sie hat sich auch besser entwickelt als prognostiziert. Die im Auftrag der AGF vom Daten- und Softwarespezialist DAP erstellte Trendanalyse zeigt für das Medium TV, dass es in beiden Lockdowns klare, positive Corona-Effekte gab, die den tendenziellen Rückgang der TV-Nutzung überkompensiert haben – und noch kompensieren. Diese Effekte sind jedoch im 2. Lockdown (ab 31.10.2020) weniger stark ausgeprägt als im 1. Lockdown (qua Definition 10.3.-15.5.2020), als Corona den Alltag der Menschen von jetzt auf gleich drastisch verändert hat.

Ein Blick in einzelne Zielgruppen zeigt jedoch, dass es Unterschiede in den Altersklassen gibt: „Wir beobachten insbesondere bei jüngeren Zielgruppen eine Veränderung der linearen TV-Nutzung: Man schaltet punktueller ein – nutzt gelernte Formate und Einschaltzeitpunkte. Strukturgebende Elemente sind neben unterhaltenden nach wie vor sehr beliebt und treiben die TV-Nutzung auch in den jüngeren Zielgruppen, trotz einem vermeintlichen Überangebot an Bewegtbildalternativen, die zudem nicht mehr nur an ein Device gebunden sind“, analysiert Kerstin Niederauer-Kopf. Ältere Zuschauer, beziehungsweise Personen ab 50 Jahren, schauen dem gegenüber weiterhin deutlich länger fern als 2020 oder auch in der Vor-Corona-Zeit: „Viele ältere Zuschauer sind in ihren Freizeitmöglichkeiten eingeschränkter als jüngere Zielgruppen und mehr denn je an ihr Zuhause gebunden. Sie haben aufgrund der Kontaktbeschränkungen weniger Austausch mit anderen Menschen. Entsprechend wird Fernsehen für sie besonders stark zu einem Fenster in die Welt“, sagt Kerstin Niederauer-Kopf.

Bei den 14- bis 49-Jährigen gab es im TV ein leichtes Minus im Vergleich zu einem allerdings äußerst starken Vorjahreszeitraum: Die durchschnittliche Sehdauer im 1. Quartal 2021 lag bei 142 Minuten und damit um 8 Minuten beziehungsweise 5,2 Prozent unter dem Niveau von 2020. „Berücksichtigt man den grundsätzlich negativen Trend in jüngeren Zielgruppen, so ist dieser Rückgang jedoch deutlich geringer als erwartet ausgefallen“, so Niederauer-Kopf.

Selten wurde soviel Zeit für TV- aber auch Videonutzung aufgebracht wie 2020. „Wir rechnen im Moment damit, dass die Corona-Effekte in der TV-Nutzung und teilweise auch der Streaming-Nutzung abschmelzen werden, insbesondere dann, wenn sich die Situation aufgrund eines nachlassenden Infektionsgeschehens zusehends normalisiert, sich zudem das Wetter verbessert und die Menschen sich wieder uneingeschränkt Outdoor-Aktivitäten widmen können – auch wenn wir bis dahin wohl noch einen Weg vor uns haben.“ Dann seien auch Nachholeffekte nicht auszuschließen, allerdings zeige sich gerade in Zeiten eines extrem schnell und umfangreich wachsenden non-linearen Bewegtbildangebotes, dass lineares TV die Klaviatur insbesondere im Bereich der Informationsendungen, der Liveübertragungen und der Unterhaltungsshow zu bedienen weiß.

Streaming: Corona und Digitalisierung treiben die Nutzung

Nicht nur die TV-Nutzung, auch die Streaming-Nutzung von Broadcast-Inhalten ist in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen. Darin spiegelt sich der ohnehin positive Trend für Bewegtbild im Allgemeinen wider, der durch Corona verstärkt wurde. Die Nettoreichweite bei den unter AGF-Messung stehenden Video-Angeboten, die überwiegend zu Broadcastern gehören, ist im Gesamtpublikum im 1. Quartal 2021 im Vergleich zum Vorjahresquartal um knapp 62 Prozent gestiegen – ein deutlicher Sprung, wenn auch von vergleichsweise niedrigem Niveau auf 4,004 Millionen pro Tag. Parallel dazu ist auch eine deutliche Steigerung im Nutzungsvolumen zu verzeichnen, und zwar um 69,7 Prozent auf rund 19.056 Millionen Sekunden (Stand: 12.04.2021).

Das gestiegene Interesse an Streaming-Content spiegelt sich außerdem in Befragungsstudien der AGF wider, die unter anderem Aufschluss über die Nutzung von Netflix & Co geben, beispielsweise in der Plattform-Studie 2020-II.

Rückgang der Außer-Haus-Nutzung: Willkommen im ‚Chez Nous‘

Ausgangssperren in besonders betroffenen Regionen und Landkreisen und die zeitweise gültigen Beschränkungen in der Personenanzahl für Treffen mit Freunden und Familien zeigen sich ebenfalls in den TV-Daten: Die Außer-Haus-Nutzung lag im Gesamtpublikum in den Monaten ab März 2020 unter dem Vorjahresniveau – ab August 2020 sogar deutlich. Lediglich zu Weihnachten gab es einen signifikanten Anstieg. Es ist eine Entwicklung, die sich in Abhängigkeit von den gültigen Beschränkungen voraussichtlich fortschreiben wird.

Dass die Kontaktbeschränkungen weitreichend Einfluss nehmen, zeigte sich am Jahresende 2020 besonders deutlich in der TV-Nutzung am Heiligabend oder auch an Silvester. Die durchschnittliche Sehbeteiligung in der Primetime von 20-23 Uhr markierte am 24.12.2020 mit 21,568 Millionen Zuschauern im Gesamtpublikum ein Zehn-Jahres-Hoch. Sie lag mit 10,1 Prozent oder 1,984 Millionen deutlich über dem Wert vom 24.12.2019.

Corona hinterlässt ebenfalls an Silvester in der Zeit von 20:00 – 01:00 Uhr deutliche Spuren. Die Beschränkungen für persönliche Treffen, die für den Jahreswechsel galten, spiegeln sich in einer sichtlich höheren TV-Nutzung wider: Mit 26,464 Millionen Zuschauern lag die Sehbeteiligung im Zehn-Jahres-Vergleich ebenfalls auf einem Rekordniveau. Im Vergleich zu 2019 haben 4,117 Millionen Zuschauer oder 18,4 Prozent mehr eingeschaltet. 

Tiefenpsychologische Studie: Fernsehen beruhigt in einer Zeit des Stillstands

Die tiefenpsychologische Analyse des rheingold salons in Köln zeigt, wie sich die Bedeutung von Bewegtbild im Laufe der Pandemie verändert hat. Dafür hat rheingold salon in der zweiten Märzhälfte 16 einstündige Tiefeninterviews in unterschiedlichen Altersklassen geführt. Jeweils vier Befragte im Alter von 14 bis 19 Jahren, 20 bis 29 Jahren, 30 bis 49 Jahren und über 50 Jahren gaben Auskunft über ihre Bewegtbildnutzung, ihre Nutzungsmotive und auch über ihre Haltung zu Werbemaßnahmen. Diese Ergebnisse konnten auf qualitativer Ebene hilfreiche Einsichten zu einer veränderten Bewegtbildnutzung liefern, die sich durch die Analysen der AGF quantifizieren lassen.

Grundsätzlich war dem Tenor aus den Tiefeninterviews zu entnehmen, dass sich die Befragten zunehmend an eine intensivere TV-Nutzung gewöhnt haben. Dies wird durch die Bindung an die häusliche Umgebung verstärkt, die zum einen Lebensmittelpunkt, zum anderen oftmals auch Arbeitsstätte geworden ist. Nach Auskunft aller Befragten wird Bewegtbild stärker, bisweilen aber auch etwas unspezifischer genutzt.

Eine besondere Aufgabe kommt derzeit stark etablierten TV-Formaten zu, die Struktur im Alltag schaffen, beispielswiese beliebte Vorabend-Serien, aber auch die Nachrichtensendungen. „Der ewige Lockdown lässt den Alltag zu einem Einheitsbrei verschwimmen. Durch das Fehlen von Tages-Highlights haben die Menschen ihr Zeitgefühl und damit die Orientierung verloren – diese sind aber notwendig“, beschreibt Ines Imdahl, Gründerin und Geschäftsführerin des rheingold salons, die sich zunehmend einstellende Haltung der Befragten. „Fernsehen hilft vielen Menschen dabei, sich abzulenken, sich nicht aufzuregen, nicht zu traurig zu sein und nicht zu viel nachzudenken.“ Andere Menschen versuchen, der Pandemie mit einer Art relativierenden Intellektualisierung zu begegnen. Sie nehmen eine Leuchtturmperspektive ein und versuchen so, Abstand zwischen sich und das Geschehen zu bringen.

Was allen fehlt, ist selbst Erlebtes, über das sie mit anderen sprechen könnten. „Im ersten Lockdown hat man vor allem vermisst, Restaurants zu besuchen, shoppen zu gehen, auszugehen und zu daten. Nun wird deutlich: Man vermisst vor allem die Geschichten, die man sich über das Erlebte erzählen kann, denn man selbst erlebt nichts mehr“, so Imdahl. Waren Reality-Shows im 1. Lockdown noch ein Realitätsersatz, so sind sie nun eine wichtige Option, überhaupt noch an den Geschichten des Lebens anderer teilzunehmen. „Factual Entertainment/Reality und auch Shows liefern den Menschen aktuell die dringend nötigen Geschichten für das Seelenleben.“

Auch Nachrichten haben ihre Funktion während der Pandemie leicht verändert: Zum einen sind seriös und gut recherchierte Informationssendungen nach wie vor Quelle für den täglichen Regel-Check-up. Zum anderen bieten Nachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen wie auch privaten Sender aber auch Gesprächs- und Zündstoff zugleich, über den eifrig debattiert werden kann.

Genres: Information und Unterhaltung stehen hoch im Kurs

Das zeigen auch die quantitativen Analysen der AGF: Betrachtet nach Genres standen 2020 besonders Factual Entertainment/Reality Shows, Show/Entertainment und Nachrichten hoch im Kurs. „Die Menschen wollen einerseits gut informiert sein und andererseits abgelenkt, erheitert oder auch überrascht werden“, sagt Niederauer-Kopf.

Bei den ab 14-Jährigen stieg die Sehdauer von Reality Shows und Factual Entertainment 2020 gegenüber 2019 um 22,6 Prozent auf 10792 Minuten. Die Top 20 (Zuschauer gesamt) wird dominiert von Shows wie „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus“ und „Bauer sucht Frau“ (beide RTL).  Tier- und Gartensendungen wie „Martin Rütter – Die Welpen kommen“ und „Ab ins Beet!“ haben sich jedoch bereits 2020 größerer Beliebtheit erfreut. Das Format „Die Welpen kommen“ (RTL) führt im 1. Quartal 2021 nun sogar die Top 20-Hitliste für Factual Entertainment/Reality an. „Das korrespondiert mit den Meldungen zu steigendem Haustierbesitz und der aktuell hohen Begeisterung der Deutschen für Heimwerken und Gartenarbeit“, so Niederauer-Kopf.

Die Sehdauer von Shows bei den ab 14-Jährigen ist 2020 im Vergleich zu 2019 um 6,9 Prozent angestiegen. Psychologisch betrachtet haben auch Shows einen stark ablenkenden und überraschenden Charakter, geben dem Alltag einen Rahmen, eine Struktur und fördern den Austausch. Formate wie „The Masked Singer“, „Germany’s Next Topmodel“ (beide Pro Sieben), „Let’s Dance“ (RTL) und dergleichen führen die Rankings insbesondere bei jüngeren Zielgruppen an. Daneben begeistern auch Quizshows wie „Klein gegen Groß“ im Ersten oder auch die „heute-show“ im ZDF das Gesamtpublikum.

Aus der tiefenpsychologischen Analyse lässt sich ableiten, dass die Formate umso besser ankommen, je näher sie auch unter Corona-Bedingungen am Original sind. „Derzeit ist keine gute Zeit, um an bewährten Sendekonzepten herumzuexperimentieren, der Zuschauer bevorzugt derzeit bereits verinnerlichte Strukturen und Formatierungen“, rät Imdahl.

Wenngleich sich auch für serielle Formate ein Sehdauer-Zuwachs von 5,1 Prozent im Jahr 2020 feststellen lässt, so haben Serien vergleichsweise weniger von den Corona-Effekten profitiert. Insbesondere in jüngeren Zielgruppen ist die Sehdauer für das lineare Angebot zurückgegangen. Streaming-Dienste wie Netflix, Amazon Prime und die Mediatheken der Broadcaster konkurrieren im Bereich des seriellen Qualitätscontents mit dem linearen Angebot. „Der Befund, dass Serien im linearen TV weniger stark von der coronabedingt steigenden Fernsehnutzung profitieren als andere Genres, passt zu dieser Entwicklung“, so Niederauer-Kopf.

Das zeigt sich auch in der Analyse von rheingold salon: Insbesondere Netflix-Serien stehen bei den Befragten aufgrund des breiten und auch internationalen Angebots hoch im Kurs. „Sie ermöglichen eine Flucht aus der Realität in die Parallel-Welt von Netflix und helfen dabei, Corona zu verdrängen“, so Imdahl. Dabei werden zum einen gerne bereits bekannte Serien immer wieder gesehen, aber zum anderen auch neue Serien schneller abgebrochen. Manche Menschen ziehen sich komplett in eine Serien-Parallel-Welt zurück und bewegen sich in einer Fan-Community, ohne Bindung zur realen Welt.

Sport-Inhalte haben coronabedingt 2020 bei den Erwachsenen ab 14 Jahren einen deutlichen Rückgang erfahren. Die Sehdauer sank um 26,2 Prozent auf 3816 Minuten. Das Minus ist nicht verwunderlich, bedenkt man, dass insbesondere 2020 von Wettkämpfen geprägt gewesen wäre, die Corona-bedingt ausgefallen sind. So wurden Sportgroß-Events wie die Olympischen Spiele und die Fußball-Europameisterschaft EURO 2020 verschoben und auch die Austragung der sogenannten Geisterspiele vor leeren Zuschauerrängen haben ihren Anteil an dem Rückgang der Sehdauer in allen Zielgruppen. Im 1. Quartal 2021 zeigt sich hier jedoch eine Erholung.

Nachrichten tragen durch den Corona-Alltag

Die Nachrichten sind seit Beginn der Corona-Pandemie fest im Relevant Set der Zuschauer – und zwar aller Altersklassen – verankert. Die Berichterstattungskompetenz der großen öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF, aber auch der privaten Sender gehören unverzichtbar zum Tagesprogramm. Auch Nachrichtenspartensender wie WELT, N-TV, Tagesschau24 oder auch Phoenix konnten ihre Marktanteile im Jahr 2020 deutlich steigern. Der Nachrichtensender Phoenix steigerte den Marktanteil bei den Zuschauern gesamt von 2019 auf 2020 um 8,0 Prozent auf 1,1 Prozent, N-TV um 26,9 Prozent auf 1,2 Prozent und Welt um 22,7 Prozent auf 1,0 Prozent. Besonders hoch war die Nutzung beispielsweise im März 2020: In diesem Monat erreichte Welt 1,2 Prozent Marktanteil, N-TV 1,6 Prozent und Phoenix 1,2 Prozent.

Die Funktion der Nachrichten hat sich im Laufe der letzten 13 Monate jedoch verändert: Waren die Nachrichten im 1. Lockdown noch die Klammer für den Tag und halfen bei der Panik-Bearbeitung, so erfüllen sie psychologisch betrachtet nun weitere Aufgaben: Sie sind zum einen die Nabelschnur zur Welt, dienen damit dem Regel-Check-up, bieten zum anderen in einem ereignisarmen Alltag aber auch Anlass, sich zu empören. Daneben bedienen sie auch das Moment der Vergewisserung. „Denn hofften die Menschen im 1. Lockdown noch auf ein Wunder in Form eines Impfstoffes, so werden die Nachrichten nun laut der tiefenpsychologischen Analyse auch gesehen, um festzustellen, dass die Lage heute immer noch so ernüchternd ist, wie gestern“, so Ines Imdahl.

Aus den Nutzungszahlen der AGF lässt sich eine beeindruckend klare Korrelation zwischen dem Pandemie-Verlauf und der Nachrichtennutzung erkennen: Je höher die Fallzahlen und beschränkenden Maßnahmen von Bund und Ländern, umso intensiver wurden und werden die Nachrichten gesehen. Dieses Bild zeigte sich seit März 2020 über alle Altersgruppen hinweg.

Allerdings wird nach mehr als einem Jahr im Zeichen der Corona Pandemie auch ein leichter Abrieb in der Nachrichtennutzung sichtbar. Bei den ab 14-Jährigen lag die kumulierte Nettoreichweite im 1. Quartal 2021 mit 95,2 Prozent fast wieder auf dem Niveau von 2019. Im 1. Quartal 2020 waren es noch 96,5 Prozent. Dieses Bild zeigt sich in allen Altersgruppen. Mit einer kumulierte Nettoreichweite von 85,0 Prozent bei den 14- bis 29-Jährigen ist sie allerdings noch auf einem sehr hohen Niveau. „Die jungen Zuschauer schalten selektiver und auch punktueller ein als Ältere“, sagt Kerstin Niederauer-Kopf. „Bekannte Nachrichtensendungen wie die ,Tagesschau‘, die ,heute‘-Sendung oder auch ,RTL aktuell‘ werden aktiv angesteuert. Das lässt den Schluss zu, dass es auch in der Generation Social Media ein hohes Vertrauen in etablierte Medienmarken gibt.“ Die Hautnachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen und privaten Anbieter weisen im 1. Quartal 2021 eine deutlich höhere Sehbeteiligung auf als im Vergleichszeitraum 2020 und auch 2019.

Werbung: Genuss im Hier und Jetzt, Zuversicht für die coronafreie Zukunft

Wie auch im letztjährigen Corona-Report der AGF, hat rheingold salon auch in diesem Jahr untersucht, wie Werbung in Bewegtbildmedien derzeit wahrgenommen wird. War Werbung im ersten Lockdown noch ein Indiz für Normalität, so nehmen die Menschen mittlerweile eine etwas distanziertere Haltung ein, wenngleich sie der Werbung nach wie vor offen gegenüberstehen. Insbesondere auf Corona angepasste Werbung sorgt bisweilen für Irritation und regt zum Nachdenken an. „So oszilliert die Stimmung zum Teil zwischen echter Solidarisierung und der Frage, ob es sich hierbei um eine aufgesetzte Haltung handelt“, so Ines Imdahl.

Was Werbung jedoch weiterhin leistet, ist, Träume und Wünsche für die Zukunft zu wecken und aufrechtzuerhalten. So ist Werbung beispielsweise ein Appetit-Macher auf Lebensqualität und Wohlbefinden: Essen und Trinken sind aktuell die lust- und genussvollsten Seiten des Alltags. Auch kann Werbung ein Entwickler und (Be-)Förderer von Zukunftsträumen sein, beispielsweise Werbung für Reisen. Die Befragten wissen zwar, dass man nicht reisen darf, aber Werbung schürt die Hoffnung darauf, dass dies bald wieder möglich sein wird. Insbesondere jüngere Zielgruppen merken positiv an, dass TV-Werbung weniger getargetet ist und damit mehr überraschen kann und kleine Highlights schafft. So erleben jüngere Menschen auch in diesem Jahr zum Teil erstmalig Markengeschichten im TV – und das auch ein Jahr nach Start des ersten Lockdowns.