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Hohe Energiepreise drücken deutsche Wirtschaft in Rezession

Im laufenden Jahr dürfte das BIP noch um 1,4 Prozent zulegen, 0,7 Punkte weniger als in der Sommerprognose erwartet.
IfW Kiel | 08.09.2022
Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland 2021 - 2024 © IfW Kiel
 

Der Aufschwung der deutschen Wirtschaft wird laut Herbstprognose des IfW Kiel durch die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine jäh unterbrochen. Im laufenden Jahr dürfte das BIP noch um 1,4 Prozent zulegen, 0,7 Punkte weniger als in der Sommerprognose erwartet. Für das nächste Jahr revidiert das IfW Kiel seine Prognose um 4 Prozentpunkte nach unten – statt einem kräftigen Plus hat die deutsche Wirtschaft ein Minus von 0,7 Prozent zu erwarten. Die Teuerung dürfte im nächsten Jahr mit 8,7 Prozent noch stärker ausfallen als dieses Jahr mit 8 Prozent. Die Einhaltung der Schuldenbremse dürfte 2023 zwar möglich sein, im Jahr 2024 aber eng werden.

„Mit den hohen Importpreisen für Energie rollt eine konjunkturelle Lawine auf Deutschland zu. Vor allem energieintensive Produktionen und konsumnahe Wirtschaftsbereiche werden mit Wucht getroffen“, kommentiert Stefan Kooths, Vizepräsident und Konjunkturchef des IfW Kiel, die neuen Prognosen für Deutschland, Europa und die Weltwirtschaft.

Die deutsche Energieimportrechnung steigt voraussichtlich um 123 Mrd. Euro in diesem Jahr und um weitere 136 Mrd. Euro im nächsten Jahr. Das Geld fehlt im Inland für Konsum und schmälert die Rentabilität energieintensiver Unternehmen. In der Folge sinkt Deutschlands Wirtschaftskraft erheblich und liegt im nächsten Jahr 130 Milliarden Euro niedriger als bislang vom IfW Kiel erwartet. Die Kaufkraft der privaten Haushalte dürfte im kommenden Jahr mit 4,1 Prozent so stark einbrechen wie noch nie im wiedervereinigten Deutschland.

„Die Energiekrise macht einer sonst zu erwartenden kräftigen postpandemischen Erholung einen Strich durch die Rechnung. Die teuren Energieimporte bedeuten, dass Deutschland nun einen weitaus größeren Teil seines erwirtschafteten Einkommens ins Ausland überweisen muss als bislang. Deutschland wird dadurch insgesamt ärmer. Mit seinen Entlastungspaketen kann der Staat die Lasten daher nur umverteilen, aus der Welt schaffen kann er sie nicht“, so Kooths.

Die Wertschöpfung in Deutschland dürfte nun bis in das kommende Jahr hinein rückläufig sein und erst im dritten Quartal 2023 wieder leicht ins Plus drehen. Für 2024 erwartet das IfW Kiel dann einen Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,7 Prozent.

Die Teuerung in Deutschland dürfte noch weiter zunehmen, weil sich die hohen Energiepreise erst sukzessive in den Endverbrauchertarifen bzw. auch bei Waren und Dienstleistungen niederschlagen. Die Inflationsrate dürfte im laufenden Jahr bei 8 Prozent und im nächsten Jahr bei 8,7 Prozent liegen. Erst 2024 dürfte der Preisdruck deutlicher nachlassen und die Rate 3,1 Prozent betragen.

Die real verfügbaren Einkommen sinken so stark wie noch nie im wiedervereinigten Deutschland und dürften 2023 um 4,1 Prozent zurückgehen, nach einem Minus von 0,4 Prozent im laufenden Jahr. Bereits im Jahr 2021 waren sie um 0,9 Prozent gesunken. Erst im Jahr 2024 steigen sie wohl wieder.

Der private Konsum dürfte nach einem Anstieg von rund 4 Prozent im laufenden um 2,1 Prozent im Jahr 2023 sinken. Dies wäre abgesehen vom Pandemie-Jahr 2020 der stärkste Rückgang des privaten Konsums im wiedervereinigten Deutschland. Im Jahr 2024 legt der private Konsum laut Prognose wieder etwas zu.

Die Rezession, aber auch die Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro, führen dazu, dass der Beschäftigungsaufbau in den kommenden Monaten weiter an Fahrt verlieren dürfte. Im nächsten Jahr erreicht die Erwerbstätigkeit mit 45,6 Millionen Beschäftigen demografiebedingt ihren Zenit. Fortan verlassen mehr Menschen den Arbeitsmarkt, als neue hinzukommen. Die Arbeitslosenquote dürfte von 5,3 Prozent (2022) auf 5,6 Prozent (2023) steigen und dann leicht auf 5,5 Prozent (2024) zurückgehen.

Schuldenbremse: Einhaltung 2023 wohl möglich, 2024 dann schwierig

Trotz erheblicher Mehrausgaben zum Abfedern der hohen Energiepreise wird sich der Finanzierungssaldo des Staates voraussichtlich kaum verschlechtern, da der hohe Preisauftrieb auch für hohe Steuereinnahmen sorgt. Er steigt von 1,7 Prozent im laufenden Jahr auf etwas mehr als 2 Prozent in den beiden kommenden Jahren. Der Bund kann dabei auf hohe Rücklagen zurückgreifen und wird etwa durch das jüngste Entlastungspaket nur im unteren zweistelligen Milliardenbereich zusätzlich belastet.

Damit ist der Haushalt im kommenden Jahr wohl konform mit der Schuldenbremse. 2024 allerdings, wenn nach ihren Regeln durch den Aufschwung die Möglichkeit der Nettokreditaufnahme stark eingeschränkt wird, dürfte die Einhaltung schwieriger werden.

Der Bruttoschuldenstand in Relation zum nominalen BIP dürfte sogar zurückgehen, von 68,7 Prozent im Jahr 2021 auf 64,6 Prozent im Jahr 2024, da das nominale BIP aufgrund des insgesamt hohen Preisauftriebs aufgebläht wird.

„Auch wenn das jüngste Maßnahmenpaket Zielgenauigkeit vermissen lässt, ist es grundsätzlich richtig, einkommensschwachen Haushalten unter die Arme zu greifen. Das Schnüren immer neuer Hilfspakete ist aber kein Ersatz für eine strategische Neuausrichtung der Energiepolitik. Die Bundesregierung muss jetzt schnell Klarheit über die langfristige Energieversorgung schaffen. Davon hängt ab, welcher Energiepreisanstieg dauerhaft ins Haus steht und was temporär bleibt. Und nur letzteres sollte finanzpolitisch geglättet werden“, so Kooths.

Euroraum driftet in Rezession, Weltkonjunktur deutlich eingetrübt

Auch der Euroraum driftet in eine Rezession mit rückläufigen Raten für die Wirtschaftsleistung im laufenden und in den kommenden Quartalen. Das BIP dürfte 2022 um 2,8 Prozent zulegen und 2023 nahezu stagnieren, 2024 dann moderat um 1,6 Prozent zulegen.

Die Euroraum-Inflation steigt im laufenden Jahr voraussichtlich auf 8,1 Prozent und ist damit so hoch wie nie zuvor seit Bestehen der Währungsunion. 2023 wird die Teuerungsrate mit 7,2 Prozent wohl nur wenig sinken und erst 2024, mit dem erwarteten allmählichen Rückgang der Energiepreise, wieder moderater ausfallen.

Die Aussichten für die Weltkonjunktur haben sich ebenfalls deutlich eingetrübt, die Weltwirtschaft dürfte dieses Jahr nur noch um 2,9 Prozent und nächstes Jahr um 2,2 Prozent zulegen. Ein Grund ist auch, dass Chinas Wirtschaft aufgrund der strikten Null-Covid-Politik und Problemen im Immobiliensektor schwächelt.