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Zwei Drittel der deutschen Unternehmen passen Lieferketten wegen Krisen an

AHK-Umfrage zeigt, welche konkreten Maßnahmen die Betriebe ergreifen.
Bereits umgesetzte oder geplante Maßnahmen der Unternehmen als Reaktion auf die aktuellen Krisen © DIHK - Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V.
 

Die Rückmeldungen von mehr als 3.100 im Rahmen der Umfrage befragten Unternehmen belegen, dass sich die Betriebe mit sehr konkreten Maßnahmen auf die geopolitischen Herausforderungen einstellen.

 

Jedes dritte Unternehmen (35 Prozent) hat bereits neue oder zusätzliche Lieferanten für benötigte Rohstoffe, Vorprodukte oder Waren gefunden. Weitere 30 Prozent sind noch auf der Suche. Die Unternehmen erweitern ihr Lieferantennetzwerk unabhängig von der Region, in der sie international aktiv sind.

 

Von Schockstarre keine Spur

 

"Die deutsche Wirtschaft zeigt sich angesichts der enormen geopolitischen Risiken erstaunlich anpassungs- und widerstandsfähig", sagt DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. "Von Schockstarre der Wirtschaft keine Spur! Mit Hochdruck suchen die Unternehmen neue Lieferanten beziehungsweise versuchen die bestehenden zunehmend zu diversifizieren."

 

Die Erhöhung der Resilienz in ihren globalen Lieferketten ist ein zentrales Motiv der Lieferanten-Suche: So geben drei von fünf Unternehmen (62 Prozent) an, das Risiko von Ausfällen minimieren zu wollen. Dieser Wert wird nur überboten von dem Wunsch, die Kosten zu optimieren (64 Prozent). Aber auch ein einfacherer Zugang zu Rohstoffen beziehungsweise Vorleistungen (33 Prozent) sowie die Vermeidung von Handelshemmnissen oder die Erfüllung von Local-Content-Vorschriften (23 Prozent) spielen eine Rolle.

 

Jedes achte Unternehmen (12 Prozent) nimmt die Einhaltung europäischer Nachhaltigkeitspflichten bei der Lieferantensuche in den Blick. Insgesamt haben sich die Lieferkettenstörungen zwar verbessert, sie sind aber noch längst nicht überwunden: 42 Prozent der Unternehmen geben Störungen in Lieferketten als das Top-Geschäftsrisiko für die kommenden Monate an. 

 

Lieferantensuche in der Nachbarschaft

 

Bei der Suche nach neuen oder zusätzlichen Lieferanten spielt die geografische Nähe eine herausragende Rolle. Das Lieferantennetzwerk wird im gleichen Land des Unternehmensstandorts oder innerhalb der Region (Nachbarländer) aufgebaut. Dahinter kann die Bestrebung der Unternehmen stehen, die Lieferwege in ihren Lieferketten möglichst kurz zu halten, um Ausfälle durch Transportschwierigkeiten und hohe Transportkosten zu vermeiden.

 

In Ost- und Südosteuropa (ohne EU) sowie in der Türkei und in Russland suchen Unternehmen nach neuen Lieferanten besonders häufig (73 Prozent) lokal beziehungsweise in dem Land, in dem sie bereits tätig sind. In der Eurozone gilt das lediglich für jeden zweiten der Befragten (50 Prozent).

 

Und auch in Greater China hält nur rund jedes zweite Unternehmen (51 Prozent) lokal Ausschau nach neuen Lieferanten, in Asien-Pazifik (ohne Greater China) dagegen sind es 61 Prozent. So verfolgen die Betriebe die "China+1"-Strategie, neben China mindestens einen Lieferanten aus einem anderen Land in das Netzwerk aufzunehmen.

 

"Die Unternehmen bleiben weiterhin auf ihrem Kurs der Globalisierung, fokussieren sich aber auf eine Diversifizierung: Neben bewährten, aber zum Teil schwierigen Märkten bieten andere Länder zunehmend attraktive Konditionen und werden so zu echten Alternativen", beschreibt Treier die Situation.

 

Produktionsverlagerungen trotz hohen Aufwandes

 

Die geopolitischen Herausforderungen veranlassen einen erheblichen Anteil der Unternehmen zu Standortverlagerungen. Jeder zehnte Betrieb (10 Prozent) hat bereits seine Produktion, Teile davon oder ganze Niederlassungen verlegt beziehungsweise anderswo neu aufgebaut. Weitere 16 Prozent befinden sich dazu noch in der Planung.

 

"Dass jedes vierte Unternehmen im Ausland Verlagerungen plant oder umgesetzt hat, ist angesichts des Investitions- und Planungsaufwandes, der mit dem Aufbau neuer Standorte einhergeht, ein hoher Anteil an Produktionsumschichtungen", ordnet Treier die Ergebnisse ein. "Das zeigt, wie konkret die Unternehmen an der Resilienz ihrer internationalen Lieferketten arbeiten, und das zeigt auch, wie gewaltig die Reorganisation der Globalisierung derzeit vonstatten geht."

 

Vor allem in China sind neue Standorte Thema

 

Häufiger als im weltweiten Durchschnitt planen Unternehmen in Greater China diesen Schritt: Dort haben bereits 13 Prozent Betriebsteile verlagert, 28 Prozent befinden sich dazu noch in der Planung. Auch in Asien/Pazifik (ohne Greater China) und in Afrika, Nah- und Mittelost wird diese Maßnahme häufiger ergriffen als in anderen Regionen. 

 

Als zentrale Gründe für die Verlagerung nennen die Befragten – ähnlich wie bei der Lieferantensuche – die Aspekte Markterschließung (52 Prozent), Kostenoptimierung (47 Prozent) und Diversifizierung beziehungsweise Risiko-Minimierung bei Ausfällen (38 Prozent). Außerdem sollen mit neuen Standorten Handelshemmnisse vermieden beziehungsweise Local-Content-Vorschriften erfüllt (21 Prozent) werden; 21 Prozent der Betriebe führen einen einfacheren Zugang zu Rohstoffen oder Vorleistungen an, 10 Prozent die Einhaltung europäischer Nachhaltigkeitspflichten.

 

Hauptfaktor geografische Nähe

 

Die geografische Nähe zum derzeitigen Sitz spielt auch bei der Suche nach neuen Standorten für Produktion oder Niederlassungen eine Hauptrolle, allerdings ist die Fokussierung auf das aktuelle Gastland nicht so stark ausgeprägt wie bei der Lieferantensuche.

 

Am häufigsten suchen Unternehmen aus EU-Staaten außerhalb des Währungsraums (sowie Schweiz, Norwegen, UK) lokal nach neuen Standorten. Unterdurchschnittlich häufig gilt das für Betriebe aus Greater China: Wie bei der Lieferantensuche orientieren sie sich überwiegend in die Region Asien-Pazifik (ohne Greater China) – ein weiteres Indiz der "China+1" Strategie. Aber auch das Thema Re-Shoring beziehungsweise Near-Shoring in die EU oder in dessen geografische Nähe bleibt ein Trend bei der internationalen Kapitalmobilität deutscher Unternehmen.

 

Preiserhöhungen keine Ausnahme mehr

 

Neben der Überprüfung von Lieferketten und Standorten ergreifen die Unternehmen noch weitere Maßnahmen zur Stabilisierung ihrer Geschäfte: 41 Prozent geben an, den hohen Kostendruck bereits an die Kunden weitergegeben zu haben, weitere 34 Prozent planen noch Preiserhöhungen.

 

"Schon während der Corona-Pandemie kam es angesichts der Lieferkettenstörungen und einer Angebotsknappheit zu Preissteigerungen", erinnert Volker Treier. "Diese wurden durch den Krieg in der Ukraine und die darauffolgende Preisexplosion auf dem Energiemarkt nochmals verstärkt." Dazu komme jetzt vielerorts auch noch eine allgemein hohe Inflationsrate und damit die Sorge vor höheren Arbeitskosten. "Viele Unternehmen sehen sich dazu gezwungen, ihre Kosten an die Kunden weiterzugeben", bestätigt der Außenwirtschaftschef. Inflation bleibe damit auch 2023 weltweit ein prägendes Thema.