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Fossile Energie noch bis mindestens 2035 unverzichtbar

Anteil regenerativer Energien liegt in zwölf Jahren voraussichtlich bei 75 Prozent. Standards und Normungen für Kreislaufwirtschaft gefordert.
Horváth AG | 15.03.2023
Fossile Energie noch bis mindestens 2035 unverzichtbar © freepik / sitthiphong
 

Nachhaltigkeit ist in der Logistik- und Transportbranche zu einer der wichtigsten Prämissen geworden – und gewinnt weiter an Bedeutung. Darüber sind sich die in der aktuellen Horváth-Studie befragten Topführungskräfte aus relevanten Logistik- und Transportunternehmen sowie renommierte Wissenschaftler einig. Geschäftsmodelle und Prozesse werden grundlegend daran angepasst, der Transport beispielsweise zunehmend von der Straße auf die Schiene verlagert. Dem Fortschritt auf dem Weg zu „echter“ Klimaneutralität sind allerdings Grenzen gesetzt. Technische Hürden, lange Lebensdauern von Assets, (mangelnde) Verfügbarkeiten von Ressourcen sowie teilweise ungenügende finanzielle Rentabilität werden fossile Energien aus Sicht der Befragten Expert:innen noch bis mindestens 2035 unverzichtbar für die Branche machen. Selbst in zwölf Jahren, so die Prognose, wird ihr Anteil noch bei etwa einem Viertel liegen.

Zu den größten Hürden auf dem Weg zur klimaneutralen Logistik gehört unter anderem, die nach wie vor eingeschränkte Reichweite von Transportfahrzeugen mit alternativen Antrieben und die nicht ausreichende Ladeinfrastruktur. Klimafreundliche Kraftstoffe sind ebenfalls Mangelware oder teuer. Gerade in der margenarmen Logistik ist dies ein Problem. Hinzu kommt die lange Lebensdauer großer, teurer Transportfahrzeuge. „Es rechnet sich in vielen Fällen einfach noch nicht, konventionell betriebene Fahrzeuge, die sich noch nicht amortisiert haben, vorzeitig abzustoßen“, sagt Christian Schnöbel, Logistikexperte bei der Managementberatung Horváth. „Die Dekarbonisierung in der Logistik- und Transportindustrie hat neben dem CO2-freien Transport jedoch noch wichtige weitere Dimensionen, in denen die Branche in den kommenden Jahren große Fortschritte machen wird. Wie unsere Studie zeigt, wird beispielsweise mit Hochdruck an der Etablierung von Kreislaufwirtschaften und regionalen Handelsströmen gearbeitet.“

Standards und Normungen für Kreislaufwirtschaft gefordert

Die Wiederverwendung von Rohstoffen, Verpackungen und Ladehilfen ist aus Sicht der für die Horváth-Studie befragten Branchenexpert:innen neben dem Einsatz von E- und Schienenfahrzeugen ein weiterer großer Hebel auf dem Weg zur Klimaneutralität. Mehr als zwei Drittel der Befragten messen ihr große Bedeutung zu. „Während sich die Kreislaufwirtschaft, beispielsweise die Rückführung von Verpackungen, im B2B-Segment relativ einfach durchsetzen lässt, ist das im Konsumentenmarkt schwieriger. Gründe sind stark individualisierte Verpackungen, sowie die Vielzahl an Anbietern“, so Horváth-Experte Schnöbel. Die Heterogenität von Produkten und Prozessen erschwert die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft auch insgesamt. Aus Sicht der befragten Vertreter:innen aus Wirtschaft und Wissenschaft ist es daher dringend notwendig, neue Standards und Normungen festzulegen. Drei Viertel der Interviewten sehen diese Notwendigkeit. „Die Festlegung von Standards kann durch Industrieverbände, kooperierende Transport- und Logistikunternehmen oder staatliche Einrichtungen erfolgen. Die Hauptsache ist, dass Marktteilnehmer die Initiative ergreifen“, so Schnöbel. „Die Dimension Kreislaufwirtschaft beziehungsweise Circular Economy wird nicht zuletzt für Investoren und Kapitalgeber als ESG-Kriterium immer wichtiger, was die Unternehmen unter Zugzwang setzt“, so der Horváth-Experte.

Eng mit dem Thema Kreislaufwirtschaft ist auch die Regionalisierung von Handelsströmen verbunden, die die Mehrzahl der Studienteilnehmer als anhaltend wichtigen Trend sehen. Aufgrund von krisenbedingten Lieferengpässen und Lieferkettenstörungen haben die Unternehmen ihre Beschaffungs- und Absatzwege wieder stärker regionalisiert. Re- und Nearshoring, erhöhte Lagerbestände sowie eine diversifizierte Beschaffung werden in diesem Zusammenhang als wichtige Anpassungen genannt. Neben der dadurch erzielten sogenannten Resilienz ergeben sich auch Nachhaltigkeitsvorteile durch kürzere Transportwege und höhere Transparenz aufgrund insgesamt stärkerer Überwachung. 

Innenstadt-Logistik: Letzte Meile verteuert sich weiter

Die letzte Meile in den Innenstädten wird sich nach Ansicht der befragten Branchenexpert:innen spürbar weiter verteuern. „Die letzte Meile macht über drei Viertel der gesamten Transportkosten der Logistikanbieter aus. Über 90 Prozent der letzten Meile sind Personalkosten, und die steigen unter anderem durch die Inflation deutlich an. Doch auch die Betriebs- und Bereitschaftskosten schnellen aufgrund von immer strengeren regulatorischen Vorgaben in die Höhe“, so Logistikexperte Christian Schnöbel von Horváth. Dazu gehören verkehrsbezogene Nachhaltigkeitsziele, Immissionsschutz, Straßen- beziehungsweise baurechtliche Vorgaben, technische Vorgaben sowie Datenschutz- und Haftungsregelungen. Dass diese Vorgaben auch noch regional unterschiedlich sind, erschwert standardisierte Lösungen und verteuert die Prozesse zusätzlich. Zur Kostenreduktion gibt es verschiedene Stellschrauben, unter anderem die Zustellung mehrerer Pakete an einem Punkt, eine Tour-Verdichtung durch verbesserte Routenplanung oder eine optimierte Sendungsübergabe. Grundsätzlich bedarf es aus Sicht der Befragten aber innovativer und umweltfreundlicher Lösungen für die gesamte innerstädtische Logistik – also Konzepte, die Schienenverkehr, Pakethubs (zum Beispiel in Parkhäusern), Lastenfahrräder, Zustellroboter und auch Drohnen einschließen. Dabei wird Start-ups als von Investoren geförderten Impulsgebern eine wichtige Rolle zugemessen. „Reines Reagieren auf neue Regulierungen bringt die urbane Logistik nicht voran, die Unternehmen müssen ihre Transformation aktiv gestalten“, so Schnöbel.

Transformationskompetenz wird immer entscheidender

Die Auswirkungen von Megatrends auf die Transport- und Logistikindustrie bis 2035 sind damit noch lange nicht vollständig. Insgesamt identifizieren die von Horváth befragten Expertinnen und Experten in der vorliegenden Studie „Corporate Transformation in der Transport- und Logistikindustrie“ zehn drängende Handlungsfelder. „Ob Strategie, Geschäftsmodell, Organisation, Prozesse oder Führung – die sich aus den Trends ergebenden Veränderungen sind ganzheitlich in nahezu allen Unternehmensbereichen umzusetzen, was eine enorme strategische, strukturelle und kulturelle Anpassungsfähigkeit der Unternehmen und ihren Mitarbeitenden erfordert. Diese Transformationskompetenz lässt sich abbilden, aneignen und weiterentwickeln“, fasst Horváth-Experte Christian Schnöbel zusammen.