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Die deutsche Unlust an der digitalen Transformation

Etablierte Märkte müssen erst zusammenbrechen.
Gunnar Sohn | 26.03.2013
Wirtschaft und Politik sind in Deutschland seltsam lustlos auf dem Weg in eine vernetzte Ökonomie. Man suhlt sich in den Erfolgen als Exportnation aus den guten alten Tagen der industriellen Massenproduktion und spekuliert auf eine industrielle Renaissance. Auf Facebook oder Google marschiert man wegen des guten Tons, aber intern wird auf den Einsatz von Social Web-Werkzeugen wenig Wert gelegt. Es könnte ja die hierarchische Statik der eigenen Organisation ins Wanken geraten:

„Die meisten warten ab. Das hemmt das Neue beträchtlich und verzögert den Übergang so sehr, dass man in gewisser Weise annehmen kann, es werde gar keinen geben“, moniert der Publizist Professor Gunter Dueck.

Es dominiert die unverkennbare Unlust. Die Verlage haben keine Lust auf eBooks und kapitulieren in Schockstarre vor Amazon, das Fernsehen hat keine Lust, sich mit den nebenbei im Kleinen betriebenen Internetkanälen herumzuschlagen. Banken ergötzen sich an jeder Filiale, die noch offen ist. Die schrumpfenden Tageszeitungen wollen nicht so richtig wahrnehmen, warum sie nur noch halb so dick sind, weil Anzeigen der Sparten Immobilien, Kontakte, Stellenangebote oder gebrauchte Autos auf Portale im Netz und in Smartphone-Apps abwandern.

„Die Unlust ist so sehr spürbar, dass man auch von Abwarten sprechen kann, dessen schlechtes Begleitgewissen durch halbherzige Versuche gemildert wird“, sagt Dueck.

Die Politik ergeht sich in aktionistischer Symbolpolitik und bringt noch nicht einmal die eigenen eGovernment-Projekte erfolgreich auf den Weg – Bund Online dürfte noch als vage Erinnerung abrufbar sein.

„Deutschland verliert international den Anschluss und gleitet ins digitale Mittelmaß ab“, warnt Dr. Roman Friedrich von der Unternehmensberatung Booz & Company.

Er spricht sogar von einer technologiefeindlichen Einstellung der Wirtschaft. Fast alle Branchen seien unterdigitalisiert.

„Wir fallen sogar zurück. Es gibt in Deutschland eine gewisse Technologiefeindlichkeit, auch in Unternehmen. In Nordeuropa gibt es beispielsweise eine viel höhere Affinität zu neuen Technologien“, sagt Friedrich.

Die Frage, wie wir als Gesellschaft und als Wirtschaftsstandort mit der Digitalisierung umgehen, ist nach Ansicht von Thomas Knüwer die größte Herausforderung unserer Zeit.

„Deutschland, vor allem die deutsche Politik, glaubt sie mit einer Verweigerungshaltung beantworten zu können. Das wird nicht reichen“, so der Indiskretion Ehrensache-Blogger.

Und er meint damit nicht nur die Entscheidung von Bundestag und Bundesrat für das Leistungsschutzgesetz, um Verlegern gegenüber Google den Rücken zu stärken, ohne die eigenen Geschäftsmodelle in Frage stellen zu müssen.

„Angesichts der anhaltenden Rechtsunsicherheit ist es keinem Gründer anzuraten, in der Bundesrepublik ein digitales Unternehmen zu starten“, erklärt Knüwer.

Wenn Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler behauptet, dass Deutschland „das coolste Land” sei, ist dies genauso weltfremd und naiv wie der Glaube der CSU-Bundestagsabgeordneten und Vize-Generalsekretärin Dorothee Bär, dass die deutsche Netzpolitik besser werde.

Es sei deshalb nachvollziehbar, so bwlzweinull-Blogger Matthias Schwenk, wenn immer mehr Talente das Land verlassen.

„Schon aus Prestigegründen ist es für junge Deutsche viel attraktiver nach Kalifornien zu gehen und dort zu versuchen, eine Firma aufzubauen. Auch Berlin und andere größere Städte sind unterrepräsentiert und die Politik macht zu wenig, um diese Märkte zu erschließen und neue Arbeitsplätze in der vernetzten Ökonomie hervorzubringen. Wir sind da auf eine komische Art relativ träge.“

Er kann es sich nicht erklären, warum Deutschland eine Verschiebung der Technologien in die vernetzte Welt nicht stärker als Chance begreift und in der Spitze mitspielt. Über Jahrzehnte seien wir als Industrienation immer vorne gewesen. Die Notwendigkeit der digitalen Transformation werde nicht gesehen – auch nicht in den Industrieverbänden.

„Dass sich die Technologien verändern und verschieben, bekommt kaum einer so richtig mit. Die Politik schläft und von den Industrieverbänden kommt auch zu wenig. Diese alten Herren, die selber noch mit der Hand am Arm arbeiten, können die digitale Sphäre gar nicht nachvollziehen, weil sie es selbst nicht erleben. Da werden die Tagesmappen noch von der Sekretärin ins Chefzimmer reingetragen, um alles sehr schön auf Papier abzuzeichnen. Wer so arbeitet, sieht nicht, was sich wirklich bewegt“, kritisiert Schwenk.

Erst wenn Märkte richtig einbrechen, werde es wohl ein Umdenken geben. Die netzökonomischen Themen stehen aber selbst bei den Internetaktivisten kaum eine Rolle. Es dominieren Debatten über Datenschutz, Staatstrojaner, Netzneutralität oder Urheberrecht. Von den meisten aktiven Bloggern, die sich mit Netzpolitik befassen, werde das Internet als Medium für Inhalte gesehen.

„Das Netz ist aber auch Möglichmacher für neue Geschäftsmodelle und vernetzte Wertschöpfungsketten. Das haben nur wenige Netzaktivisten im Blick. Da gibt es aber auch aus den Forschungsinstituten und Hochschulen zu wenig Unterstützung. Auch von dort müsste mehr geliefert werden“, resümiert Schwenk.

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