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Social Media Markenführung

Das BWL-Marketing und die Markentechnik sind für das 20. Jahrhundert konzipiert. Sie sind der Ära der Massenmedien verhaftet. Die ist nun vorbei.
Klaas Kramer | 27.12.2009
Wie gehen Sie vor, wenn Sie sich über ein Unternehmen informieren? Ich gehe zuerst zu Wikipedia. Dann lese ich in Blogs und Medienportalen, was über das Unternehmen berichtet wird und was in den Kommentaren steht. Wenn mich Produkte interessieren, schaue ich, wie andere Kunden die Produkte bewerten. Zum Schluss gehe ich auf die Homepage, denn mich interessiert auch das Selbstbild des Unternehmens.
Geben wir einen bekannten Firmennamen bei Google ein, erscheinen zuerst unabhängige Artikel, bevor die offizielle Website gelistet wird. Google bewertet nach Relevanz. Was relevant ist, entscheidet nicht ein Unternehmen, sondern die Masse.

Asymmetrie war gestern

Es gibt nicht mehr wenige Sender und viele Empfänger, sondern jeder kann senden. Es ist ganz einfach. Jeder Mensch kann zum Markenbotschafter und jeder Mitarbeiter zum Pressesprecher werden.
Große Unternehmen haben gelernt, als mächtige Sender aufzutreten. Sie verstehen sich auf Pressearbeit zu klassischen Massenmedien. Viele wissen noch nicht, wie sie sich an der längst stattfindenden Markenkommunikation im Netz souverän beteiligen sollen.
Die Menschen warten nicht mehr gespannt auf Verlautbarungen und Werbebotschaften einer Marke. Sie kommunizieren bereits miteinander. Social Media verbindet Kommunikationsteilnehmer und trennt sie nicht wie die klassische Massenmedien. Alle Teilnehmer stehen im symmetrischen Verhältnis zueinander. Dies zu akzeptieren, fällt denjenigen schwer, die gewohnt waren, sich für besonders wichtig zu nehmen.

Keine Werbefläche

Wer Social Media als Werbekanal missversteht, kann der Marke großen Schaden zufügen. Blogger und Twitterer sind keine Zielgruppe, die man nur über „ihr“ Medium ansprechen müsste. Es sind Menschen wie wir alle. Soziale Netze gehorchen nicht den Regeln instruierter Kommunikation. Je mehr ein Unternehmen versucht zu manipulieren, desto erfolgloser wird es sein. Wer weiterhin das Kommunikationsmodell der Massenmedien im Kopf hat, wird in Social Media ausgegrenzt und isoliert, denn seine Kommunikation ist irrelevant, nicht resonanzfähig.
Mitunter versuchen Verkäufer, sich in Soziale Netze einzuschmuggeln. Wollen Sie sich ein Verkaufsgespräch aufnötigen lassen, während Sie sich angeregt unterhalten?
Wenn wir überhaupt einen alten Begriff übernehmen wollen, dann PR. Nur hat Social Media PR nichts damit zu tun, Blogger mit Pressemeldungen zu bombardieren oder unliebsame Sätze im Wikipedia-Eintrag zu löschen.
PR ist Gestaltung von Beziehungen. Social Media PR haben nicht ein Medium, sondern die Konversation zwischen Menschen vor Augen. Ohne die aktiven Menschen ist das Medium nichts. Social Media PR heißt, in sozialen Netzen Beziehungen zu den Menschen auf Augenhöhe aufzubauen und zu pflegen. Damit haben Sie den maximal möglichen Gestaltungseinfluss auf die Markenkommunikation.
Wer unter falschem Namen in Foren auftritt oder Blogs parteiisch kommentiert, fliegt sofort auf. Mitunter fallen Unternehmen auf Agenturen herein, die solche Dienste anbieten.

Arroganz verliert

In Blogs und Foren kommen vorzugsweise negative Erfahrungen betroffener Menschen zur Sprache. Für Unternehmen ist es ein Segen, von negativen Rückmeldungen lernen zu können.
Noch denken manche Manager: „Das ist nicht relevant. Den Mob von Minderheiten können wir ignorieren.“ Solange es Vorstandsvorsitzende gibt, die sich E-Mails von ihrer Sekretärin ausdrucken lassen, ist tatsächliche kein Umbruch zu erwarten.
Aber die Macht der Social-Media-Analphabeten schwindet Tag für Tag. Dabei geht es weniger um Medien-, denn vielmehr um Kommunikationskompetenz: Jack Wolfskin – eine Marke, die sich mit Attributen wie Authentizität und Naturverbundenheit schmückte – hat in Sekunden diese angeblichen Markenkern-Werte ad absurdum geführt: Hausfrauen, die mit Katzenpfötchen bestickte Kissen über eine Internetplattform zum Kauf angeboten hatten, wurden massenweise abgemahnt. Erst ging das Thema durch die Bloggosphäre. Als es die klassischen Medien erreichte, glaubte man bei Jack Wolfskin, mit arroganten Verlautbarungen ohne ein Wort der Entschuldigung einlenken zu können. Jack Wolfskin hat in diesen Tagen komplett gegen seine Markenwerte kommuniziert. Falls dem kein nennenswerter wirtschaftlicher Schaden folgt, wäre die gesamte vorherige Markenkommunikation in Frage zu stellen. Sie hätte keinen Unterschied im Markenimage verursacht.
Dass es auch Unternehmen gibt, die Social Media PR beherrschen, zeigt das Naturmodelabel hessnatur: Geschäftsführer, Empfangsdame und Mitarbeiter aller Standorte bloggen selbst und stehen mit Kunden und Interessierten im Dialog. Stellungsnahmen zu aktuellen Gesellschaftsthemen, aber auch die aktuelle Produkttester-Aktion lassen Marke und Menschen in lebendige Interaktion treten. Auf diesen Wegen erfahren Geschäftsführung, Mitarbeiter und Kunden unmittelbar voneinander, was sie als Menschen bewegt.
Social Media ermöglicht auf sehr effiziente Weise ökonomisch relevante Lerneffekte für alle Beteiligte.

Stärke ist schwach

Vor zehn Jahren sind im Cluetrain Manifest Thesen wie „Märkte sind Gespräche“, „Märkte bestehen aus Menschen, nicht aus demographischen Daten“ aufgestellt worden. Die darin enthaltenen Forderungen sind aktueller denn je. Nur ist die „Wir-hier und Ihr-da“-Attitüde für hierarchische Unternehmen nicht anschlussfähig. „Social Media“ stößt in solchen Organisationen auf eine primitive aber stabile Akzeptanzhürde: „Social“ klingt einfach nicht nach hartem Business. Begriffe wie Netzwerk, Teilnahme, Zuhören und Transparenz symbolisieren in den Ohren BWL-geschulter Manager noch immer Schwäche. 
Hier wird es in den nächsten Jahren ein Umdenken geben, denn wer Kontrolle, Instrumentalisierung und „harte Fakten“ als Inbegriffe von Stärke missversteht, wird eines Tages nicht mehr an der Wirtschaft teilnehmen können.
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Über Klaas Kramer

Vermittlung von Konzepten, Denk- und Handlungsmodellen für Bewusstwerdungsprozesse zur Vorbereitung auf künftige Herausforderungen im Marketing-Mana