Effiziente Personalisierung: Personas reloaded
Wie granular dürfen Personalisierungskonzepte sein, damit sie sich immer noch rechnen? Neben gängigen Automatismen wie der persönlichen Anrede oder der Referenz auf früheres Kaufverhalten, landet man in den meisten Fällen beim Clustering. Doch die Frage ist: Funktionieren Zielgruppen und Personas heute noch effizient? Das Konzept der Personas ist inzwischen 20 Jahre alt und noch immer ernten Speaker reihenweise „Ahs“ und „Ohs“, wenn sie diese Form des Zielgruppen-Clustering beschreiben. Das liegt vor allem daran, dass gute Personas emotionale Wesen sind. Sie unterscheiden sich vom klassischen Homo oeconomicus, indem sie Bauchentscheidungen treffen, die vermeintlich irrational und daher für den Anbieter kaum prognostizierbar sind. Wohlgemerkt vermeintlich, denn selbst der puristische Ökonom wird nicht absolute Produkt- oder Preismerkmale in den Mittelpunkt der Kaufentscheidung stellen, sondern relative. Welches Produkt zu welchem Preis verspricht den größten Nutzen, den größten Lustgewinn. Und wenn der Kunde hier sein Bauchgefühl anlegt, so handelt er absolut rational. Trotz aller Preisvergleiche und der scheinbaren Markttransparenz wissen wir bei vielen Produkten nicht, was „der richtige“ Preis ist. Warum fühlt es sich so unterschiedlich an, wenn wir für 80 Euro tanken und das Geld fast fühlbar durch den Schlauch in den Tank rinnt oder wenn wir 80 Euro Stromrechnung von unserem Konto abbuchen lassen? In beiden Fällen handelt es sich um alltägliche Energieversorgung, die weitgehend unverzichtbar und normal ist.
Emotionale Entscheidungsgerüste
Die Verhaltenspsychologie wird nicht müde nachzuweisen, dass Kontextbedingungen unsere Entscheidungsgrundlagen beeinflussen und die Entscheidung gleich mit. Ein klassisches Experiment ist die Verknappung. Bietet man Kunden die gleiche, ausreichende Menge an Alltagsgütern zum Kauf an, limitiert aber die Stückzahl der erlaubten Käufe bei einer Probandengruppe, so ist es sehr wahrscheinlich, dass genau diese Probandengruppe mehr Exemplare des Produktes kauft. Oder man beschleunigt Kaufentscheidungen. Booking.com stellt den Traffic auf einer Hotelseite der Zahl der verfügbaren Zimmer gegenüber. Das ist ein Trick, denn der Traffic ist unabhängig von einem Datum, die Zahl der Zimmer aber eben nicht. Insofern können sich gerne sechs Leute das Hotel anschauen, in dem es nur noch vier günstige Zimmer gibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie zum gleichen Zeitpunkt buchen wie der einzelne Betrachter, ist äußerst gering. Dennoch entsteht das ungute Gefühl, eine günstige Gelegenheit verpassen zu können. Will man derartige Erkenntnisse in ein Optimierungskonzept für eine Marketingkampagne oder einen Onlineshop umwandeln, so braucht es einer Strukturierung. Die klassischen demografischen Cluster funktionieren hier nur bedingt. Junge Kunden verhalten sich mitunter konservativer als ältere, gerade weil ihnen Erfahrung oder ein solider finanzieller Background fehlt. Der Ferrari-Fahrer mag viel weniger hedonistisch veranlagt sein, als es Eindruck haben könnte, weil er gleichzeitig treusorgender Familienvater ist. Und in nicht wenigen Fällen kauft der Kunde gar nicht für sich selbst, sondern für Beschenkte. Der erste Schritt zur effizienten Anpassung eines Angebots an die jeweils spezifische Zielgruppe wäre also, einfach mal die Preise zu variieren, um zu sehen, wie preiselastisch die spezifische Nachfrage reagiert. Man nehme sich ein Beispiel an den Tankstellen, die die Preise immer dann steigern, wenn der exogene Kaufdruck höher ist, zum Beispiel vor dem Wochenende, auf dem Weg zur Arbeit oder bei Ferienbeginn. Amazon kann es sich leisten, bei den Produkten zehn Prozent über Vergleichspreisen zu liegen, weil das Vertrauen in die Zuverlässigkeit von Lieferung und Retourenabwicklung dem Kunden das wert ist. Ein guter Startpunkt für ein solches Experiment ist zum Beispiel die Seite mit den Geschenkgutscheinen. Was sind eigentlich die vom Formular vorgegebenen Werte? Und was passiert, wenn man statt der klassischen 10, 20 und 50 Euro daraus 15, 30 und 70 macht? Studien haben gezeigt, dass in gewissem Rahmen die User zu einer Normalverteilung tendieren. Der mittlere Wert wird also deutlich häufiger gekauft als die beiden Randwerte.
Das klassische Persona-Modell
Will man nun innerhalb der Gesamtkundschaft verschiedene Untergruppen unterscheiden, so bietet es sich an, Cluster zu bilden, die gemeinsame emotionale Grundgerüste haben. Man kann sich zum Beispiel an der Systematik von Facebook orientieren, die derzeit im Targeting auf der US-Plattform getestet wird. Hier gibt es zum Beispiel die „Fun Hunter“. Lebenslustige, spaßorientierte Menschen, die viel feiern und gerne das Besondere suchen, den Kick. Oder die „Sentimental Kitschy“. Dort findet sich ein größerer Frauenanteil. Es geht viel um intensives Leben und Erleben aber mit mehr Fokus auf die kleinen Dinge. Die dampfende Tasse Kaffee am Nachmittag, am Fenster sitzen mit der Katze auf dem Schoß und einer guten Freundin zum Reden. Natürlich sind das grobe Stereotypen, aber sie lassen sich schon wesentlich präziser ansprechen, als wenn ein TV-Spot für alle „weißer wäscht als weiß“. Tchibo hat das mit dem Kaffeeprodukt Black and White getestet. Ein Produkt aber unterschiedliche Werbemittel für die jeweiligen Cluster. Die gemessenen Ergebnisse sind beeindruckend. Um das 16-fache stieg die Werbeerinnerung, die Ausgaben pro Haushalt erhöhten sich um die Hälfte und unterm Strich – durch die leicht erhöhten Produktionskosten – blieb ein Return on Ad Spend, der um 30 Prozent höher lag, als bei der generisch angesprochenen Vergleichsgruppe. Die Archetypen von Facebook sind ein guter Anfang, bevor man beginnt, die eigenen User feiner zu typologisieren. Auch die Wissenschaft hat bereits klare Belege für die Wirksamkeit einer solchen Strategie gefunden. So analysierten Studenten der Universität von Cambridge Facebook-Profile von Nutzern und bildeten daraus zwei Cluster. Die eine Gruppe von Menschen wurde aufgrund der Themen, Menge und Qualität der Interaktionen als extrovertiert eingestuft, die anderen als introvertiert. Nun bildete man vier Gruppen und spielte zwei unterschiedliche Facebook-Anzeigen aus, die auf die jeweilige Gemütslage angepasst waren. Wenig überraschend klickten diejenigen Nutzer häufiger auf die Anzeige, die besser zu ihnen passte. Interessant war aber, dass introvertierte Nutzer doppelt so oft klickten, während die extrovertierten nur 30 Prozent häufiger klickten. Offensichtlich traf der Clustering-Ansatz bei Introvertierten eher den Nerv. Im Idealfall bildet der Anbieter sein eigenes Zielgruppenmodell. Fünf bis zehn Archetypen von Käufern gilt es zu profilieren und die Kommunikation, Produktdarstellung und eventuell auch die Preise daran anzupassen. „Das ist ein großer Aufwand“, meint E-Commerce-Berater Kai Radanitsch. „Die Theorie ist gut, aber in der Praxis gelingt es nur wenigen Shops, dass stringent umzusetzen. Und die Umsetzung kostet Geld.“ Sein Vorschlag lautet, das Konzept weiter herunterzubrechen und für den einzelnen Mitarbeiter greifbarer zu machen. Zum Beispiel könnte man die Liste der wichtigsten Produktvorteile so unterteilen, dass für jeden Zielgruppentyp ein wichtiger emotionaler Kaufanreiz dabei ist. Das ließe sich sogar im Content-Management-System als Formularbeschriftung hinterlegen.