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Weihnachtssummserumsummsummdidelbumm

Weihnachten, Musik und unser Umgang mit Sprache
Eine Glosse von Stephan Ehlers
Stephan Ehlers | 07.11.2005
Musik ist wahrlich etwas feines. Nur zur Zeit irgendwie nicht. Denn die Glocken, die süßen, die da so klingen, die Kinderlein, die da kommen, der Tannenbaum der da ach so grüne Blätter hat, die Türen die da hoch und die Tore die da weit gemacht werden und wenn dazu noch die zigtausenden Trompeten-, Blockflöten-, Violinenkonzerte in jedem Gemeindesaal, von jeder Orgelempore, auf Straßen und Plätzen, bis in die Umkleidekabinen der Warenhäuser und Lokusse der Kneipen, mit einem Wort, überall und immerzu getutet, geblasen, gestrichen, gepfiffen werden – dann ergreift es einen: Merken wir noch etwas?

Ähnlich ist es ja mit unserer Sprache: In vielen Firmen wird täglich in „Meetings“ nach der „Strategy“ gefahndet, um sich „aufzustellen“, neue Projekte „einzukippen“, „Commitments“ zu erzielen und am Markt den optimalen, effizienten und effektiven „USP“ zu erreichen, USP steht für „Unique Selling Proposition“ und ist in seiner Bedeutung eher profan: das einzigartige Verkaufsargument. Neubabylonische Sprachpanscherei entsteht, wenn Englisch, Pseudo-englisch und Restdeutsch gemischt werden. Ständig wird gehandeld, gemailt, gestylt, gemanagt oder getalkt. Führungskräfte „walken“ zu ihren Mitarbeitern in wöchentlichen „Come together“. Selbstbewusst teilen Manager ihre „Facts“ auf „Quarterly Business Review Meetings“ mit, um danach „Finger food“ zu verspeisen und Kollegen mit „Small talk“ zu erfreuen. - Merken wir noch etwas? -

Noch ärgerlicher ist es bei den meisten Multimedia- und Internet-Firmen mit ihrem Techno-Latein. Man bietet „Lösungen“ kombiniert mit Worthülsen wie „übergreifend“, „nahtlos“, „zukunftssicher“ oder „wegweisend“. Unverbindlich und nichtssagend sind Begriffe wie „Plattform“, „strategische Partnerschaften“, „Umgebung“, „Applikation“ oder „Support“. Ein Hundezüchter, der sich auf den neuen Markt wagen würde, käme zu folgender Meldung: „Ein Hund dient als Plattform für das Riechen, er stellt eine offene Umgebung für Flöhe dar und supportet das Bellen.“ Täglich überfluten hunderte kryptische und überflüssige Pressemitteilungen den E-Mail-Zugang, das Faxgerät und den Briefkasten – und das von Firmen die man weder kennt noch kennen möchte. Von „Showcases“ und „Front Office Brokerage“ wird genauso schwadroniert wie von „Make“, „Manage“ and „Move Media“. ... – Merken wir noch etwas? -
Wenn wir weder mit Musik, noch mit Worten umzugehen wissen, bleibt als letzte Hoffnung die Zahl. Am Anfang war das Wort ... gleich danach gab es das Missverständnis. Was wird nun am Ende sein? Die Zahl? Ziffern? Nummern? Eine riesengroß gähnende Null, durch die wir gesenkten Hauptes marschieren müssen, wie durch ein Tor („...die Türen hoch, die Tore weit...“), um jenem vor Augen zu treten, der an den Anfang das Wort setzte? Bei dem Gedanken wird’s unheimlich, denn wir sind bereits umstellt von Zahlen: Kontonummern, Telefonnummern, dem Dax, Hochrechnungen, Indizes, PINs, ächz! Selbst im Wort des Jahres hat sich nun auch eine Zahl geschlichen: 11. September! Immer neue Zahlen müssen wir uns merken, immer neue Ziffernfolgen verstopfen unsere schmächtigen Gehirne, die schon mit Dummdeutsch und Denglisch zu kämpfen haben ... und dann noch dieses Weihnachtssummserumsummsummdidel-bumm. – Merken wir noch etwas? –
Nun müssen wir diese Woche zur Kenntnis nehmen, dass Michael Cameron aus Kanada die größte nun bekannte Primzahl entdeckt hat. Sie heißt 2 13 466 917 minus 1. Sie ist sechs Kilometer lang. Vor einer Weile hat jemand in Tokio die Zahl Pi auf 51,5 Milliarden Dezimal-stellen berechnet, eine 42.000 Kilometer lange Zahl. Ihr Ende ist nicht abzusehen, weil sie nämlich gar keines hat. Diese ewiglange Zahl windet sich um den Erdball, dauernd stolpert man schon drüber – und sie rechnen weiter.
- Merken wir noch etwas? - Demnächst werden wieder Zahlen massenweise halbiert, weil der Euro kommt. Dann sind wieder massenweise Zahlen übrig. Wir müssen 8 geben, dass sie uns nicht ersticken. Denn dann ist das Ende nah – 8ung! Die Zahlen sind 3st, sie durch7 alle Wörter, 2fellos, seid doch verfünftig, es ist ja vierchterlich, es ist zum Verzwölfeln. Helfe! Neun! Neuuun!!! - - -

Jetzt erst merke ich, dass schon wieder Weihnachten ist. Ich wünsche erholsame Feiertage und einen angenehmen Jahreswechsel. Auch mal ohne Musik, ohne Worte, ohne Zahlen.
Feierlich querdenkend-lustig grüßt Sie

herzlichst Ihr
Stephan Ehlers - www.fql.de -
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Über Stephan Ehlers

Ich bin seit 1995 als Motivator & Jonglator aktiv. Mein Angebot: Vortrag & Training, Moderation & Infotainment sowie Business-Jonglage & Jonglier-Even